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Teure Technik. Mit dem Aufwand für die technische Ausstattung eines Projekts steigen die Kosten. Das bringt Unis mit starken Natur- und Technikwissenschaften in Rankings ganz nach vorne. Im Bild ein Aquarium, das die Uni Erlangen-Nürnberg ins All schickte.

© dpa

"Fetisch Drittmittel": Forschung falsch vermessen

Wider den Drittmittel-Wahn: Wissenschaftliche Qualität zeigt sich in Ergebnissen, nicht in Kosten. Noch hat niemand wegen eines hohen Drittmittelaufkommens einen Nobelpreis bekommen.

Einer der bekanntesten Soziologen des 20. Jahrhunderts, Niklas Luhmann, schreibt in der Einleitung zu seinem Opus Magnum einer Gesellschaftstheorie: „Bei meiner Aufnahme in die 1969 gegründete Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld fand ich mich konfrontiert mit der Aufforderung, Forschungsprojekte zu benennen, an denen ich arbeite. Mein Projekt lautete: Theorie der Gesellschaft; Laufzeit: 30 Jahre; Kosten: keine.“

Nach heutigen Maßstäben wäre Luhmann damit ein uninteressanter Professor für jede Universität. Denn das Ansehen einer Universität hängt inzwischen maßgeblich davon ab, wie ihre Professoren beim Einwerben von Forschungsgeld, den Drittmitteln, abschneiden. Von den eingeworbenen Drittmitteln hängt auch der Zuschuss vom Staat ab. So bekommen die Berliner Universitäten 60 Prozent ihrer Mittel nach ihren Leistungen in Forschung und Lehre. In der Forschung wird vor allem belohnt, wenn viele Drittmittel eingeworben wurden.

Es sind die Zentralakteure des deutschen Wissenschaftssystems selbst, allen voran die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die die Drittmittel zum wichtigsten Maßstab erhoben haben. So publiziert die DFG alle drei Jahre eine viel beachtete und wirkungsmächtige Rankingtabelle der deutschen Universitäten. Ganz oben in der Hitparade stehen diejenigen Universitäten, denen es gelungen ist, die meisten Fördermittel einzuwerben.

Aber lässt sich Forschungsqualität wirklich am besten über Drittmittel nachweisen? Wohl kaum. Die Gelder selbst sind ja kein Resultat, sie ermöglichen zunächst nur, dass Forschung beginnen kann. So können mit den eingeworbenen Mitteln Labore eingerichtet und Personal eingestellt werden, das sich dann an die Arbeit macht und Forschungsergebnisse produziert. Die Qualität von Forschung hängt letztendlich aber davon ab, was hinten rauskommt. Darum hat noch niemand wegen eines hohen Drittmittelaufkommens einen Nobelpreis bekommen, sondern nur wegen guter Erkenntnisse, die sich in Publikationen und Patenten manifestieren.

Man stelle sich einen Automobilkonzern vor, der eine überdurchschnittliche Menge an Kapital oder Arbeitszeit benötigt, um seine Autos zu produzieren. Man käme nicht auf die Idee, die Leistung des Unternehmens am Verbrauch des Kapitals und der Arbeitszeit zur Herstellung von Fahrzeugen zu messen. Ganz im Gegenteil: Das eingesetzte Kapital steht im Nenner des Quotienten der Berechnung der Produktivität. Nicht anders verhält es sich mit der Forschung. Entscheidend für die Qualitätseinschätzung von Forschung sind deren Ergebnisse und nicht die eingesetzten Mittel.

Drittmittel könnten nur dann die faktischen Forschungsleistungen sinnvoll abbilden, wenn sie als plausible Ersatzmessung dienen. Und dies ist dann gegeben, wenn mit einem hohen Drittmittelaufkommen einer Universität oder eines Instituts auch gute Publikationen oder viele Erfindungen einhergehen. Ob das der Fall ist, ist eine Frage, die man empirisch prüfen kann, indem man analysiert, ob diejenigen, die viele Gelder eingeworben haben, auch wirklich produktiver sind, also mehr und in besseren Fachzeitschriften und bei besseren Verlagen publizieren.

