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Stehendes Gewässer. Technisch ist die Zucht von Meeresfischen in großen Becken machbar. Aber Haut und Kiemen der Tiere müssen vor Bakterien und Exkrementen im Wasser geschützt werden. Antibiotika müsse man nicht einsetzen, sagen Experten.

© ddp

Fischfarmen: Fisch vom Land

Die Fischzucht soll die Überfischung der Meere mildern. Aber wie nachhaltig solche Farmen sind, ist umstritten. Auch für Lachse von der Farm wird im Meer gefischt - als Nahrung.

Von Anna Sauerbrey

Der Weg vom Mais zur Garnele führte über das Internet. Heinrich Schäfer, ein findiger Landwirt aus Niedersachsen, wollte gern die Abwärme seiner mit Mais betriebenen Biogasanlage nutzen. Dafür gibt es Subventionen. „Mit einer Nullachtfünfzehn-Landwirtschaft verdient ja heute keiner mehr was“, sagt er. Schäfer recherchierte also im Netz. Wärme, so fand er heraus, mögen zum Beispiel Garnelen. Am besten gedeihen sie bei 30 Grad Wassertemperatur. Und: In Deutschland finden die Krebstiere reißenden Absatz, der Großteil aber wird importiert. So kam es, dass in Affinghausen die Garnelenfarm Schäfer entstand, mitten in Niedersachsen, rund 100 Kilometer von der nächsten Küste entfernt.

Von Völklingen bis an die Küste ist es noch weiter. Rund 400 Kilometer fährt man bis ins belgische Oostende. Trotzdem sollen hier demnächst nach dem Willen von Jochen Dahm Doraden, Wolfsbarsch und Störe schwimmen. Der Geschäftsführer der Völklinger Stadtwerke plant mitten im Saarland eine Fischfarm. 500 Tonnen sollen im Jahr produziert werden, die Betonbecken stehen schon.

Fisch und Garnelen vom platten Land – ist das die Antwort auf die Krise der Meere? Fisch ist weltweit eines der wichtigsten Nahrungsmittel. Auch die Deutschen liegen heute nur noch knapp unter dem durchschnittlichen weltweiten Fischkonsum, den die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) auf 16,7 Kilogramm pro Kopf und Jahr beziffert. Gleichzeitig stoßen die Meere an ihre Grenzen. Laut dem jüngsten Bericht der FAO von 2008 ist für rund die Hälfte der Bestände eine Steigerung der Fangmenge nicht mehr möglich. Ein weiteres Drittel gilt als überfischt. Und das, obwohl bereits heute rund 30 Prozent der verzehrten Fische und Krebse ohnehin nicht mehr wild gefangen, sondern in Becken, Teichen oder in riesigen Käfigen im Meer gezüchtet wird. „Aquakulturen sind weiterhin der am schnellsten wachsende Sektor der tierischen Nahrungsmittelproduktion“, stellt der FAO-Bericht fest. „Sie werden den Fischfang in Zukunft überholen.“

Deutschland spielt im weltweiten Ranking der Erzeuger von Zuchtfisch bislang allerdings kaum eine Rolle. Aus globaler Perspektive ist der Archetyp des Aquakultur-Produktes ein chinesischer Karpfen oder ein norwegischer Lachs, nicht eine niedersächsische Garnele. Auch für den inländischen Konsum spielen deutsche Fisch- und Garnelenfarmen kaum eine Rolle. Gegen die über eine Million Tonnen Fisch und Schalentiere, die die Deutschen im Jahr verdrücken, sind die geplanten 500 Tonnen aus Völklingen und die gerade mal zehn Tonnen Garnelen aus Niedersachsen Guppies.

Doch es gibt eine Reihe von Enthusiasten, die deutschen Fischfarmen eine große Zukunft ausmalen. Einer von ihnen ist Uwe Waller. 2009 hat der Meeresbiologe seinen Job beim Kieler Aquarium hingeschmissen und eine Professur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft im Saarland angenommen, auch um den Aufbau der Meeresfischzucht Völklingen wissenschaftlich zu begleiten. Dass deutsche Aquakulturen in Zukunft eine bedeutendere Rolle spielen werden, daran hat Waller keine Zweifel.

Technisch gesehen ist die Zucht von Meeresfischen in großen Becken zwar komplex, aber machbar. Am wichtigsten ist es, die empfindliche Haut und die Kiemen der Tiere vor den Bakterien und Exkrementen im Wasser zu schützen. In der Fischzuchtanlage in Völklingen soll das Wasser deshalb doppelt gefiltert werden, erst mit Sieben, dann durch das sogenannte Flotationsverfahren. Dabei werden Luftbläschen in das Wasser geleitet, die Proteine an die Oberfläche ziehen. Auf dem Wasser bildet sich ein Schaum, der sich, ähnlich wie auf einer Hühnersuppe, abschöpfen lässt. Entwickelt hat das System die Firma Sander, ein spezialisierter Familienbetrieb, der auch die Technik für das riesige Aquarium im City-Quartier in Berlin Mitte geliefert hat.

