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Scheren-Forscherin. Emanuelle Charpentier hat die „Gen-Schere“ Crispr/Cas entdeckt und die Technik weiterentwickelt.

© skb

Erfinderin der Crispr-Genschere: Berliner Wissenschaftspreis für Emmanuelle Charpentier

Die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier wird seit Jahren mit Auszeichnungen überhäuft. Jetzt kommt der Berliner Wissenschaftspreis dazu. Ein Besuch im Labor.

Es müssten mehr als siebzig sein inzwischen. „Aber wenn ich die Ehrenmitgliedschaften in Akademien und Ehrendoktorwürden dazuzähle, dann sind es wohl noch viel mehr.“ Den Überblick hat Emmanuelle Charpentier nicht mehr, wie viele Preise sie schon bekommen hat für ihre Entdeckung und Entwicklung der Gen-Schere CRISPR/Cas9 (kurz Crispr) im Jahr 2012. Sie weiß nicht, wie oft sie in ferne Länder eingeladen wurde, Dankesreden halten, Interviews geben musste. „Ich zähle nicht mit, aber ich freue mich wirklich jedes Mal wieder.“ Und obgleich der „Berliner Wissenschaftspreis“, den der Regierende Bürgermeister der Mikrobiologin am Mittwochabend im Roten Rathaus im Rahmen der „Berlin Science Week“ überreichen wird, also nur eine von vielen Trophäen ist – er sei doch etwas Besonderes: „Immerhin ist Berlin meine neue Heimat und der Preis ist ein gutes Zeichen, dass ich hier eine Langzeitperspektive habe.“

Vor nicht langer Zeit klang die Wissenschaftlerin, die als sichere Kandidatin für den Nobelpreis gilt, anders. Noch lange nach ihrem Umzug aus Braunschweig an das Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Mitte haderte Charpentier mit den Arbeitsabläufen in der Hauptstadt, klagte über fehlende Unterstützung und konnte nicht recht sagen, ob sie gern in Berlin lebe.

Charpentier ist als Forscherin und Privatperson in Berlin angekommen

Inzwischen ist sowohl die Forscherin, als auch die Privatperson Emmanuelle Charpentier in der Stadt angekommen. Die Stapel unausgepackter Umzugskisten sind aus ihrem Büro verschwunden, so dass sie für Interviews nicht mehr ins Café ausweichen muss. Der Labortrakt im dritten Stock des Virchowwegs 12 ist fertig. „Und zuhause habe ich jetzt endlich eine perfekte Küche“, sagt Charpentier und wirkt entspannt und nicht mehr so getrieben von all dem, was wegen der Crispr-Gen-Schere und den damit verbundenen Hoffnungen auf Therapien, den möglichen Anwendungen und eventuellen Risiken auf sie einstürmt. Ihre vier bis fünf Stunden Sport pro Woche – Laufen, Schwimmen, Radfahren, Funktionstraining und Boxen – lässt sie sich trotz all dem nicht mehr nehmen. „Das ist meine Energiequelle.“

Zeit, selbst im Labor zu stehen, habe sie noch immer nicht genug. Der Aufbau ihres Instituts ist aufwändig und mit viel Organisationsarbeit verbunden. Das halte sie noch zu oft davon ab, selbst zu forschen und intensiv Zeit mit den Projekten ihrer Mitarbeiter zu verbringen.

Es braucht eine Zeit, die Dynamik in Berlin zu verstehen

Für jemanden, der von außen kommt, brauche es eine Zeitlang, bis man die „Dynamik“ in Berlin verstehe. Inzwischen sehe sie die Stadt, was die Spitzenforschung betrifft, auf einem guten Weg. „Es gibt hier großen Unternehmungsgeist, eine Aufbruchstimmung und den Willen, eng zusammenzuarbeiten.“ Insbesondere auf dem Charité-Campus, wo Charpentier ihre „Max Planck Unit for the Science of Pathogens“ aufbaut, tue sich viel. Und die Politik, insbesondere Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach, höre zu. Auch der Umzug ihrer Abteilung in ein eigenes Gebäude - in der Nähe des Campus von Charité und Humboldt-Universität - ist fast in trockenen Tüchern. Auch das Problem, das Berlin beim Anwerben internationaler Spitzenkräfte habe, sei erkannt. Dazu gehörten – auch nach Meinung anderer – allerdings auch die starren Berufungsverfahren, aufgrund derer es etwa dem Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) schwer fiel, rasch international anerkannte Experten zu gewinnen.

