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© Imago

Evolution: Korrekturen am Stammbaum

Der Fund von ein paar Zähnen könnte sich als Sensation entpuppen. Die Fossilien zeigen, dass sich die Linien von Mensch und Affe früher als bisher angenommen trennten.

Es war am letzten Tag der Geländearbeit im Ödland Äthiopiens, als Kampiro Kairente im Februar 2006 den ersten Eckzahn des Affen entdeckte. Der Äthiopier war als Mitglied eines Forscherteams im Osten Afrikas auf der Suche nach den Anfängen der Menschheit. Im März 2007 förderte die geduldige Suche des japanisch-äthiopischen Teams weitere Backenzähne zutage, die auffällig an die eines großen Menschenaffen erinnerten.

Jetzt sorgen die Zähne für eine kleine Sensation. Im Fachmagazin „Nature“ (Band 448, Seite 921) melden die Forscher um Gen Suwa vom University Museum in Tokio, dass die Zähne möglicherweise einem Vorfahren der afrikanischen Gorillas aus dem Zeitalter des Miozän gehörten. Das ermittelte Alter des Fossilfunds: 10 bis 10,5 Millionen Jahre. Auf den Namen Chororapithecus abyssinicus getauft, ist dies der erste Nachweis eines frühen Menschenaffen aus dieser Region im nordöstlichen Afrika. Jetzt deutet alles darauf hin, dass sich die Entwicklungslinien von Mensch und Gorilla viel früher getrennt haben könnten, als bisher angenommen.

Weitere Funde aus der Gegend belegten erst kürzlich, dass die Vorfahren des Menschen bereits vor rund sechs Millionen Jahren auf zwei Beinen gingen. Bis dahin hatten Fachleute jahrzehntelang angenommen, dass der als Australopithecus bezeichnete (australopithecine) Frühmensch den aufrechten Gang erst vor etwa vier Millionen Jahren lernte.

Ausgerechnet die kritische Phase davor, als sich die Evolutionslinien von Menschen und Menschenaffen trennten, blieb bisher verborgen. Unabhängig von fossilen Überresten legen molekulargenetische Vergleiche der Erbsubstanz mit heute lebenden Menschenaffen nahe, dass sich die Vorfahren von Mensch und Schimpanse vor fünf bis sechs Millionen Jahren, die von Mensch und Gorilla vor sechs bis acht Millionen Jahren trennten.

Die jetzt auf über zehn Millionen Jahre datierten Zähne des Chororapithecus aus Äthiopien schieben die Wurzeln afrikanischer Menschenaffen weit zurück – und damit zugleich auch die der menschlichen Vorfahren. Anders ausgedrückt: Unsere vor drei bis sechs Millionen Jahren in Ostafrika auftauchenden Australopithecus-Ahnen waren offenbar äthiopischer Abstammung aus einer regenwaldfeuchten Zeit des mittleren Miozäns.

Immer häufiger hat sich Äthiopien in den letzten Jahren als Menschheitswiege erwiesen. Begonnen hat alles mit der Entdeckung des 3,2 Millionen Jahre alten Australopithecus afarensis, besser bekannt als „Lucy“, Anfang der 1970er- Jahre in der Afar-Region östlich von Addis Abeba. Jüngst wurden dort mit dem 4,4 Millionen Jahre alten Ardipithecus ramidus und dem sogar 5,7 Millionen Jahre alten Ardipithecus kadabba einige der ältesten menschlichen Fossilien entdeckt.

Spätestens seitdem kann als gesichert gelten, dass nicht nur der moderne Mensch der Gattung Homo in Afrika entstanden ist, sondern dass auch alle seine australopithecinen Ahnen aus dem östlichen Afrika stammen. Ob allerdings dieser Kontinent auch die Kinderstube aller heute lebenden Menschenaffen war, gehört zu den noch immer ungelösten Rätseln der Paläoanthropologie.

Zwar leben mit Ausnahme des auf Sumatra und Borneo vorkommenden Orang-Utans alle heutigen Menschenaffen in Afrika. Doch Affenverwandte aus dem Miozän wurden gerade in den vergangenen Jahren auch in Asien und Europa entdeckt, darunter zuletzt der 13 Millionen Jahre alte Pierolapithecus aus der Nähe Barcelonas in Spanien. Insbesondere an der Wurzel unseres Stammbaums, aus der Zeit zwischen zwölf und sieben Millionen Jahren, fehlten bislang Fossilnachweise. Lediglich ein Oberkiefer und einzelne Zähne eines Samburupithecus genannten Vertreters waren bisher aus Kenia bekannt.

So wurde spekuliert, ob die gemeinsamen Vorfahren von Gorillas, Schimpansen und Menschen möglicherweise nicht in Afrika, sondern irgendwo in Eurasien entstanden sein könnten. Chororapithecus dagegen deutet jetzt wieder auf einen afrikanischen Ursprung hin. Benannt wurde Chororapithecus nach der miozänen Chorora-Formation im Südosten des Afar-Grabenbruchs, einem weitläufigen System geologischer Bruchzonen in dieser tektonisch aktiven Gegend Afrikas.

Inzwischen hat das Team um Gen Suwa und Reiko Kono die Zähne von Chororapithecus, die von sechs oder mehr Tieren stammen, per Computertomographie (CT) untersucht. Nicht nur ihre Größe entspricht denen von Gorillas, sondern vor allem die Besonderheiten der Kauflächen. Diese Analyse verriet den Forschern spezifische Anpassungen an faserige Nahrung des miozänen Menschenaffen, der sich vermutlich von Blättern und Zweigen ernährte. Ähnliche Kaustrukturen finden sich allein bei den heutigen Gorillas. „Es sind feinste Besonderheiten der Zähne“, erläutert Gen Suwa. „Wenn diese also nicht von einem Vorfahren der Gorillas stammen, dann von einem Menschenaffen, der sich ganz ähnlich wie diese an faserige Blattnahrung anpasste und deshalb dieselben Besonderheiten der Zähne aufweist“.

Chororapithecus ist mithin entweder ein ursprünglicher Gorilla oder ein Vertreter einer bisher unbekannten Evolutionslinie, die eine ganz ähnliche Lebensweise wie diese hatte. Jedenfalls legen jüngste Forschungen in der heute trockenen Afar-Region Äthiopiens nahe, dass die Ahnen von Mensch und Menschenaffen dort einst entlang üppig bewaldeter Flusstäler gelebt haben dürften, die zu einem über lange Zeit existierenden Paläo-See führten. Die Region ist im Miozän deutlich feuchter gewesen und kam damit unserer Vorstellung vom Garten Eden sehr viel eher entgegen als jenes ausgedörrte Ödland, das die Fossilien jetzt nach mühevoller Suche preisgab.

Matthias Glaubrecht

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