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Mit schwerem Gerät. Um Geothermie nutzen zu können, muss mehrere tausend Meter tief gebohrt werden. Wird dann Wasser in die Tiefe gepresst, kann es zu unerwartet starken Erdbeben kommen.

© dpa

Erschütternde Erkenntnis: Wie der Mensch Erdbeben auslöst

Nicht alle Erdbeben sind natürlichen Ursprungs. Auch der Mensch tritt sie los – etwa durch Geothermie, Gasförderung oder beim Bau von Staudämmen. Und oft ist er ziemlich ahnungslos.

Wenn die Erde zittert, Bücher aus dem Regal fallen, Wände plötzlich Risse bekommen oder gar Gebäude einstürzen, ist klar: ein Erdbeben hat stattgefunden. Eine Naturgewalt. Aber nicht in jedem Fall. Immer wieder gibt es Erschütterungen, die der Mensch verursacht oder zumindest angestoßen hat. Etwa durch Bergbau, Gasförderung oder Geothermieanlagen zur Stromerzeugung. Aber auch gewaltige Massenverlagerungen an der Oberfläche können in die Tiefe wirken und Erdbeben auslösen. So führen manche Forscher das Erdbeben im Mai 2008 in der chinesischen Provinz Sichuan mit mindestens 60 000 Toten auf den Bau eines Staudamms zurück.

In Mitteleuropa stehen vor allem Geothermiekraftwerke regelmäßig in der Kritik. Erst am Samstag gab es wieder deutliche Erdstöße nahe St. Gallen. Bei den Anlagen geht es darum, heißes Wasser aus großer Tiefe zu pumpen, dessen Wärme zur Stromerzeugung sowie für Heizzwecke zu nutzen und die Flüssigkeit wieder nach unten zu bringen. Mitunter wird zu Beginn zusätzlich Wasser eingepresst, um Mikrobeben auszulösen, bei denen neue Risse entstehen, durch die dann mehr Wasser zirkulieren kann.

Aber nicht immer bleibt es bei den beabsichtigten kleinen Erschütterungen. Bekannt geworden sind die Erdstöße mit einer Magnitude (Stärke) von bis zu 3,4 in Basel 2006, wo Schäden in Höhe von fünf Millionen Euro gemeldet wurden. Oder im pfälzischen Landau 2009 (Magnitude 2,7 – das ist etwa die Grenze, ab der Menschen Erdbeben spüren). Dort hat der Betreiber Schäden in Höhe von 9500 Euro aus Kulanz bezahlt.

Die Fälle werfen die Frage auf, ob diese Technik überhaupt in erdbebenträchtigen Gebieten, zu denen diese Städte zählen, genutzt werden sollte. Eine aktuelle Studie aus den USA zeigt, wie eng der Betrieb solcher Anlagen mit der Erdbebenaktivität verknüpft ist. Forscher um Emily Brodsky von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz hatten Daten des „Salton Sea“ Geothermalfelds im Süden des Bundesstaates von 1985 bis 2012 ausgewertet. Je größer die Menge an Wasser, das heraufgepumpt oder nach unten gepresst wurde, um die Kraftwerksleistung zu steigern, umso häufiger zitterte dort die Erde, berichten sie im Fachblatt „Science“. Die Erschütterungen sind im Allgemeinen gering, meist unter dem, was Menschen spüren können.

Die künstlichen Erschütterungen sind der Anstoß

Doch jedes kleine Beben kann prinzipiell „wachsen“ und ein großes werden. Wie der berühmte Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen bringt. Das ist auch in Basel passiert. Dort, an der Nahtstelle zwischen den Alpen und dem Oberrheingraben, war der Untergrund durch tektonische Kräfte „vorgespannt“, wie Seismologen sagen. Die künstlich erzeugten schwachen Erschütterungen waren nur der Anstoß, der Fels riss immer weiter auf, ein handfestes Erdbeben brach sich Bahn.

Wie diese Gefahr verringert werden kann, soll das „Mags“-Projekt (Mikroseismische Aktivität geothermischer Systeme) aufklären, das nach den Erschütterungen von Landau gestartet wurde. „Entscheidend ist die Lage der Kraftwerke“, sagt Christian Bönnemann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, die „Mags“ koordiniert. In Norddeutschland, wo der Untergrund weniger unter natürlicher Spannung steht, habe es bisher keine größeren Beben gegeben, die mit Geothermie zusammenhingen, sagt er. „Obwohl dort viel mehr Wasser nach unten gepumpt wurde als in Basel oder Landau.“ Nach Ansicht Bönnemanns ist Süddeutschland dennoch keine Tabuzone, sofern die seismische Gefährdung des jeweiligen Gebietes gründlich untersucht wird. Dazu sollten historische Daten zu Erdbebenhäufigkeit und -stärke herangezogen werden sowie Untersuchungen, die Schwächezonen im Untergrund ausweisen. Denn das sind oft zugleich Kandidaten für Erdstöße in der Zukunft.

