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Eine ausgewachsene Schwarze Soldatenfliege.

© Agriprotein

Larven der „Black Soldier Fly“: Wie diese Soldaten aus Mist Geld machen können

Die Larven einer Fliegenart verwandeln selbst Fäkalien in hochwertiges Eiweiß. Aus Müll könnte so Tierfutter werden, doch noch gibt es Probleme.

Ahmed Modawi fegt. Große, wespenähnliche Fliegen liegen tot auf dem Betonboden in Surabaya, der zweitgrößten Stadt Indonesiens. Für diese Arbeit ist er extra 20 Stunden aus der sudanesischen Hauptstadt Khartoum hierher geflogen. Tote Fliegen aufzufegen, ist Teil der elftägigen Ausbildung im Fliegenfarming. "Ich habe nach einem Projekt gesucht, das meinem Land dient, mit dem ich aber auch Geld verdienen kann", sagt Modawi, ein Ingenieur, der zuvor im Ausland in der Öl- und Gasexploration gearbeitet hat. Gefunden hat Modawi die Soldatenfliege.

Soldatenfliegen sind nicht wie andere Fliegen

Das Insekt sieht recht unspektakulär aus, einfach nur sehr schwarz. Daher kommt auch die englische Bezeichnung "black soldier fly". Männliche Fliegen sind etwa 14, weibliche 17 Millimeter lang, ihr Körper ist schmal. Interessanter sind aber ihre anderen Merkmale.

Soldatenfliegen sind insofern ungewöhnlich, als dass sie in ihrem erwachsenen, geflügelten Stadium keine Nahrung zu sich nehmen. Sie belästigen Menschen nicht und verbreiten keine Krankheiten wie andere Fliegen, die von Nahrungsquelle zu Nahrungsquelle fliegen. Stattdessen fressen sie sich in ihrem jüngeren, wurmartigen Larvenstadium mit einem Riesenhunger an faulenden Pflanzen und Tierabfällen dick und fett.

Unzählige Soldatenfliegenlarven machen sich über Bioabfälle her.
Unzählige Soldatenfliegenlarven machen sich über Bioabfälle her.

© Eeewag

So vollgefressen, stellen sie wiederum eine hervorragende proteinreiche Nahrungsquelle für andere Tiere dar, etwa für Fisch und Geflügel. Diese Eigenschaften machen die Soldatenfliege zu einer geradezu idealen Hauptkomponente einer Art biologischen Abfallverarbeitungstechnologie.

Den Wert aus dem Müll herausholen

In Surabaya hat das Schweizer Forschungsinstitut Eawag eine Demonstrationsanlage gebaut. So will man zeigen, wie die Fliegen in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Bruttoinlandsprodukt für lokale Märkte Bioabfall verarbeiten und nutzbar machen können. Das Unternehmen Waste4Change hat die Anlage im vergangenen Jahr übernommen. Es ist damit eines von immer mehr Unternehmen weltweit, die Insekten züchten; in Maßstäben von klein bis industriell, und in ganz verschiedenen Kontexten.

Dazu gehört auch, aus Müll wertvolles Eiweiß zu machen. "Vor Kurzem haben die Menschen erkannt, dass organischer Abfall nicht nur ein Nährboden für Krankheitserreger ist, sondern auch einen Wert hat", sagt der Chemieingenieur Harro von Blottnitz von der Universität von Kapstadt in Südafrika. Soldatenfliegen-Anlagen, so der Abfallexperte, nutzen einen natürlichen Prozess, "um diesen Wert dort wieder herauszuholen".

Die Demonstrationsanlage im indonesischen Surabaya.
Die Demonstrationsanlage im indonesischen Surabaya.

© Risyiana Muthia

Die Spezies mit dem wissenschaftlichen Namen Hermetia illucens ist in den tropischen und subtropischen Regionen Amerikas beheimatet. Aufgrund des zunehmenden internationalen Transports verbreitete sich die Soldatenfliege ab den 1940er Jahren jedoch weltweit, vor allem in wärmeren Regionen. In Europa hat sie sich in den 50ern und 60ern an den Mittelmeerküsten Spaniens, Frankreichs und Italiens niedergelassen. 2010 wurde sie in Deutschland erstmals nachgewiesen.

Die Larven riechen recht unappetitlich nach Fisch

Obwohl Menschen weltweit viele Arten von Insekten als Nahrungsmittel nutzen, haben Forscher nur sehr wenige gefunden, die die Larven der Soldatenfliegen essen. Das liegt zum einen daran, dass sie nicht sehr appetitlich nach Fisch riechen. Ein weiterer Grund ist, dass die Larven häufig Substanzen besiedeln, die Ekel hervorrufen oder mitunter sogar gefährlich sein können. Genau diese Tendenz aber macht sie so attraktiv für die Abfallwirtschaft.

