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Wissen: Forschen vor dem Abi

Was Berliner Unis interessierten Schülern bieten

Natalja liest am liebsten Ovid, Anyana liebt Aristoteles, Steven geht immer wieder ins Pergamonmuseum. Die drei Berliner Oberstufenschüler haben etwas gemeinsam: ihr großes Interesse für die Antike. Solche Schüler suchen die Altertumswissenschaftler der Humboldt-Universität (HU). „Wenn wir guten Nachwuchs haben wollen, müssen wir ihn uns heranzüchten“, sagt Colin Guthrie King, wissenschaftlicher Koordinator des August-Boeckh-Antikezentrums der HU. Um die Schüler, wie er sagt, „schon vor dem Abitur abzuholen“, hat die Altertumswissenschaft eine neue Schülergesellschaft gegründet.

Aufgenommene Abiturienten lernen dort in einer Art Vorstudium Grundlagen der Philologie – in Latein, Griechisch, Alter Geschichte, Klassischer Archäologie, Antiker Philosophie und Wissenschaftsgeschichte. „Die Teilnehmer kommen schon in der Schulzeit in engen Kontakt mit aktuellen Forschungsfragen und Wissenschaftlern der HU“, sagt Stefan Kipf, Didaktik-Professor und Direktor der neuen Schülergesellschaft.

26 Oberstufenschüler haben sich beworben, 20 wurden angenommen. Natalja Kasemir war „sehr überrascht, dass es geklappt hat“. Die 16-Jährige besucht die 12. Klasse des Tagore Gymnasiums in Marzahn. Seit der 7. Klasse lernt sie Latein, im Leistungskurs gehört sie zu den Besten. Anfangs sei ihr das Fach wegen der vielen Grammatik schwergefallen, sagt Natalja, „aber Texte von Cäsar oder Cicero interpretieren – das macht richtig Spaß“. Natalja hofft, dass sie in der Schülergesellschaft nicht nur Vorträge anhören muss, sondern „auch selbst aktiv ist“.

Mitwirkung der Schüler wünschen sich auch die Dozenten. Bei der Winterakademie vom 3. bis 5. Februar stehen zwar Einführungsvorlesungen in die Altertumswissenschaft auf dem Programm, aber auch ein gemeinsamer Besuch der Museumsinsel, außerdem werden Texte auf Latein gelesen und anschließend mit den Dozenten diskutiert. „Es geht darum, die Schüler auf die Universität vorzubereiten“, sagt Colin Guthrie King. „Sie können hier in verschiedene Disziplinen hineinschnuppern.“

Im Anschluss an die Akademie werden die Schüler einmal pro Monat zu Veranstaltungen eingeladen, für die sie auch Studienpunkte, die sogenannten Credit Points, bekommen sollen. Die werden bei einem späteren Studium angerechnet.

Dem Wissenschaftler King geht es aber nicht nur um die Wissensvermittlung. „Es soll sich eine kleine Gemeinschaft bilden“, wünscht er sich. „Ich wollte Leute mit ähnlichen Interessen kennenlernen“, sagt Steven Joachim. Der Zwölftklässler des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums in Reinickendorf hörte schon als kleiner Junge gern Geschichten aus der antiken Mythologie. Heute lernt er Latein und Altgriechisch – im Leistungskurs. „Ich könnte mir vorstellen, Altphilologie zu studieren“, sagt der 18-Jährige. Zwar sei nach seinem Abitur auch eine Polizeilaufbahn im Gespräch, aber „ich halte mir alles offen“, meint Steven. So sieht es auch Anyana Zimmermann. Die 17-Jährige besucht die 12. Klasse des evangelischen Gymnasiums „Zum Grauen Kloster“ in Wilmersdorf. Ihr Berufswunsch ist noch unklar. „Vielleicht Architektur oder etwas mit Kunst“, überlegt Anyana. Sollte es mit der Aufnahme in die Kunsthochschule nicht klappen, will sie sich an der Humboldt-Uni bewerben – auf ein altertumswissenschaftliches Fach.

Genau genommen hat es die HU nicht nötig, einzelne Schüler für ihre Studiengänge zu interessieren. Die Mitgliedschaft in der Schülergesellschaft bringt keine Vorteile bei der Bewerbung um einen Studienplatz, denn die Zulassung zu den philologischen Fächern erfolgt nur über den Numerus Clausus. „Der ist zur Zeit aberwitzig hoch“, findet Professor Stefan Kipf. Wer Latein an der HU studieren will, sollte einen Abiturdurchschnitt von 1,4 mitbringen. Viele Professoren sind keineswegs glücklich mit der Regelung, dass allein der Notendurchschnitt zählt. „Es ist ein Problem, dass sich die Berliner Unis ihre Studenten nicht selbst auszusuchen dürfen“, findet Kipf. Wenn er könnte, würde er lieber diejenigen aufnehmen, die schon jetzt eine „innere Beziehung zum Fach haben“.

Sechs Schülergesellschaften haben sich an der Humboldt-Universität gegründet – drei davon in den vergangenen fünf Monaten. Die seit 1970 bestehende Leonhard-Euler-Schülergesellschaft der Mathematik richtet sich schon an Sechstklässler, die restlichen Gesellschaften nehmen nur Oberstufenschüler auf. 1320 von ihnen nutzen das Vorstudium pro Jahr. Sie besuchen reguläre Seminare oder Vorträge und Workshops in den Ferien. In der Schülergesellschaft Französisch wird eine Einführung ins Dolmetschen angeboten, in der Biochemie lernen jährlich 800 Schüler, wie ein Protein aussieht. Noch bekommen die Abiturienten für die Teilnahme keine Credit Points, die sie sich in einem späteren Studium anrechnen lassen könnten. Dies soll jedoch in diesem Frühjahr geändert werden.

An der Technischen Universität nutzten bisher 600 Oberstufenschüler das Programm „Studieren ab 16“. Neben dem Schulunterricht besuchen die Abiturienten reguläre Vorlesungen und Übungen, für die sie Credit Points erhalten. Praktisch ausgerichtet sind die sechs Schülerlabore, in denen jüngere Schüler ab der 5. Klasse selbst experimentieren können. Im Projektlabor basteln die Teilnehmer elektronische Schlüsselfinder, im Brauereilabor fabrizieren sie ihr eigenes Bier.

Die Freie Universität bietet in den naturwissenschaftlichen Fächern Schnupperwochen im Sommer an – als Studienvorbereitung für Schüler der 10. bis 13. Klasse. Gasthörer können außerdem Vorlesungen und Seminare in Biologie, Chemie, Physik, Mathematik und Informatik besuchen. Die erbrachte Leistung wird angerechnet. Die „Nat Labs“ (Naturlabore) richten sich an Viert- bis Sechstklässler, die selbst Experimente durchführen. Die Hochschule für Wirtschaft und Recht bietet Schülern ein Juniorstudium im Bereich Wirtschaftswissenschaften an, das angerechnet wird. Wer regelmäßig kommt, hat so schon vor Studienbeginn das erste Semester absolviert. Gina Apitz

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