Aber diese Vorerkundungen sind zwangsläufig lückenhaft. Auch mit den immer besseren Messverfahren lässt sich nicht jede Schwächezone in der Tiefe aufspüren. Und die seismologischen Messreihen erstrecken sich oft nur über wenige Jahrzehnte, was es schwierig macht, die Häufigkeit stärkerer Beben zu ermitteln. Andererseits sind die Seismometer heutzutage billiger und werden in größerer Zahl eingesetzt. So können auch schwache Erschütterungen, die viel häufiger auftreten, besser erfasst werden.

"Messungen auch während des Betriebs der Kraftwerke nötig"

„Auch während des Betriebs der Kraftwerke sollten seismische Messungen fortgeführt werden“, sagt der BGR-Forscher. „Sobald die Stärke der Erdstöße einen Schwellenwert überschreitet, muss die Wasserzufuhr verringert oder ganz gestoppt werden.“ Wo der Schwellenwert anzusetzen ist, sollen Computermodelle ermitteln, die Wasserfluss und seismische Aktivität zusammenbringen.

Keine einfache Aufgabe, denn die Erfahrungen zeigen: Selbst wenn die Wasserinjektion sofort gestoppt wird, können noch Tage später größere Erschütterungen auftreten, weil der Untergrund Zeit braucht, um sich nach dem Hauptereignis „zurechtzuruckeln“. Auch solche Effekte müssen in das Modell eingehen.

Mit entsprechender fachlicher Begleitung hält Bönnemann die Geothermie gleichwohl auch in Süddeutschland prinzipiell für machbar. „Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben“, sagt er. „Damit muss man leben, wie in vielen anderen Lebensbereichen auch.“

Sofern es überhaupt zum Dauerbetrieb kommt. Das Baseler Geothermievorhaben ist beendet. Das Kraftwerk in Landau wird wegen der Bebengefahr nur mit verringerter Leistung betrieben und macht Verluste.

Das Einpressen von Schmutzwasser führt zu Erdstößen

Aber auch andere menschliche Aktivitäten führen regelmäßig zu Erschütterungen. Die Förderung von Schiefergas in den USA steht dabei besonders im Fokus der Forscher. Um das Aufbrechen des Gesteins mittels „Fracking“ sorgen sie sich weniger, wie William Ellsworth vom Geologischen Dienst der USA jetzt in „Science“ schreibt. Dort würden nur selten Magnituden über 1 erreicht, was nur sensible Geräte wahrnehmen können. Gefährlicher erscheint es ihnen, wenn große Mengen verunreinigten Wassers in den Untergrund gepresst werden. Dort kann das Fluid wie ein Schmiermittel wirken und vorgespannte Bruchzonen aktivieren.

Das Hineinpressen von solchen Flüssigkeiten wird in den USA schon lange betrieben. Nach Ansicht von Forschern wurden dadurch mehrere Erdbeben der Magnitude 4 und größer ausgelöst, teilweise erst Jahre später und einige Kilometer vom Bohrloch entfernt. Dennoch sind das seltene Ausnahmen, angesichts von rund 140 000 Bohrungen, über die Fluide in die Tiefe gepumpt werden dürfen. Bei den meisten davon finden sich keine Anzeichen für eine erhöhte Erdbebentätigkeit.

Auch in Norddeutschland gibt es solche Versenkbohrungen, wo beispielsweise Wasser in alte Gaslagerstätten gepumpt wird. Erdbeben habe es dadurch aber noch nicht gegeben, sagt der BGR-Seismologe Bönnemann. Und doch werden – sehr selten – Erdstöße registriert. Einige davon sind natürlichen Ursprungs. Nachdem vor gut 10 000 Jahren das Eis verschwand, bewegt sich die Erdkruste langsam wieder nach oben, was immer wieder zu Erschütterungen führt.

Wird Gas gefördert, sinkt der Boden ab

„Manche Beben sind hingegen eine Folge der Gasförderung“, sagt Manfred Joswig von der Universität Stuttgart, der menschgemachte Beben erforscht. Je mehr Gas aus dem Untergrund geholt werde, umso mehr sinke dieser ein. Bis zu einigen Dezimetern habe sich die Oberfläche in den Niederlanden gesenkt, in Deutschland etwas weniger, berichtet der Forscher. Auch dadurch entstehen Spannungen, die zu Erdbeben führen können. „Wahrscheinlich hatte das Magnitude-2,9-Beben im November 2012 bei Völkersen einen solchen Ursprung.“ Über Erdstöße der Magnitude 4,5 bei Rotenburg (Wümme) im Oktober 2004 streiten die Experten noch.

„Die Beben tragen kein Schild, auf dem steht, wodurch sie ausgelöst wurden“, benennt Joswig das Dilemma seiner Zunft. Mit einer Vielzahl von Messdaten zu Erdbebentiefe und Wellenmustern versuchen sie das Rätsel zu lösen – was nicht immer gelingt. Die Gasförderung werde auch zukünftig den Boden zittern lassen, darauf müsse man sich einstellen, sagt er. „Bis Magnitude 3 ist durchaus möglich, aber das ist noch weit entfernt von Erschütterungen, die größere Schäden an Gebäuden anrichten.“ Ob auch stärkere Beben möglich sind, sei schwer zu sagen. „Völlig ausschließen kann man es jedenfalls nicht.“

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