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Gejagte Räuber. Thunfische gehören zu den Verlierern in den Ozeanen.

© picture alliance / dpa

Fischbestand: Meer ohne Räuber

In den Meeren schwimmen immer weniger Raubfische. Weltweit hat ihre Zahl in den letzten hundert Jahren um zwei Drittel abgenommen. Die übrigen Tiere werden immer kleiner.

Jedes Jahr werden mehr Fische verzehrt als im Jahr zuvor. Kein Wunder: Fisch zu essen ist gesund und außerdem gilt es als irgendwie „moralischer“, als Rind oder Schwein auf dem Teller zu haben. Tatsächlich landen aber meist Raubfische wie Kabeljau oder Thunfisch in der Küche, Endglieder der marinen Nahrungskette. Mit dramatischen Folgen, wie jetzt Villy Christensen von der Universität British Columbia auf einer Fachtagung in Washington berichtete. „Weltweit hat die Menge der Raubfische in den letzten hundert Jahren um zwei Drittel abgenommen, wobei mehr als die Hälfte in den vergangenen 40 Jahren verschwand“, sagt Christensen. Mitte des Jahrhunderts werde es fast gar keine mehr geben, dafür aber jede Menge Fische aus der Mitte der Nahrungskette wie zum Beispiel Lodden und Sardellen. „Die Meere kann man sich dann vorstellen wie die Serengeti ohne Löwen“, sagt der Fischereiforscher aus Vancouver. Und die marinen Antilopen – um im Bild zu bleiben – werden deutlich kleiner sein als heute.

Seine Aussagen stützt Christensen auf insgesamt 200 Studien zahlreicher Forscherkollegen, bei denen untersucht wurde, wie sich bestimmte Arten in ausgewählten Ökosystemen entwickeln. So kamen fast 69 000 Daten zur Fischbiomasse zwischen 1880 und 2007 zusammen, die Christensen in sein Computermodell packte. Das bilanzierte den rapiden Niedergang der Raubfische – und einen sprunghaften Anstieg der natürlichen Beutefische. In einigen Meeren hat sich deren Menge im vergangenen Jahrhundert mehr als verdoppelt, berichtet der Wissenschaftler. Was den Blick in die Zukunft betrifft, ist Christensen zurückhaltend. Er ist überzeugt, dass der Trend sich fortsetzen wird. Klare Zahlen, welche Arten in welcher Menge dann noch durchs Wasser schwimmen, will er aber nicht nennen. Dafür gebe es zu viele Unsicherheiten, sagt der Forscher.

Das beginnt schon bei der Frage, wie der Klimawandel den Fischbestand beeinflusst. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die durchschnittliche Temperatur des oberflächennahen Wassers um 0,3 Grad Celsius gestiegen. Bis Ende des 21. Jahrhunderts wird ein Plus von zwei Grad erwartet, sagte Jorge Sarmiento von der Princeton-Universität in New Jersey. Durch die steigenden Temperaturen wird die Schichtung des Wassers stärker ausgeprägt. Die Folge: Es kommen weniger Nährstoffe aus der Tiefe an die Oberfläche. „Die Biomasseproduktion, vom Plankton bis zu den Fischen, wird deshalb zurückgehen“, sagt Sarmiento. Die einzelnen Modellrechnungen führten regional zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, betont er. Auch welche Rolle etwa der pH-Wert oder die Verteilung von Phosphor, Stickstoff und Eisen spielen werden, ist noch unklar. Im globalen Durchschnitt jedenfalls zeigen alle Modelle ein ähnliches Resultat: Die Biomasseproduktion wird abnehmen um zwei bis 16 Prozent.

Weniger Plankton heißt kleinere Fische. Das sei für mehrere Arten bereits belegt worden, berichtete William Cheung von der Universität East Anglia in Norwich. Je nachdem wie stark die Versauerung der Ozeane ausfällt, rechnen die Forscher mit einem verminderten Wachstum der Tiere zwischen zehn und 30 Prozent. Die Erderwärmung hat aber noch andere Auswirkungen auf die Fische, sie flüchten in kühlere Gewässer. Mit ungefähr 40 Kilometer pro Jahrzehnt wandern sie in Richtung Arktis beziehungsweise Antarktis, hat Cheung bei einer Studie mit 1060 Arten herausgefunden. Deshalb müssen die Fischer immer weiter fahren, um Beute zu machen. Und trotzdem bleiben die Netze immer häufiger leer. Viele Experten glauben, der „fish peak“ sei erreicht. Damit wird der Zeitpunkt der höchsten Fangmenge bezeichnet. Um die 80 Millionen Tonnen pro Jahr sind es derzeit, Tendenz fallend.

Für Christensen gibt es daher nur eine Lösung: Der Fischfang muss nachhaltiger werden. Dazu gehört, dass nichts mehr über Bord geworfen wird, sondern alle gefangenen Tiere bestmöglich genutzt werden. Und sei es als Futter für Aquafarmen. Schließlich wollen Mitte des Jahrhunderts rund neun Milliarden Menschen regelmäßig Fisch essen.

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