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Eine Forscherin betrachtet im Labor eine chemische Lösung.

© picture alliance / dpa

Europäischer Rat plant Milliardenkürzungen bei Forschung: Christian Ehler (CDU): „Mit EU-Geld zu forschen ist ein Risiko“

Eine Milliarde Euro wollen die europäischen Staatschefs aus dem für 2015 geplanten Forschungs-Haushalt streichen. Der EU-Abgeordnete Christian Ehler fürchtet, dass frustrierte Forscher in die USA abwandern.

Herr Ehler, Sie sind sehr verärgert über den Vorschlag des Europäischen Rats für den EU-Haushalt im Jahr 2015. Warum?
Der Rat schlägt Kürzungen für den Bereich Forschung und Innovation vor, die absolut inakzeptabel sind. Eine Milliarde Euro, das sind elf Prozent der ursprünglich verabredeten Summe, sollen nun doch nicht fließen. Es gibt kein anderes Politikfeld, das über Jahre hinweg solche Einsparungen verkraften muss. Schon aus dem siebten Forschungsförderprogramm, das bis 2013 lief, sind 8,6 Milliarden Euro nicht geflossen.

Warum muss der Rat sparen?

Die Staaten verschulden die EU immer weiter. Das wird mit Haushaltstricks kaschiert. Denn die Schulden werden ja nicht abgetragen, sondern immer weiter nach hinten geschoben, bis eine Lawine entsteht. Wenn es so weitergeht, wird das Ziel, drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung auszugeben, auch im Jahr 2020 nicht erreicht – dabei sollte es ja schon 2010 erreicht werden. Besonders perfide finde ich, dass die Staats- und Regierungschefs nicht aufhören, in ihren Sonntagsreden das innovationsbasierte Wirtschaftswachstum hochzuhalten. Ihr Vorgehen straft solche Versprechungen Lügen. Will man die Öffentlichkeit mutwillig in die Irre führen? Das Vertrauen in die Politik wird ruiniert.

Was würde das für die Forscher bedeuten?

Einige Ausschreibungen und ganze Förderlinien würden vermutlich komplett gestrichen werden. Es werden Zahlungsziele in die Zukunft verschoben und auf Monate und Jahre gestreckt. Laufende Projekte werden verlangsamt, Wissenschaftler müssen entlassen werden. Es wird zum Ärgernis und zum Risiko, mit EU-Mitteln zu forschen, weil sie unzuverlässig fließen. Sie werden sich dann in den USA nach etwas Besserem umsehen.

Ein Porträtfoto des EU-Abgeordneten Christian Ehler.
Christian Ehler (51) sitzt für die Brandenburger CDU im EU-Parlament und ist dort für Forschungspolitik zuständig.

©  promo

Sollte gespart werden müssen, wird dann mit dem Rasenmäher vorgegangen? Oder schont man Länder, deren Forschung unter der Bankenkrise besonders gelitten hat?

Man kann ja nur mit dem Rasenmäher vorgehen, weil an den Projekten immer mehrere Staaten beteiligt sind. Da kann man nicht sagen: „Portugal wird ausgenommen.“ Die deutschen Einrichtungen finden vielleicht Möglichkeiten, die Löcher selbst zu stopfen. Aber ihre Partner in Italien und Spanien schaffen das nicht. Das ganze Projekt ist also betroffen. Für die Forschung in manchen Ländern sind die EU-Mittel die Hauptquelle, auch für Tausende von kleinen und mittleren Unternehmen. Diese werden ebenfalls beschädigt. Auch Berliner Forschungseinrichtungen werden Probleme bekommen, wenn das Geld nicht kommt.

Welche Position hat die Bundesregierung im Rat bei diesem Thema vertreten?

Die Bundesregierung trägt die Sparvorgaben des Rats mit. Damit bin ich sehr unzufrieden. Die deutsche Austeritätspolitik wird ja schon angegriffen. Es heißt: „Ihr spart Europa kaputt.“ Es wäre doch viel besser, die Bundesregierung könnte antworten: „Nein, wir achten darauf, dass Wachstum trotz der Austerität gefördert wird.“ Es ist doch irre, wie viel Geld trotzdem in die Landwirtschaft gepumpt wird, der Agrarhaushalt wird nur um 0,1 Prozent gekürzt! Wie viele meiner Kollegen scheue ich nicht davor zurück, mich in dieser Sache mit der Bundesregierung und dem Rat anzulegen.

Wird das EU-Parlament die Kürzungsvorschläge vollständig zurückweisen?

Das Parlament ist sich in dieser Sache einig. Im November wird es Gespräche mit dem Rat geben. Gibt es keine Einigung, kann das Parlament die Kürzungen ablehnen. Aber dann gibt es keinen genehmigten Haushalt. Wir müssen jetzt überlegen, ob Verhandlungen mit dem Rat noch ausreichend sind oder ob wir vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Denn es handelt sich um einen Bruch der europäischen Verträge: Wir häufen von Jahr zu Jahr Schulden auf. Ich bin wirklich kein Alarmist. Aber irgendwann ist Schluss.

Die Fragen stellte Anja Kühne.

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