Charpentier hat sich offenbar damit abgefunden, Wissenschaft nun mehr zu managen als selbst im Labor zu stehen. „Ich mache das gern, es ist aufregend, Forschung in bestimmte Richtungen zu lenken.“ Aufgegeben hat sie die Hoffnung jedoch nicht, wieder mehr Zeit zu haben für Experimente - und Bakterien und anderen Zellen Geheimnisse zu entlocken. Auch wenn Charpentier selbst nicht mehr so oft im Labor sein kann, erforscht ihr Team Natur-Phänomene, aus denen ähnlich wichtige Erkenntnisse hervorgehen könnten wie einst Crispr.

Ungelöste Rätsel in der Welt der Bakterien und Viren

Denn obwohl die gebürtige Französin all die Auszeichnungen für ihre Entdeckung der Gen-Schere bekommt, ist sie vor allem Mikrobiologin geblieben, die in der Welt der Bakterien und Viren unzählige ungelöste Rätsel sieht, deren Lösung viele Chancen bergen – jenseits von Crispr & Co. „Alle Werkzeuge, die Genetiker und Molekularbiologen heutzutage nutzen, basieren auf Erkenntnissen der Grundlagenforschung an Bakterien und Viren“, sagt Charpentier. Deshalb sei es so wichtig, diese Forschung fortzusetzen. Berlin habe das erkannt. „Wenn plötzlich ein neues Virus, etwa Sars oder Zika, oder bislang unbekannte Bakterien auftauchen und Menschen infizieren, wird geklagt, dass man noch zu wenig darüber weiß“, sagt Charpentier. Zwar könne man kaum vorhersehen, welche Mikroben künftig eine Bedrohung werden könnten, doch je mehr man forsche, umso mehr Experten gebe es, die im Ernstfall mikrobiologische Gefahren untersuchen könnten. Das sei umso wichtiger, als große Pharmafirmen wenig Interesse zeigen, neue Antibiotika zu entwickeln. „Noch wirken unsere Antibiotika, aber die Resistenzen nehmen zu in vielen Teilen der Welt.“

Wer Bakterien erforsche, lerne nicht nur etwas über Krankheitserreger. Viele Mikroorganismen seien auch für biotechnologische Anwendungen wichtig, sei es für Biokraftstoffe, chemische Substanzen oder Medikamentenwirkstoffe. Außerdem kenne man den Großteil der auf der Erde lebenden Bakterien, Schätzungen zufolge eine Billion Arten, nicht oder sie sind kaum erforscht. Weil sie an unterschiedlichste Lebensbedingungen angepasst sind, sei aber zu erwarten, dass sie Moleküle beherbergen, die gegen Krankheiten wie Krebs wirksam oder für andere Problemlösungen nützlich wären.

Das natürliche Vesikelsystem verstehen

Ein Bereich, den Charpentiers „Unit“ untersucht, sind extrazelluläre Vesikel, winzige Kügelchen, die Zellen des menschlichen Körpers absondern und wie kleine Pakete mit darin enthaltenen Botschaften an andere Zellen verschicken. Erst seit kurzem weiß man, dass auch Bakterien solche Vesikel abgeben und damit im Verlauf einer Infektion in die Kommunikation zwischen den Zellen eingreifen. „Die Idee ist, solche Vesikel selbst zu produzieren, um bestimmte Moleküle an Infektionsherde zu bringen und so die Körperabwehr zu unterstützen“, sagt Charpentier. Wenn man das natürliche Vesikelsystem besser versteht – und wie Zellen damit miteinander kommunizieren, könne man das ausnutzen, um Arzneimittel nur in die Gewebe zu transportieren, in denen sie wirken sollen. Nebenwirkungen könnten so vermieden werden. „Wir haben das entdeckt, als wir untersucht haben, wie Erbgutmoleküle, etwa RNA, von Bakterien in eukaryotische, also menschliche Zellen gelangen können.“ Während die nackten Moleküle nicht lange außerhalb von Zellen überdauern, sind sie in Vesikeln geschützt.

Aus mikrobiologischen Labors wie Charpentiers könnten also noch ganz andere, weltverändernde Entdeckungen als „nur“ die Gen-Schere Crispr kommen. Dass mit diesen Entdeckungen und ihrer Anwendung auch eine gewisse Verantwortung einhergeht, dessen ist sich Charpentier bewusst. Trotz der ständig knappen Zeit nimmt sie an Diskussionen teil, welche Einsätze der Gen-Schere vertretbar sind. Menschliche Keimzellen oder Embryonen zu verändern, um Gendefekte zu beseitigen, gehört ihrer Ansicht nach nicht dazu. Dazu sei die Technik bislang weder sicher genug, noch sei es nötig: Keimzellen mit Gendefekten könnten in der Petrischale auch einfach aussortiert werden. „Aber gegenüber Patienten, die an schweren Krankheiten sterben, haben wir die Verantwortung auszutesten, ob Crispr als Therapie gegen Krebs und andere Krankheiten funktioniert - auch wenn es auf dem Weg dahin vermutlich auch Enttäuschungen geben wird.“

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