Waller sieht vor allem die Vorteile der Inlandsfischzucht: Im Unterschied zur Fischzucht in Käfigen im Meer lässt sich die Eutrophierung, also die Überdüngung von natürlichen Ökosystemen durch die Exkremente der Fische vermeiden. „Der Fisch hat außerdem keinen Beigeschmack, es müssen keine Antibiotika zugesetzt werden“, schwärmt der Ozeanologe. Auch Bert Wecker gehört zum Kreis der Enthusiasten. Er war Doktorand bei Waller und ist inzwischen beim Aquarienbauer Sander beschäftigt. Wecker ist nicht nur Ozeanologe, sondern hat auch BWL studiert. Er will die Anlage wirtschaftlich optimieren. So will er etwa die hochkonzentrierten Nährstoffe, die in den Reinigungsanlagen hängen bleiben, als Dünger einsetzen. Für Tomaten ist der Schlamm zwar zu salzig. Doch Meeresgemüse und Algen könnten damit gezogen werden. Wecker hofft, die Massen vielleicht in Zukunft für Queller begeistern zu können, ein spargelähnliches Gewächs, das unter anderem im Wattenmeer vorkommt und schon in manchen Sterneküchen verwendet wird. Die Saarländer Dorade zum Saarländer Queller. Das ist Weckers Vision. Und auch Heinrich Schäfer aus Niedersachsen hofft auf den Ortsbonus: „Die Leute wissen, wo die Garnele herkommt und dass keine Medikamente eingesetzt werden“, sagt der Landwirt. Dafür sind sowohl die Saarländer Dorade als auch die niedersächsische Garnele preislich Luxus. Ein Kilo Schäfer-Garnelen kosten ab Hof 39 Euro. Bei Aldi bekommt man das Kilo schon ab 19,42 Euro.

Aber sind die Anlagen wirklich so öko wie das Produkt, das dabei herauskommt? „Man muss auch nach der Nachhaltigkeit fragen“, sagt Ulfert Focken, Professor am Institut für Fischereiökologie in Ahrensberg bei Hamburg. Fockert gehört unter den Ozeanologen eher zu den Skeptikern des Aquafarming in Hallen. Er verweist unter anderem auf den relativ hohen Energieverbrauch. Für viele Arten muss das Wasser geheizt werden, ständig sind Pumpen im Betrieb. Für die Nachhaltigkeit einer Fischzucht spielt aber vor allem eine Rolle, wie viel tierisches Protein verbraucht wird. Muss ein Zuchtfisch in Form von Fischmehl deutlich mehr seiner wilden Artgenossen verspeisen, als er hinterher selbst auf die Waage bringt, ist für die Meere nichts gewonnen. Die Bilanz konnte zwar inzwischen mit modernen Futtermitteln deutlich verbessert werden. Was Raubfische wie Doraden und Lachse fressen, enthält heute vor allem pflanzliche Eiweiße und nur noch 20 bis 30 Prozent Fischmehl. Auch müssen die Fische in der Aquakultur weniger fressen, weil sie sich weniger bewegen. „Aber selbst im günstigsten Fall kann man nur ein Verhältnis von eins zu eins erreichen“, sagt Focken.

Nach Meinung des Ozeanologen werden sich Aquakulturen in Deutschland nur an „Gunststandorten“ durchsetzen. „Die Standorte brauchen Wasser, günstige Energie und einen Markt.“ All das scheint zumindest im Saarland gegeben. Die Stadtwerke wollen ihre eigene überschüssige Energie verbrauchen, die an Frankreich grenzende Region verspricht Abnehmer in Feinschmeckerrestaurants. Das erste große deutsche Fischzuchtprojekt wird allerdings vielleicht nie fertig gebaut. Finanzierungsprobleme haben die Bauarbeiten in Völklingen zum Stillstand gebracht. Die Stadtwerke haben sich mit ihrem Ko-Gesellschafter, einer Firma aus Bergisch-Gladbach, verkracht. „Wir werden die Anlage jetzt selbst weiterbauen“, sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke, Jochen Dahm. Viele in Völklingen sehen das inzwischen anders. „Da wird sich in absehbarer Zeit nichts tun“, meint ein Lokalpolitiker. Vielleicht bleibt sie also vorerst ein Traum, die Vision von der Völklinger Goldbrasse.

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