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Trautes Heim, ein Windrad muss sein. Auch die Energiewende ist ein Fall für die Politikberatung.

© Ullstein Bild

Expertenrat: Politisches Klima

Wenn Forscher Minister beraten, kann das ziemlich schief gehen - zum Beispiel, wenn politische Spannungen in ein Expertengremium getragen werden, wo sie durch wissenschaftliche Autorität aufgelöst werden sollen.

Die Sphären Wissenschaft und Politik haben normalerweise wenig miteinander zu tun. In der einen wird tiefschürfend getüftelt, der Wahrhaftigkeit verpflichtet. In der anderen kämpft man zäh um Zustimmung, erstrebt Legitimation und Macht. Wissenschaft und Politik – das ist wegen der unterschiedlichen Interessen, Mittel und Ziele ein ungleiches Paar.

Wollen Forscher Politiker beraten, geht das manchmal ziemlich schief. Die Erfahrung machte kürzlich die deutsche Technikakademie Acatech. Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft sollten für ein Strategiepapier Vorschläge ausarbeiten, wie sich das Land an den Klimawandel anpassen kann. Doch dann warfen vier Wissenschaftler noch vor der Publikation des Papiers hin, darunter bekannte Köpfe wie Hans von Storch, Klimaforscher in Geesthacht, und Paul Becker, Vizechef des Deutschen Wetterdienstes.

„Wir können das Papier aus mehreren Gründen nicht mittragen“, erklärten die Abtrünnigen. Die Ergebnisse der Klimaforschung seien verlässlicher, als dargestellt. Außerdem hätte aus ihrer Sicht stärker betont werden müssen, wie wichtig es sei, Treibhausgase zu vermeiden. Mutmaßlich haben auch persönliche Animositäten zum Zerwürfnis beigetragen. Einer der Koordinatoren des Positionspapiers war Fritz Vahrenholt – der hatte in einem im Februar veröffentlichten Buch polemisch die Mainstream-Klimaforschung angegriffen.

Der Streit bei Acatech ist nichts Ungewöhnliches. Wenn Wissenschaftler Politiker beraten sollen, kommen sie zuweilen ins Schleudern. Schwierig wird es vor allem, wenn das Risiko und die Ungewissheit in dem Beratungsfall besonders groß sind. Egal, ob es um Klimaforschung, Kernenergie, Gentechnik, Erdbeben oder Präimplantationsdiagnostik geht.

Nicht wenige Politiker spannen Experten für ihre Zwecke ein, um so einen Mangel zu kaschieren: Immer weniger Menschen lassen sich durch gemeinsame Wertüberzeugungen mobilisieren. Also holen sich Politiker die Legitimität von den Forschern. Sie haben den Ruf, ehrlich und objektiv zu sein. Von der Unsicherheit und Vorläufigkeit des Wissens wollen Politiker dabei am liebsten nichts hören.

„Dreht sich der politische Wind, kann sich vieles sehr schnell ändern“, sagt der Soziologe Ortwin Renn von der Universität Stuttgart. Er hat mehrmals erlebt, wie wenig sich die Politik um beratende Wissenschaftler schert. Renn erinnert an die Risikokommission, die im Jahr 2000 von den Ministerien für Umwelt und Gesundheit einberufen wurde. Sie sollte umweltbedingte Gesundheitsrisiken begutachten. Als ein neuer Ministerialreferent kam und die Fragestellung zu einer Sache der EU erklärte, sei die Kommission plötzlich wertlos geworden. „Alles implodierte, wir standen im Regen“, sagt Renn.

Auch Wissenschaftler interpretieren ihre Rolle als Berater unterschiedlich. Manchen Spezialisten fällt es schwer, ihr Fachwissen für Politiker leicht verständlich darzustellen. Die Folge sind Missverständnisse und willkürliche Interpretationen. Andere Forscher kommen der Politik entgegen, weil sie die Rolle als Berater lieben. Endlich sind sie im Bereich der Macht angekommen, der ihnen sonst versagt ist. Solche Experten sortieren im Vorhinein Ratschläge aus und nehmen so Einfluss auf Entscheidungen der Regierung oder des Parlaments. Rund um die Energie- und Klimapolitik sind immer wieder solche Beratungsfälle zu beobachten. „Wenn Wissenschaftler sich zu sehr als Politiker verstehen, übersteigen sie eine Grenze und machen sich angreifbar“, meint Renn dazu. Es sei schon gut, dass es da eine Trennlinie gebe.

Generell fragen Kritiker, ob man aus der Forschung direkt Anleitungen zum politischen Handeln ableiten sollte oder ob das nicht die gesellschaftliche Freiheit einschränkt. „Der hauptsächliche Fehler in der wissenschaftlichen Politikberatung besteht darin, dass Politiker Sachzwänge fordern und Wissenschaftler Sachzwänge liefern“, sagt Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor an der TU Berlin. Das Wort „alternativlos“, meint er, solle man streichen.

Edenhofer, der als leitender Mitarbeiter im Uno-Klimarat reichlich Erfahrung hat, plädiert für einen pragmatischen Umgang mit der Politikberatung. Die Forscher sollten sich als Kartografen möglicher Wege verstehen und die Suche nach Kompromissen den Politikern überlassen. Ähnlich argumentierte die Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) 2008, als sie einen Leitfaden zur wissenschaftlichen Politikberatung herausgab. Die Autoren, darunter Ortwin Renn, empfahlen vor allem drei Dinge: Die Wissenschaftler müssten große Distanz zur Politik bewahren, in den Gremien sollten vielfältige Expertisen und Meinungen vertreten sein, und der Entscheidungsprozess der Berater müsste transparent und öffentlich gemacht werden.

So ein Leitfaden allein hilft allerdings nicht immer. Laut Acatech-Präsident Reinhard Hüttl hatte man sich bei der Vorbereitung des Positionspapiers zum Klimawandel an dem BBAW-Dokument orientiert. Es kam trotzdem zum Eklat.

Vielleicht gibt es ja eine grundsätzliche Schwierigkeit bei solchen Beratungen. „Der übertrieben hohe Anspruch wissenschaftlicher Autorität ist ein Problem“, meint Daniel Sarewitz. Er ist der Direktor des Consortium for Science, Policy & Outcomes an der Arizona State University, eines Netzwerks, das die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für politische Entscheidungen fördert. Sarewitz empfiehlt, zu vermeiden, dass politische Spannungen in eine beratende Kommission getragen werden, wo sie durch wissenschaftliche Autorität aufgelöst werden sollen. Oft ließen sich in umstrittenen Beratungsfällen die Wogen glätten, wenn die politische Gemengelage schon zu Beginn geklärt worden sei. Man solle offenlegen, welchem politisch-ideologischen Lager die einzelnen Teilnehmer eines Beratungsgremiums angehörten.

Aber hätte das im Streit um das Acatech-Papier geholfen? Dass Klimaforscher und Wirtschaftsvertreter unterschiedlich über Klimaschutz denken, dürfte niemand überraschen. Sicher ist: Am Ende fielen die Empfehlungen des Papiers ziemlich unkonkret und nichtssagend aus. Vielleicht wollte man keinen Anlass zu weiterem Streit geben. Der Königsweg der wissenschaftlichen Politikberatung, er ist noch nicht gefunden.

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