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Bilder von Bertolt Brecht aus den Jahren 1918 und 1970.

© picture alliance/dpa

Exilforschung in Berlin vor dem Aus: Ein Professor wird emeritiert - und mit ihm sein Fach

Aus Berlin wurden im Nationalsozialismus zahllose Publizisten und Künstler vertrieben, die Archive sind voll von ihren Nachlässen. Erforscht hat sie Hermann Haarmann, Professor an der FU. Sein Forschungsfeld soll nun gestrichen werden.

Soeben ist die große Brecht-Edition erschienen. Über 1500 Briefe, die Bertolt Brecht zwischen 1933 und 1945 im Exil erhielt, hat der Berliner Publizistik-Professor Hermann Haarmann für eine dreibändige Ausgabe im De-Gruyter-Verlag zusammengestellt. Ein Kraftakt, sagt Haarmann, den er trotz dramatischer Finanzierungsengpässe unbedingt vollenden wollte – als womöglich letztes Ausrufezeichen der Berliner Exilforschung. Denn das Forschungsfeld, das Haarmann seit fast einem Vierteljahrhundert an der Freien Universität vertreten hat, werde es so in Berlin bald nicht mehr geben.

Zwar ist Haarmanns Vertrag an der Arbeitsstelle Kommunikationsgeschichte/Medienkulturen am Institut für Publizistik für ein Semester verlängert worden. Doch dann muss der 68-Jährige unweigerlich in den Ruhestand gehen. Bis Herbst 2015 soll seine Nachfolge geregelt sein, allerdings ohne Ausrichtung auf die Exilforschung. Diese gelte an seinem mehr und mehr sozialwissenschaftlich ausgerichteten Institut als nicht mehr zukunftsträchtig, sagt Haarmann. Man habe ihm zu verstehen gegeben, das literarische und publizistische Exil, in das seit 1933 zahllose Menschen gezwungen wurden, sei eigentlich „ausgeforscht“.

Hermann Haarmann, seit 1990 Professor für Kommunikationsgeschichte und Exilforschung an der FU Berlin.
Hermann Haarmann, seit 1990 Professor für Kommunikationsgeschichte und Exilforschung an der FU Berlin.

© Promo

Schon angesichts der umfassenden Berliner Archivbestände, die nach der Wende vor 25 Jahren mit der Zusammenlegung der beiden Akademien der Künste entstanden, sei das schlicht unwahr, sagt Haarmann. Was er jetzt zu Brechts Korrespondenzen aus dem Akademie-Archiv zog, müsse selbst zu Persönlichkeiten wie Anna Seghers oder Erwin Piscator fortgesetzt werden. Dieses Feld dürfe Berlin nicht allein auswärtigen Forschern überlassen. Vielmehr brauche die Stadt eine ausgewiesene Professur als Koordinations- und Anlaufstelle, die selber an den Archivschätzen forscht, Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern betreut und etwa auch Symposien zum Exil organisiert.

Laut FU ist Exilforschung "ein Wissenschaftsfeld von Interesse"

Wolfgang Trautwein, Direktor des Archivs der Akademie der Künste, ist alarmiert. Haarmann sei ein sehr wichtiger Partner für die Erschließung der Bestände, nicht zuletzt wegen der vielen gemeinsamen Tagungen, sagt Trautwein. „Die Akademie selber ist keine Forschungseinrichtung, für unseren Schwerpunkt zur Künstleremigration brauchen wir in der Wissenschaft verlässliche Partner vor Ort.“ Sollte das Exil-Profil der Haarmann-Professur nicht fortgesetzt werden, sei das „ein echter Verlust für die Berliner Forschungslandschaft“.

Die Freie Universität sieht keinen Handlungsbedarf. Die Exilforschung sei weiterhin „ein Wissenschaftsfeld von Interesse und es wird nach wie vor in diesem Bereich gearbeitet“, etwa am Institut für deutsche und niederländische Philologie, beantwortet FU-Sprecher Goran Krstin eine Anfrage an das Präsidium und an das Institut für Publizistik. Haarmann widerspricht: Seitdem die Germanistin Irmela von der Lühe, die etwa zum Exil der Familie Mann forschte, in den Ruhestand verabschiedet wurde, vertrete nur noch er die Berliner Exilforschung.

"akte exil": Zehn Bände mit unbekanntem Archivmaterial

Der FU-Sprecher betont zudem, bei der Ausschreibung der Nachfolge Haarmanns sei der Zusatz „Exilpublizistik“ nicht gestrichen worden. Vielmehr laute die Beschreibung der Professur schon seit 2004 „Kommunikationsgeschichte und Medienkulturen“. Haarmann, der 1990 seine Stelle als Professor für „Kommunikationsgeschichte mit dem Schwerpunkt Exil“ antrat, jedenfalls hat seinen Auftrag gewissenhaft erfüllt. Unter anderem hat er auch Werke von Alfred Kerr und Carl Einstein herausgegeben. In der Schriftenreihe „akte exil“ veröffentlichten Haarmann und sein Team seit dem Jahr 2000 zehn Bände mit bislang ungekanntem Archivmaterial zu exilierten Künstlern wie Hans Sahl, Erwin Piscator und Georges Grosz.

Haarmann: Die Erforschung des Exils ist nicht abgegolten

Als Haarmann vor 24 Jahren an die FU kam, stand die Exilforschung in hohem Kurs. In der Literaturwissenschaft wurde die Forschungsrichtung unter anderem von Eberhard Lämmert glänzend vertreten. Und 1989 war eine neue Einrichtung entstanden, das Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaft – mit einer dreijährigen Anschubfinanzierung durch die Pressestiftung Tagesspiegel, die ausdrücklich der Exilforschung gewidmet war. An dieses Institut wurde Haarmann berufen. Die Hoffnung, dass sein Fachgebiet doch noch eine Zukunft an der Universität haben könnte, verbindet er mit einem eindringlichen Appell: „Die Erforschung des deutschen Exils 1933 bis 1945 ist ebenso wenig abgegolten wie die der Geschichte des Massenmords an den europäischen Juden es je sein wird.“

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