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© dpa

Finanzkrise: Konjunktur für Wirtschaftsprofessoren

Derzeit haben Finanzexperten in den Medien und an den Universitäten Konjunktur. Die Wissenschaftler erwarten ein Semester voller interessanter Debatten mit ihren Studenten. Nur einer will nichts von ihrem Sachverstand wissen: die Bundesregierung.

Helge Berger hat ein paar Minuten Zeit – nicht selbstverständlich in diesen Tagen. Er sitzt im Taxi, kommt gerade aus einem Fernsehstudio, wo er zur Finanzkrise interviewt wurde. Seit die Freie Universität den Professor für Geldtheorie und Geldpolitik den Medien als Experten empfohlen hat, jagt ein Termin den nächsten.

Die internationale Finanzkrise ist an den Hochschulen angekommen. Selten war die Nachfrage von Journalisten nach wissenschaftlicher Expertise so groß, sagen Berger und seine Kollegen aus den Wirtschaftswissenschaften und dem Wirtschaftsrecht. Anfragen aus der Politik ließen dagegen auf sich warten.

Die Krise als Geschäft

Auch Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim, hetzt von Interview zu Interview. Er genießt offensichtlich die Aufmerksamkeit für sein eher sprödes Fachgebiet. Burghof hat sich in Dissertation und Habilitation mit Bankenaufsicht und Kreditrisikotransfer beschäftigt. Eine "bessere" Krise werde ihm in seinem Leben wohl nicht wieder begegnen, sagt Burghof.

Der Wirtschaftsrechtler Hans-Peter Schwintowski von der Humboldt-Universität dagegen hat kaum Zeit für Interviews. Er sei vollauf mit den Vorbereitungen für den Semesterstart in der kommenden Woche beschäftigt, sagt Schwintowski. Seine Vorlesung handelt vom Banken- und Kapitalrecht – da will der Jurist alle Fragen der Studierenden zu den aktuellen Entwicklungen beantworten können.

Auch für Helge Berger steht fest, dass er seine Vorlesungen mit der Krise beginnen wird. Zweifellos würden sich auch zahlreiche Abschlussarbeiten mit dem Thema befassen. Eine von ihm betreute Dissertation über Vermögenspreisblasen hat ganz neue Aktualität erhalten.

Die Bundesregierung spricht nur mit Banken

Dass die Finanzkrise Deutschland so stark trifft, hätte vermieden werden können, sagen Burghof und seine Kollegen. Schon seit Jahren sei bekannt, dass die europäische Finanzaufsicht nicht gut aufgestellt sei, auch die Immobilienblase hatten Forscher diagnostiziert. "Aber im Rausch des Augenblicks wurde die wissenschaftliche Analyse offenbar ignoriert", sagt Berger. Der Crash könnte für die Wissenschaft also auch ihr Gutes haben – sie stehe zur Politikberatung bereit. Doch danach sieht es nicht aus, meint Burghof: Die Bundesregierung spreche bislang nur mit Bankern über die Probleme.

Hans-Peter Schwintowski sitzt im Wissenschaftlichen Beirat der Bankenaufsicht des Bundes, Bafin. Doch solche Gremien seien meist mit Themen befasst, die viele Monate vor einer Beratung an sie herangetragen würden – zu Krisensitzungen werde der Rat nicht einberufen.

Sachverstand muss an der richtigen Stelle gehört werden

Dabei wäre das sinnvoll, sagt Schwintowski: "Der geballte Sachverstand sollte gehört werden – es wäre bedauerlich, wenn gute Ideen verloren gehen." Auch Hans-Peter Burghof fordert eine neutrale Aufarbeitung der aktuellen Krise durch eine wissenschaftliche Kommission. Im Moment scheine es aber so, als ob Banker und Politiker unter sich bleiben und Sündenböcke suchen wollten.

Wolfgang Brunner, ein früherer Banker, der Bankbetriebslehre und Finanzierung an der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft lehrt, stellt sich auf ein großes Interesse der Studierenden an der Finanzkrise ein. Er will die Krise in seinen Seminaren zum Thema machen, muss aber auch mit enormen Wissenslücken rechnen.

Panikmache kostet Arbeitsplätze

Oft mangele es den Wirtschaftsstudenten an Grundkenntnissen, selbst Drittsemester hätten Probleme mit dem Prozentrechnen. "Wir brauchen mehr Wirtschaft im Schulunterricht, damit die Menschen darüber Bescheid wissen, womit sie tagtäglich zu tun haben. Wenn man sich ein Auto kauft, informiert man sich doch auch vorher. Warum ist das bei Bank- und Versicherungsprodukten anders?", fragt Brunner.

Bei der Aufklärungsarbeit sieht Hans-Peter Schwintowski die Wissenschaft in der Pflicht. Sie müsse die Bevölkerung jenseits von "Beschwichtigungsversuchen" in die Hintergründe und die Komplexität der Krise einweihen: "Wir brauchen differenzierte Antworten, keine Beruhigungspillen." Kein leichtes Unterfangen, wenn man nicht riskieren will, die Krise zu verschärfen. "Es gilt, eine Panik zu vermeiden, sonst verlieren viele Menschen ihren Job, und das Geld ist nachher auch nichts mehr wert", sagt Hans-Peter Burghof. 

Günter Bartsch

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