Seit die Art ab den 1990er Jahren intensiver erforscht wird, haben Wissenschaftler die Larven auf einer Vielzahl von Abfällen aufgezogen. Darunter waren faulendes Obst und Gemüse, Kaffeebohnenreste, Schweine- und Geflügelmist und sogar Toilettenabfälle. An all diesen Abfällen fraßen sich die Fliegenlarven gierig satt.

Dabei wandelten sie den Müll in hochwertiges Eiweiß um – und das wesentlich schneller als andere Insektenarten. So fettgefressen, können sie an Schweine, Hühner und Fische verfüttert werden. Das ist umweltverträglicher als viele andere Fütterungsoptionen, etwa Fischmehl oder -öl, deren Produktion zur Überfischung der Meere beiträgt.

Beim Fressen formen die Larven einen Brunnen

Wie aber gelingt es den Larven der Soldatenfliege, sich Abfälle aller Art so schnell einzuverleiben? Das haben Forscher der Georgia Tech University in Atlanta untersucht. Ihre Ergebnisse haben sie im Februar dieses Jahres im Fachmagazin "Journal of the Royal Society Interface" veröffentlicht.

Mit einer Hochgeschwindigkeits-Videokamera beobachteten sie den Soldatennachwuchs beim Fressen. "Wir haben gesehen, dass die Larve zwei Zähne benutzt, um sich auf diese Weise Nahrungsstücke herauszuschälen", sagt die Ingenieurswissenschaftlerin und Erstautorin der Studie Olga Shishkov. Bei den Worten "auf diese Weise" bewegt sie ihre Zeigefinger abwechselnd auf und ab, wie beim Tippen mit Zweifingersystem. "Aber es ist kein sehr kraftvoller Mund", und so ergebe es Sinn, dass die Larven weiche, zerkleinerte Lebensmittel bevorzugen.

Mit Zeitraffervideos analysierten die Wissenschaftler außerdem die kollektive Bewegung der Larven-Armee beim Fressen. Sie stellten fest, dass die fressenden Larven dabei ähnlich eines wallenden Brunnens agieren. Hungrige Larven kämpfen sich von unten zur Nahrungsquelle, fressen, und werden dann von einer nachrückenden Larve verdrängt. An der Spitze des Nahrungshaufens – also am Oberrand des "Brunnens" – fallen sie schließlich wieder herunter. Dies stelle sicher, dass jede gesättigte Larve "tatsächlich durch eine hungrige Larve ersetzt werden kann, die sich einfach dahinter drängt", sagt Shishkov. So gelingt es den Soldatenfliegenlarven, in kurzer Zeit viel Abfall zu fressen.

Bioabfall von einem nahen Markt wird geschreddert, bevor er an die Larven verfüttert wird.
Bioabfall von einem nahen Markt wird geschreddert, bevor er an die Larven verfüttert wird.

© Risyiana Muthia

So viel, dass sich einige Unternehmen schon große Gewinne mit den kleinen Lebewesen erhoffen. In Kapstadt hat die Firma Agriprotein unlängst ihre drei Jahre alte Demonstrationsanlage technisch aufgerüstet, um zu beweisen, dass das Prinzip grundsätzlich funktioniert. Aus den 40 Tonnen Lebensmittelabfällen, die die Anlage pro Tag aufnimmt, kann sie eine Tonne Insektenprotein produzieren.

Das gelingt mit mehreren Milliarden Fliegen und 140 Angestellten vor Ort. Agriprotein will bald in Südkorea, den Vereinigten Staaten und den Niederlanden mit sechsmal so großen Anlagen den ersten Schritt zu einer echten Kommerzialisierung in großem Maßstab schaffen. Das Ziel allerdings wird dabei dasselbe bleiben: den Lebenszyklus der Soldatenfliegen zu kontrollieren, um Abfall so effizient wie möglich in Protein umzuwandeln.

Zwei patentierte Produkte gibt es bereits

In Kapstadt sieht der Prozess derzeit so aus: Die Fliegen paaren sich und legen ihre Eier in weiße Gitterkäfige. Die Arbeiter überführen die Eier in einen Brutkasten, wo die Larven schlüpfen. Sie sind nicht größer als Sandkörner. In Behältern wachsen die Larven zuerst auf einem speziell zubereiteten Futter und, sobald sie größer sind, auf zerkleinerten Speiseresten. Diese stammen von umliegenden Supermärkten und Lebensmittelverarbeitungsbetrieben.

