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Lieber nicht zurückschauen. Die jüngere Geschichte der Kegelrobben an deutschen Küsten ist nicht unbedingt eine schöne. Die jüngste allerdings macht Hoffnung, dass das größte einheimische Raubtier wirklich wieder dauerhaft heimisch wird.

© imago/blickwinkel/AGAMI/H. Bouwmeester

Erfolgreicher Artenschutz: Das größte Raubtier Mitteleuropas kehrt an die Ostseeküste zurück

Die Rückkehr der Kegelrobbe ist ein Erfolg. Auch an der Ostsee steht wohl bald ein Schlüsselereignis bevor.

Furchterregend wirkt das größte Raubtier Mitteleuropas nicht gerade. Eher kommt es als gemütlicher Typ rüber, wenn es dösend am Strand liegt – auch mitten im Winter. Gegen kalte Nordwinde hat es einen vier Zentimeter dicken Mantel aus Speck. Die Isolierschicht wärmt auch bei der Arbeit im je nach Jahreszeit kühlen oder richtig kalten Meer. Die Raubtier-Aktivität, sie findet dort statt. Dorsche und andere Fische sind die Opfer, täglich wandern normalerweise fünf bis zehn Kilogramm von ihnen – oder auch andere Meeresbewohner – in den Magen einer ausgewachsenen Kegelrobbe. Nach dem Fang schwimmen die bis zu 350 Kilogramm schweren Tiere zurück an den Strand. Verdauungsschlaf ist angesagt. Den genießen sie jetzt wieder häufiger auch vor deutschen Küsten. Und das meist unbehelligt.

Die letzte Kegelrobbe Vorpommerns wurde 1920 erlegt

Das war nicht immer so. Noch Anfang des vorigen Jahrhunderts zahlten zum Beispiel die preußischen Behörden Kopfprämien, weil die Fischer sich beklagten, dass Kegelrobben ihnen den Fang streitig machen würden. 1927 wurde die Jagd dann zwar verboten. Allerdings war die letzte Kegelrobbe an der Küste Vorpommerns bereits 1920 erlegt worden. Auch in anderen Regionen dezimierten Jäger die Kegelrobben stark.

Sachlich hatten die Fischer mit ihrer Anschuldigung nur halbwegs Recht. „Als die Kegelrobben und Seehunde in den 1920er Jahren von den deutschen Küsten verschwunden waren, erholten sich die Fischbestände nicht“, sagt Michael Dähne, der als Zoologe am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund für Meeressäuger zuständig ist. In den Boddengewässern von Mecklenburg-Vorpommern erwischen Kegelrobben normalerweise gerade ein Prozent der dort schwimmenden Fische, während Seevögel die fünffache Menge schlucken. Und acht Prozent holen allein Angler aus dem Wasser. Berufsfischer erwischen mit 22 Prozent den Löwenanteil.

Dort, wo es sie noch gab, setzten in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts dann Schadstoffe wie das Insektizid DDT und der Weichmacher PCB den Kegelrobben weiter zu. Die an vielen Küsten des nördlichen Atlantiks lebende Art wurde ein weiteres Mal massiv dezimiert. 1980 waren von rund hunderttausend Kegelrobben, die um 1900 in der gesamten Ostsee lebten, gerade noch 2500 Tiere übrig.

Britische Einwanderer an norddeutschen Küsten

Seit dieser Zeit ist die Art streng geschützt – und erholt sich wieder. Da in Großbritannien relativ viele Kegelrobben überlebt haben, erreichen die großen Raubtiere von dort auch wieder die deutsche Nordseeküste. 1983 kam wahrscheinlich erstmals wieder ein Kegelrobben-Baby im Wattenmeer zur Welt. 1993 war für die Heimkehrer die nächste Wegmarke erreicht: die erste Geburt auf der Düne der Insel Helgoland.

Heute leben wieder rund 6000 Kegelrobben zwischen den Niederlanden und Dänemark an der Nordseeküste und sind in Deutschland durch die Wattenmeer-Nationalparks geschützt“, sagt Hans-Ulrich Rösner, der in Husum das Wattenmeer-Büro der Naturschutzorganisation WWF leitet. Allein auf der Düne von Helgoland erblickten im Winter 2018/19 bereits mehr als 400 kleine Robben das Licht der Welt. Weitere Liegeplätze gibt es etwa auf Sandbänken bei der Ostfriesischen Insel Juist und vor der Nordfriesischen Insel Amrum. „Für den Naturschutz ist diese Rückkehr des größten Raubtiers in Mitteleuropa ein toller Erfolg“, sagt Rösner.

In der Ostsee lebt eine andere Unterart der Kegelrobben. Ihre Situation unterscheidet sich erheblich von der der Verwandtschaft in der Nordsee, wo sich die Bestände auf rund 30 000 Tiere erholt haben. Die deutschen Ostsee-Gewässer ließen die Meeressäuger aber lange links liegen. Erst 2004 tauchten die ersten Kegelrobben in den flachen Gewässern zwischen der Insel Rügen und Greifswald auf. Heute leben zwar einige rund um die Insel Rügen, sowie einige Einzelgänger vor anderen Küsten. Ihre Zahl wird aber auf nicht viel mehr als 100 geschätzt. Und erfolgreich fortgepflanzt haben sie sich bisher an deutschen Ostseestränden auch noch nicht wieder.

