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Bei der Sonneneruption wurde eine riesige Partikelwolke freigesetzt.

© dpa

Eruption: Die Sonne schießt in Richtung Erde

Es ist die größte Eruption seit fünf Jahren: Der solare Auswurf gefährdet Satelliten und Stromnetze.

Von ferne betrachtet sieht die Sonne wie ein großer Ball aus, der stoisch Licht und Wärme in den Kosmos abstrahlt. Eine Nahaufnahme der Oberfläche offenbart ein deutlich anderes Bild: Sie scheint regelrecht zu kochen. Gewaltige Wellen schwappen hin und her, dann und wann jagen große Gasblasen davon. Am Dienstagmorgen spuckte unser Zentralgestirn eine besonders große Wolke aus. Nach Angaben der amerikanischen Wetterbehörde NOAA ist es die größte Sonneneruption seit Dezember 2006. Noch bis morgen könne es zu Störungen von GPS-Signalen und bei der Stromversorgung kommen, hieß es weiter.

„Solche Eruptionen entstehen, wenn das Magnetfeld der Sonne instabil ist“, sagt Bernd Inhester vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPI) in Katlenburg-Lindau. Dieses Feld sei wie eine Art Käfig, der das ionisierte Gas – Plasma genannt –, aus dem der Stern zu großen Teilen besteht, zusammenhält. Das Feld sei weitaus komplexer aufgebaut als das der Erde und ist ständig in Bewegung, erläutert Inhester. An den Stellen, wo seine Stärke nachlässt, kann Material entweichen. „Dann schießen große Mengen Wasserstoff- und Heliumgas sowie schwerere Atome aus Eisen, Silizium oder Calcium heraus.“ Zehn Milliarden Tonnen Materie sind das im Schnitt bei einer Eruption. „Das entspricht etwa der Masse eines Berges, zum Beispiel des Brocken, der nicht weit von unserem Institut entfernt ist.“

Die geladenen Teilchen fliegen nicht wahllos in den Kosmos, sondern werden vom Magnetfeld in eine bestimmte Richtung gelenkt. In den meisten Fällen jagt dieser „koronale Massenauswurf“, wie Fachleute dazu sagen, von der Erde weg oder zumindest weit an unserem Planeten vorbei. Dieses Mal ist es anders. „Wir werden die Wolke nicht zentral treffen, aber wahrscheinlich in ihren Rand hineinfliegen“, sagt Inhester. Zum Glück, denn dadurch werden Schäden, wenn es sie überhaupt gibt, geringer ausfallen.

Sonneneruptionen können auf verschiedene Weise wirken. Die erste Gefahr sind Protonen, positiv geladene Teilchen, die ebenfalls bei den Ausbrüchen hervorgeschleudert werden und viel schneller fliegen als die Plasmawolke. Bereits nach einer halben Stunde erreichten sie den erdnahen Raum, berichtet der MPI-Forscher Inhester. „Sie haben sehr viel Energie und können sowohl die Wand der Raumstation als auch von Flugzeugen durchdringen.“ Astronauten und Fluggäste in großer Höhe seien deshalb besonders gefährdet. Je mehr Protonen den Körper treffen, umso größer ist die Gefahr, dass das Erbgut in den Zellen geschädigt wird und Krebs entsteht.

Dieser Protonenstrom ist über mehrere Stunden aktiv. Auf der Erde selbst ist man dank der Atmosphäre weitgehend vor dem Teilchenbeschuss geschützt.

Doch nicht nur Menschen sind gefährdet. Die energiereichen Teilchen durchdringen auch Satelliten und können deren empfindliche Elektronik schädigen. Zum Beispiel die des GPS-Systems, die rund 20 000 Kilometer über der Erde schweben. Die Protonen können dazu führen, dass sich Bauteile elektrostatisch aufladen und irgendwann wieder entladen. Kurzschluss.

Angeregt. Der aktuelle Sonnenausbruch könnte auch in unseren Breiten Polarlichter an den Himmel zaubern. Das ausgeworfene Material verbiegt das Erdmagnetfeld und ermöglicht es geladenen Teilchen, Luftmoleküle zum Leuchten zu bringen. Foto: p-a/dpa
Angeregt. Der aktuelle Sonnenausbruch könnte auch in unseren Breiten Polarlichter an den Himmel zaubern. Das ausgeworfene Material verbiegt das Erdmagnetfeld und ermöglicht es geladenen Teilchen, Luftmoleküle zum Leuchten zu bringen. Foto: p-a/dpa

© picture-alliance / dpa/dpaweb

„Die Folgen können gewaltig sein“, sagt Stephan Lechner, Direktor des Instituts für Schutz und Sicherheit der Bürger (IPSC) der Europäischen Kommission im italienischen Ispra. Dort werden unter anderem potenzielle Auswirkungen großer Solarstürme auf die Gesellschaft untersucht. Das GPS-System liefert ein Zeitsignal, das von vielen Telekommunikationsunternehmen genutzt wird, berichtet Lechner. Umfragen zufolge verließen sich manche Betreiber ausschließlich auf diesen Taktgeber. „Fehlt dieses Zeitsignal, können die kleinen elektronischen Fitzelchen der Telefongespräche nicht mehr richtig zusammengesetzt werden, das Netz bricht zusammen.“

Im günstigen Falle kann der Satellit wieder flottgemacht werden, so dass das Netz nach zwei bis drei Tagen wieder funktioniert. Schlimmstenfalls ist auch ein Totalausfall denkbar. „Es würde Jahre dauern, um Ersatz in den Orbit zu bringen“, sagt Lechner.

Rund zwei Tage nach dem Sonnenausbruch hat auch die Plasmawolke die 150 Millionen Kilometer bis zur Erde geschafft. Sie deformiert das Magnetfeld unseres Planeten und kann so Überspannungen in Überlandleitungen auslösen (siehe Kasten). Die folgenden Stromausfälle können ebenfalls gravierende Folgen haben. Allerdings gibt es hier mehr Zeit zum Warnen und eventuellen Abschalten der Netze. Doch Vorhersagen, etwa darüber, wie groß der Einfluss eines Sonnensturms tatsächlich sein wird, stünden erst am Anfang, sagt Lechner. „Man kann aber nicht jedes Mal auf Verdacht die Leitungen kappen.“

Neben den Amerikanern haben jetzt auch die Europäer ein Netzwerk zur Prognose des Weltraumwetters etabliert. Denn derartige Vorhersagen werden zunehmend wichtig. Einerseits steigt die Zahl der Ausbrüche mit der Sonnenaktivität – das nächste Maximum wird für 2014 erwartet. „Andererseits wird unsere Gesellschaft verletzlicher, weil wir immer mehr Technik nutzen, die im Weltraum stationiert ist“, sagt Lechner.

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