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Dem Gehirn kann man nur begrenzt beim Arbeiten zusehen. Forschende nutzen Darstellungen wie diese, um die Therapie für Parkinson zu verbessern.

© Andreas Horn

Exzellenzcluster NeuroCure: „Kein Organ ist so komplex“

Der Neurowissenschaftler Dietmar Schmitz möchte das Gehirn besser verstehen, um neue Therapien zu entwickeln.

Die Zahl der neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen steigt stetig. Im Exzellenzcluster NeuroCure an der Charité – Universitätsmedizin Berlin tragen Wissenschaftler und Ärzte zur Aufklärung dieser Krankheiten bei. Professor Dietmar Schmitz, Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums der Charité und Sprecher von NeuroCure, informiert über den Stand der Forschung zu Vorgängen in unserem Gehirn und die Entwicklung neuer Therapien.

Herr Professor Schmitz, was begeistert Sie am menschlichen Gehirn?

Für mich ist das Gehirn das spannendste Organ überhaupt. Bei den meisten anderen Organen, wie etwa dem Herz oder der Lunge, kann man unmittelbar zusehen, wie sie funktionieren. Beim Gehirn ist das erst sehr begrenzt möglich. So vieles ist noch unverstanden – das ist unglaublich faszinierend. Je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr Fragen kommen auf, denn kein Organ ist so komplex wie das Gehirn. Wir suchen natürlich auch permanent nach Antworten.

Welche Antworten konnten Sie bislang finden?

Es sind viele kleine Beobachtungen in verschiedenen Laboren und Arbeitsgruppen, die die Hirnforschung in den ganz großen Fragen voranbringen. Oft liefern unsere Ergebnisse zunächst die Grundlage für weitere Untersuchungen zu neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Wir konnten etwa zeigen, inwiefern die Funktionen von Nervenzellen bei einer Spezialform der Demenz gestört sind. Mit diesem Wissen können wir die Krankheit besser verstehen und behandeln.

Was sind die Forschungsschwerpunkte von NeuroCure?

Um zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert – wie wir denken und fühlen – arbeiten bei uns viele Forschergruppen aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammen. Wir untersuchen beispielsweise, wie Gehirnzellen miteinander kommunizieren und wie Lernen und Gedächtnisbildung ablaufen.

Wie muss man sich die Kommunikation zwischen Gehirnzellen vorstellen?

Die Kommunikation zwischen Nervenzellen bildet die Grundlage der Funktionen des menschlichen Gehirns. Die Signalübertragung erfolgt dabei über hochkomplexe Kontaktstellen, die Synapsen. Eingehende Signale bewirken, dass aus sogenannten Vesikeln Überträgerstoffe ausgeschüttet werden. Diese setzen dann an der nachgeschalteten Zelle an. Dadurch werden die Informationen weitergeleitet. Bei neuronalen und psychiatrischen Erkrankungen sind oft die Prozesse an den Synapsen gestört.

In NeuroCure beschäftigen Sie sich nicht nur mit einem Krankheitsbild des zentralen Nervensystems, sondern mit mehreren. Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Da gibt es viele: Wir erforschen unter anderem die plastischen Veränderungen des Gehirns nach Schlaganfällen und ihren Einfluss auf verschiedene kognitive Fähigkeiten. Außerdem untersuchen wir Traumata in der frühen Kindheit und ihren Einfluss auf die Gehirnentwicklung. Eine Forschergruppe arbeitet an Autoimmunerkrankungen des Gehirns. Bei solchen greift das Immunsystem Hirnzellen an und löst so schwere Symptome aus, etwa Demenz, epileptische Anfälle oder Psychosen. Auch in der Altersforschung sind wir sehr aktiv: Wir untersuchen, zunächst an Fliegen und Mäusen, ob die Gedächtnisleistung nach der Einnahme von natürlichen Pflanzeninhaltsstoffen – wie Spermidin – besser wird.

Was bewirkt dieser Stoff?

Spermidin kurbelt den zellulären Abbau von geschädigten Zellteilen an und gaukelt den Zellen zudem ein Fasten vor. Beides wirkt sich positiv auf die Gesundheit von Gehirnzellen aus und könnte zukünftig interessant zur Vorbeugung von Demenzerkrankungen sein.

Können Sie schon abschätzen, wann Demenz heilbar sein wird?

Das wissen wir leider noch nicht, und da kann man sehr schwer Prognosen abgeben. Es gibt verschiedene Formen von Demenz, die wohl bekannteste ist Alzheimer. Für die Mehrzahl gibt es derzeit noch keine Therapie, die zu einer Heilung führt, da die Ursachen noch immer nicht zufriedenstellend geklärt sind. Deshalb liegt ein Fokus der Behandlung darin, die Lebensqualität der Patienten und ihrer Angehörigen zu verbessern. In enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen forschen wir weiter intensiv, um Therapien für Demenzerkrankungen zu entwickeln. Gerade wurden sehr spannende Ergebnisse zum Zusammenhang von Gehirnfunktionen und dem Immunsystem veröffentlicht. Doch bis solche wissenschaftlichen Erkenntnisse in eine mögliche Behandlung übertragen werden können, braucht es seine Zeit.

Wie lange dauert es, bis eine neue Therapie entwickelt ist?

Das kommt darauf an, um welche Erkrankungen und Therapien es sich handelt. Es ist auch davon abhängig, ob ein neues Medikament oder ein Medizinprodukt – etwa ein Implantat zur Hirnstimulation bei Patienten mit Parkinson – entwickelt wird. Beide müssen auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit geprüft werden. Studien dazu sind extrem unterschiedlich mit Blick auf den zeitlichen und finanziellen Aufwand. Zusätzlich benötigt man zahlreiche Studienteilnehmende. Durchschnittlich muss man mit etwa 15 Jahren von der Idee für eine neue Behandlung bis zum zugelassenen Medikament rechnen. Wir versuchen schneller zu sein.

Das Interview führten Linda Tidwell und Julia Drews.

Linda Tidwell, Julia Drews

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