Der "Große Stubber" ist zu klein geworden

Vielleicht auch, weil der einst beliebteste Ruheplatz fast komplett verschwunden ist. Jener „Große Stubber“ war eine Insel im Greifswalder Bodden, der flachen Ostsee zwischen der Hansestadt und Rügen. Er ist schon aus dem Mittelalter als Ort, wo die Tiere ihren Verdauungsschlaf hielten, dokumentiert. Doch die Insel wurde immer kleiner, weil Menschen von dort Findlinge als Baumaterial nach Rügen und auf das Festland schipperten. Als im 19. Jahrhundert der Große Stubber auch noch als Kiesgrube für den Straßenbau in Greifswald herhalten musste, ging es mit der Insel zu Ende. Seit etwa 1950 ist er Geschichte. Nur bei Niedrigwasser taucht dort heute noch eine Sandbank mit den drei letzten Findlingen auf. Da Kegelrobben bei der Rast aber nur ihren Kopf aus dem Wasser heben müssen, taugt die verschwundene Insel auch im 21. Jahrhundert noch als Ruheplatz.

Nur ihre Jungen können die Weibchen dort nicht mehr wie früher zur Welt bringen. Die rund zehn Kilogramm schweren Babys tragen bei ihrer Geburt ein weißes Lanugo-Fell. Das hält sie zwar hervorragend warm, ist aber nicht wasserdicht. Also suchen die Weibchen sich im späten Winter einen Kiesstrand als Kinderstube. Manchmal tut es auch eine stabile und große Eisscholle. Strände gibt es auf Rügen und auf dem Festland zwar zur Genüge. Meist sind sie aber schon von anderen Säugetieren, deren Mäntel nicht aus Fett, sondern eher aus Polyester und Viskose bestehen, in Beschlag genommen. Und da den Ostsee-Kegelrobben die Erinnerung an die Beinahe-Ausrottung auch über die Generationen nicht verlorengegangen zu sein scheint, suchen werdende Robbenmütter sich lieber eine ruhigere Küste, die sie etwa in Schweden oder Dänemark finden.

Fische orten mit dem Bart

Die hundert Kilometer dorthin sind für sie nur eine Tagesstrecke. Mit 15 Kilometern in der Stunde können sie durch die Ostsee unterwegs sein. In gerade einmal drei Wochen päppeln die Mütter den Nachwuchs mit ihrer extrem fetten Milch von zehn auf 40 Kilogramm Gewicht. „Ein 150 Kilogramm schweres, gesundes Weibchen magert in diesen drei Wochen auf 100 Kilo ab, seine vier Zentimeter dicke Speckschicht schrumpft auf einen Zentimeter“, sagt Dähne. Danach gehen Mutter und Kind getrennte Wege. Die Weibchen paaren sich schon vier Wochen nach der Geburt wieder, um elf Monate später das nächste Robbenbaby zur Welt zu bringen.

Der Nachwuchs hat inzwischen sein Fell gewechselt und geht ins Meer, um selbst zu jagen. Mit ihren „Barthaaren“ spüren Robben noch geringste Wasserturbulenzen, die Fische viele Meter entfernt beim Schwimmen auslösen. So finden die Tiere bei ihren bis zu 20 Minuten langen Tauchgängen genug Fische – notfalls auch in den Stellnetzen der Fischer. Um dort an die leckere Mahlzeit zu kommen, zerreißen die Tiere auch schon mal ein Netz. Fischer und Kegelrobben werden wohl nie Freunde.

Kegelrobbennachwuchs an der Ostseeküste - im März wird sich zeigen, ob er überleben kann

Die Fangemeinde ist aber groß genug. Grund zur Freude hatte sie am 8. März 2018: Nicht weit entfernt von Kap Arkona auf Rügen kam ein 12,5 Kilogramm schweres Junges zur Welt. Es war der erste Nachweis für Kegelrobben-Nachwuchs an der deutschen Ostseeküste seit einem Jahrhundert. Ein paar Tage später wurde am Strand der Ferieninsel Usedom ein weiterer Robben-Säugling entdeckt. Beide starben zwar kurz nach ihrer Geburt. Trotzdem stehen die Chancen nicht schlecht, dass die großen Robben an einem der jetzt oft menschenleeren Kiesstrände auf Rügen bald mehr Erfolg haben werden. „Im diesem Winter haben wir zwar noch keine Kegelrobben-Geburten beobachtet“, sagt Henning von Nordheim, Abteilungsleiter für Meeresnaturschutz des Bundesamtes für Naturschutz auf der Insel Vilm bei Rügen, „aber im vergangenen Jahr kam der erste Nachwuchs ja auch erst im März.“

Sichtungen in der Ostsee können hier gemeldet werden, dort lässt sich auch die Sichtungs-App OstSeeTiere herunterladen. Totfunde können telefonisch gemeldet werden unter 03831-2650 3333, Lebendstrandungen unter 0173-9688 267. Sichtungen in der Nordsee und deren Zuflüssen können hier gemeldet werden.

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