Sobald die Larven ausgewachsen und fast bereit sind, sich in Fliegen zu verwandeln, werden sie mit heißem Wasser getötet und zu zwei patentierten Produkten verarbeitet. Das erste ist ein proteinreiches Pulver, das in Futter für Fische, Hühner, Schweine und Haustiere gemischt werden kann. Das zweite ist ein Öl, das sich ebenfalls als Futterzusatz verwenden lässt. Aber auch Anwendungen in der Kosmetik und in industriellen Prozessen gibt es bereits. Was übrig bleibt – hauptsächlich der Kot der Larven – kann als Dünger dienen.

Im Forschungs- und Entwicklungslabor von Agriprotein überwachen Wissenschaftler etwa die genetische Gesundheit der Fliegenpopulation, um sicherzustellen, dass es nicht zu Inzucht kommt. Und sie entwickeln und testen neue Produkte, die aus den Larven hergestellt werden können, etwa eine Akne-Creme. Sogar das Chitin, eine in den Exoskeletten aller Insekten enthaltene faserige Substanz, kann in der Medizin verwendet werden. "Der nächste Schritt ist jetzt, das Chitin rein und wasserlöslich zu machen", sagt Anandi Bierman, ein leitender Forscher in der Genetikabteilung.

Die Insekten gelten als Nutztiere

Aber nicht nur die Fliegen werden erforscht, sondern auch deren Nahrung. Ein Schwesterunternehmen von Agriprotein befasst sich etwa mit Schlachthausabfällen und menschlichen Fäkalien. Ein anderes konzentriert sich auf den europäischen Markt mit seinen spezifischen Regularien, zum Beispiel was die Larven fressen und an welche Tiere sie verfüttert werden dürfen.

In vielen Ländern hemmen solche Regularien den Vormarsch der Fliegen-Soldaten. Oft geht es dabei um Krankheiten, die sich ausbreiten können, wenn Tiere andere infizierte Tiere fressen. So kann das Verfüttern von Tiermehl an Rinder etwa zur Übertragung der Tierseuche BSE führen. Ursache des Verfalls der Hirnsubstanz sind in diesem Fall vermutlich fehlgefaltete Proteine, sogenannte Prionen.

Bei Insekten haben Forscher bisher aber keine ähnlichen Risiken gefunden. Die EU-Gesetzgebung erlaubt derzeit die Verwendung von Eiweiß von nur sieben Insektenarten – einschließlich Soldatenfliegen – in Aquakulturfuttermitteln. Geflügel- und Schweinefutter könnten bald folgen. Das sie als Nutztiere gelten, dürfen die Insekten in der EU jedoch nicht mit Wiederkäuer-Proteinen, Küchen- und Speiseabfällen, Fleisch- und Knochenmehl sowie Gülle oder menschlichem Kot gemästet werden.

Fischer könnten damit ihre eigene Fischnahrung herstellen

In Indonesien dürfen die Larven der Soldatenfliege verkauft werden, aber sie sind derzeit noch teurer als andere Proteinquellen auf dem Markt. Deshalb ist Waste4Change auf andere Einnahmequellen angewiesen, zum Beispiel Schulungen und den Verkauf von Ausrüstung. "Viele unserer Schüler sind Fischzüchter und sie sind daran interessiert, eine Technologie zu finden, die es ihnen ermöglicht, das Fischfutter selbst herzustellen", sagt Teguh Rahayu. Sie leitete bei Waste4Change die Aufzucht der Larven, bevor sie im Januar mit zwei Kollegen ihre eigene Beratungsfirma für Soldatenfliegen-Technologie gründete.

In Indonesien allerdings gibt es bei alledem noch ein Problem: Die Unternehmer haben schlicht Probleme, genügend organische Abfälle für die Fütterung der Fliegen zu beschaffen. Der lokale Markt gibt nicht so viel her wie erhofft, und ein Sammelsystem, für das die privaten Haushalte organische Abfälle trennen müssten, gibt es bisher nicht.

Ahmed Modawi ist nach dem Kurs im Fliegenfarming mittlerweile zurück im Sudan – und dort bereits auf mehrere Hürden gestoßen. Aus den Eiern, die er zurückbrachte, schlüpften Larven, die auch zu Fliegen wurden. Aber aus den Eiern dieser Fliegen schlüpfte nichts mehr, möglicherweise aufgrund der niedrigen Luftfeuchtigkeit. Aufgrund der instabilen politischen Lage im Sudan muss er auch immer wieder Verzögerungen in Kauf nehmen. Trotzdem möchte er auch andere dazu ermutigen, Soldatenfliegen zu züchten, anstatt auf Deponien Müll zu sammeln. So hoffe er, eines Tages beides zu schaffen: "Geld zu verdienen und zu helfen."

Die Recherche wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung des European Journalism Centre.
Übersetzung aus dem Englischen: Richard Friebe.

Chelsea Wald

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