Auch wenn der Forschungsstand zu dieser Frage nicht zufriedenstellend ist, sind die bisher vorliegenden Ergebnisse recht ernüchternd. Es zeigt sich, dass die eingeworbenen Gelder keinen guten Indikator zur Messung von Forschungsleistungen bilden, weil der statistische Zusammenhang zwischen Forschungsgeldern und Publikationen und Zitationen nicht besonders ausgeprägt ist. Dies gilt für die verschiedenen Fächer allerdings in einem unterschiedlichen Maße. Natur- und vor allem technikwissenschaftliche Forschung bedarf meist einer Apparateausstattung, ohne die eine Forschung gar nicht möglich ist. Diese Ausstattung muss zumindest partiell über Drittmittel finanziert werden. In den Geisteswissenschaften ist häufig eine gute Bibliothek, die bereits zur Verfügung steht und nicht gesondert beantragt werden muss, eine hinreichende Voraussetzung, um mit der Forschung beginnen zu können.

Der Versuch, die Qualität von Forschung an Drittmitteln messen zu wollen, ist fragwürdig und reformbedürftig. Das gilt auch für die Art und Weise, wie dabei vorgegangen wird. So wie zwei Bauarbeiter einen Lkw mit Sand in der Regel doppelt so schnell abladen wie ein Bauarbeiter, so wirbt eine Universität, die über eine große Anzahl an wissenschaftlichem Personal verfügt, mehr Drittmittel ein als eine Universität mit relativ wenig wissenschaftlichem Personal. Angesichts der Trivialität dieses Sachverhalts ist es völlig unverständlich, dass immer wieder Rankingtabellen veröffentlicht werden, die auf absoluten Zahlen beruhen und nicht das Verhältnis zum wissenschaftlichen Personal berücksichtigen.

Auch die Summe der benötigten Drittmittel variiert je nach Fach gewaltig. Eine beantragte Ausstattung mit technischen Apparaten ist eine ganz andere Finanzgröße als die Beantragung einer halben Mitarbeiterstelle für ein geisteswissenschaftliches Projekt. Ein Projekt, das zwei Millionen verschlingt, muss nicht fünfmal besser sein als ein Projekt, das 400 000 Euro kostet. Da der Drittmittelbedarf systematisch zwischen den verschiedenen Fächern variiert, hat dies unmittelbare Folgen für die Rankingtabellen, da sich diese allein auf die absoluten Summen der Drittmittel beziehen.

Entsprechend schneiden die naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten Universitäten und Fachbereiche in der Regel in den drittmittelbasierten Rankings deutlich besser ab als die geistes- und sozialwissenschaftlichen Universitäten und Fachbereiche. Auch eine solche Verzerrung ließe sich leicht korrigieren, indem man nicht die Summe der Drittmittel, sondern etwa die Anzahl der bewilligten Projekte berücksichtigt und dies unabhängig von der Bewilligungssumme.

So wünschenswert solche Verbesserungen der Handhabung des Drittmittelindikators auch sind, letztendlich wird dies dem internationalen Abschneiden der deutschen Universitäten wenig nützen. Denn hier steht Deutschland mit seiner Fetischisierung der Drittmittel ziemlich allein da. Die Qualität der Publikationen, die Rezeption durch die Fachkollegen, wie sie sich zum Beispiel in Zitationen manifestieren, und Erfindungen in Form von Patenten bilden im Ausland den Goldstandard. Will das deutsche Wissenschaftssystem im internationalen Leistungsvergleich besser abschneiden, müssen zukünftig Publikationen und Zitationen zu den zentralen Indikatoren der Leistungsbemessung werden.

Der Wissenschaftsrat berät gerade eine Stellungnahme zur zukünftigen Entwicklung des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Wettbewerbliche Verfahren zwischen Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen, wie wir sie seit der Exzellenzinitiative kennen, sollen offenbar fortgesetzt werden. Um die Teilnehmer an den Wettbewerben vergleichen zu können, bedarf es wiederum guter Kriterien der Leistungsmessung. Man kann nur hoffen, dass sich der Wissenschaftsrat kritisch mit dem Drittmittelkult der Leistungsmessung auseinandersetzt und alternative Vorschläge erarbeitet.

- Jürgen Gerhards ist Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Der Artikel bezieht sich auf seine Studie „Der deutsche Sonderweg in der Messung von Forschungsleistungen“, die von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht wurde.

Jürgen Gerhards

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