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Schweinegrippevirus

© NML

Forschung: Der Virus geht von Hand zu Hand

Die Spur der Viren: Forscher simulieren die Ausbreitung von Seuchen. Manchmal helfen dabei Geldscheine.

In Alain Barrats Bildern tauchen Menschen nur als Punkte auf, die sich hin- und herbewegen, auf andere Punkte treffen, kurz so verharren und sich dann weiterbewegen. Vielleicht liegt es daran, dass er an der Universität Marseille in einer Forschergruppe für statistische Physik arbeitet und Menschen eher als eine Art Elementarteilchen sieht, deren Bewegungen es vorauszusagen gilt. Barrat hat seine Arbeit letzte Woche bei der europäischen Wissenschaftskonferenz „Esof“ in Turin präsentiert. Es geht ihm um eine wichtige Frage: Wie breiten sich Infektionskrankheiten aus?

Seit Menschen die Landwirtschaft erfunden haben und in größeren Gruppen zusammenleben, sind sie ideale Wirte für Erreger wie das Grippevirus: Sie leben in riesigen Zahlen auf engem Raum zusammen und suchen ständig den Kontakt zu einander. So können sich Viren und Bakterien ausbreiten, von Mensch zu Mensch, Stadt zu Stadt, Land zu Land.

„Wir möchten verstehen, wie und wo diese Ausbreitung genau stattfindet“, sagt Barrat. Darum stattete er sämtliche Personen in einem Krankenhaus in Rom mit einem kleinen Chip aus. Stehen zwei Menschen nah zusammen und sind einander zugewandt, dann senden die Chips ein Signal aus. Am Computer kann Barrat aus diesen Signalen Muster errechnen: Wie viel Zeit verbringen Patienten mit anderen Patienten, wie viel mit Ärzten und Pflegern? Mit wie vielen Menschen haben Besucher in einem Krankenhaus engen Kontakt? Auch bei Konferenzen und im Museum hat Barrat Daten gesammelt. Die nutzt er, um die Ausbreitung von Krankheiten vorherzusagen.

„Dass wir derartige Vorhersagen überhaupt treffen können, ist völlig neu“, sagt Vittoria Colizza vom Labor für Computerepidemiologie am ISI-Institut in Turin. Bei der Ausbreitung der Schweinegrippe im Herbst 2009 sei es erstmals gelungen, den Gesundheitsbehörden früh Prognosen zur Verfügung zu stellen. Inzwischen ist klar: Die Vorhersagen waren erstaunlich gut. So rechneten Colizza und ihre Kollegen im September vor, wann in Deutschland mit dem Höhepunkt der Schweinegrippe zu rechnen sei: zwischen dem 11. Oktober und dem 20. November, mit etwa 8000 Erkrankungen pro Woche. Tatsächlich erkrankten etwa 6000 Menschen pro Woche.

„Ich bin mir sicher, dass derartige Vorhersagen beim nächsten Mal bei den Vorbereitungen berücksichtigt werden“, sagt Colizza. Die internationale Ausbreitung eines Virus sei inzwischen sehr gut vorherzusagen. „Dafür benötigen wir nur die Daten über den Flugverkehr.“ Schwieriger wird es bei der regionalen Ausbreitung. „Wenn wir zum Beispiel bestimmen sollen, wann der Höhepunkt in Mailand und wann er in Turin eintrifft, dann helfen uns Flugdaten nicht“, sagt Colizza. Stattdessen stützen sich die Vorhersagen dann auf Umfragen zum Verhalten von Pendlern und Reisenden.

Diese Daten möchte Dirk Brockmann von der Northwestern Universität gerne überflüssig machen, indem er dem Geld folgt: „Wo Menschen sind, da geben sie auch Geld aus. Indem man einzelne Geldscheine verfolgt, kann man also auch Bewegungsmuster der Menschen erhalten.“ Dabei hilft ihm eine Internetseite: www.wheresgeorge.com. Der George, der hier gesucht wird, ist George Washington, erster Präsident der USA. Sein Gesicht ziert die wohl berühmteste Geldnote der Welt, den Ein-Dollar-Schein.

Fans von wheresgeorge.com geben keinen Dollar aus, ohne vorher die Adresse der Internetseite darauf gestempelt zu haben. Online geben sie dann unter der Seriennummer an, wann und wo sie den Schein zuletzt in der Hand hatten. Sieht jemand den Stempel auf dem Schein, und geht auf die Internetseite, so kann er dort den bisherigen Weg des Geldscheins nachverfolgen und die nächste Station hinzufügen, so dass eine Art Tagebuch des Scheins entsteht.

Für Brockmann ist das eine wertvolle Datensammlung. „Im Gegensatz zu Luftverkehrsdaten, sind hier kürzeste Wege genauso wie sehr lange gespeichert“, sagt er. Obwohl nur wenige Scheine mehr als zwei Einträge erhalten, lässt sich an Hand der schieren Zahl ein Modell errechnen. Auch Brockmann hat die Schweinegrippe genutzt, um es zu testen.

Auch andere Wissenschaftler arbeiten daran, menschliche Bewegungsmuster zu analysieren. Ob mit Geldscheinen, Mobilfunkdaten, Flugplänen oder Chips, alle haben ein Ziel: Die Bewegungen und Interaktionen der sechs Milliarden Menschenteilchen, die sich auf dem Globus tummeln, besser zu simulieren und beim nächsten Erreger vorherzusagen, wo er wann auftaucht und wann die Krankheit den Höhepunkt erreicht. „Es geht um die Frage: Wie können wir die Pandemie so verlangsamen, dass wir die entscheidenden zwei Monate mehr haben, um die Menschen zu impfen?“ sagt Colizza.

Ein Problem gibt es auch mit den besten Vorhersagen. Sie beeinflussen das Geschehen, dass sie nur beschreiben sollen. „Wenn die Leute auf Grund solcher Vorhersagen ihr Verhalten ändern und nicht mehr reisen, dann verändert das natürlich das, was passiert.“ Menschen sind eben doch komplizierter als Teilchen.

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