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Forschung: Mit den besten Empfehlungen

Hochschulreformen als Herkulesaufgabe: Der Wissenschaftsrat wurde vor 50 Jahren gegründet

Deutschland im Jahre 1966. Die Überfüllung der Universitäten zeichnet sich ab, die Studentenrevolte steht vor der Tür. Da ruft der Wissenschaftsrat die Hochschulen dazu auf, das Studium strenger zu gestalten. Angesichts der Bildungsexpansion müsse es in zwei Abschnitte gegliedert werden: Nach zügig erlangter Zwischenprüfung und dem Hauptstudium sollte die Mehrzahl der Studierenden in den Beruf gehen. Nur wenige dürften in einem Aufbaustudium zur Promotion geführt werden. Neun Jahre bestand damals der Wissenschaftsrat. In den 50 Jahren seit seiner Gründung am 5. September 1957 sollte er sich immer wieder mit der Studienstruktur befassen – bis heute.

Die Geschichte des Wissenschaftsrats als europaweit ältestem Gremium der Wissenschaftsberatung ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte. Gefeiert wird sie am heutigen Mittwoch in Berlin, mit einer Festveranstaltung im Deutschen Historischen Museum und einer Rede des Bundespräsidenten. Die Empfehlungen der in ihm mitwirkenden hoch angesehenen Wissenschaftler, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Vertreter von Bund und Ländern bewirken immer einen Aha-Effekt, wenn nicht ein Erdbeben. Oft erzielt das Gremium mit Sitz in Köln seine Erfolge jedoch auf Umwegen.

Der hellsichtige Rat von 1966 wurde von Ländern und Hochschulen ignoriert. Anfang der 70er Jahre, unter dem Vorsitz des Astrophysikers Reimar Lüst, als die Bildungsexpansion auf dem Höhepunkt war und die Massenuniversität Realität, empfahl der Wissenschaftsrat erneut kürzere Studienzeiten. Die Regelstudienzeit solle drei Jahre betragen, hieß es 1978. Und im Jahr 2000 machte sich das Gremium für die zweistufigen Abschlüsse Bachelor und Master stark. Jetzt war die Zeit reif für eine solche tief greifende Reform: In den meisten Ländern ist die Umstellung heute weit fortgeschritten.

„Der Wissenschaftsrat ist an vielen Stellen Motor der Hochschulreformen und er hat wesentlich dazu beigetragen, dass das deutsche Wissenschaftssystem zukunftsfähiger wurde“, sagt Klaus Landfried, Wissenschaftsmanager und ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Denn der Wissenschaftsrat berät Bund und Länder nicht nur in Fragen der inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung des Hochschulsystems, sondern auch zur staatlichen Förderung von Forschungseinrichtungen.

Deutsch-deutsche Schicksalsentscheidungen musste der Wissenschaftsrat treffen, als er nach der Wiedervereinigung die außeruniversitären Institute der ehemaligen DDR bewertete und Empfehlungen zur ostdeutschen Hochschullandschaft abgab. „Eine Herkulesaufgabe“ unter dem damaligen Vorsitzenden Dieter Simon, die die deutsche Wissenschaft „insgesamt auf Kurs gebracht hat“, sagt Landfried. Nach der Evaluierung der ostdeutschen Forschung begann eine Welle von Evaluierungen auch im alten Westen.

Wie Interventionen des Gremiums verlaufen können, zeigt auch das Beispiel von Witten-Herdecke: Der Wissenschaftsrat empfiehlt 2005 die Einstellung des Medizinstudienganges an der Privatuniversität, weil er unwissenschaftlich und die fachliche Betreuung der Studierenden nicht gesichert sei. Alarm in Witten-Herdecke, dessen Herzstück die auf ganzheitliche Medizin orientierte Ausbildung von Ärzten ist – und Abwehr des Verdikts „der Schulmediziner“. Dennoch: Die Hochschule stellt neue Professoren ein und setzt neue Schwerpunkte in der wissenschaftlichen Arbeit. 2006 lenkt der Wissenschaftsrat ein. Die Privatuniversität darf wieder Studenten immatrikulieren, bis zu einer erneuten Überprüfung 2008.

Zuweilen übernimmt der Wissenschaftsrat auch die Rolle des Advocatus Diaboli: Als interne Berechnungen des Gremiums zum Anstieg der Studierendenzahlen öffentlich werden, gewinnt der Streit um den neuen „Studentenberg“ an Brisanz. Wenn geburtenstarke Jahrgänge und doppelte Abiturjahrgänge die Zahl der Hochschüler bis 2014 von heute zwei Millionen auf 2,7 Millionen steigen ließen, würde das 2011 bis 2014 Kostensteigerungen von jährlich bis zu 2,2 Milliarden Euro bedeuten. Solche Prognosen haben Tradition; Anfang der 70er Jahre sagte der Rat eine ähnlich hohe Steigerung voraus. Die Politik traf die verhängnisvolle Entscheidung, den damaligen Studentenberg zu „untertunneln“ und den Unis auf Dauer eine Überlast zuzumuten. Dem Wissenschaftsrat wurde dabei mangelnder Widerstand vorgeworfen.

Enormen Machtzuwachs brachte die Exzellenzinitiative für die deutschen Universitäten, die Bund und Länder 2005 auslobten, dem Wissenschaftsrat. Gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet das Gremium den mit insgesamt 1,9 Milliarden Euro dotierten Wettbewerb aus. Kritik am Wettbewerbsverfahren wies Peter Strohschneider, Vorsitzender des Wissenschaftsrats, im Januar zurück. Er warb um Verständnis für die schwere Aufgabe der Gutachter, „die Universitäten herauszusuchen, denen sie zutrauen, in fünf Jahren zur Weltspitze zu gehören“.

Zum Bonmot ist die Frage geworden, wer eigentlich den Wissenschaftsrat evaluiert. Viele in Forschung und Lehre – und keineswegs nur solche, die sich ungerecht beurteilt fühlen – wünschen sich, dass sich internationale Gutachter das Gremium einmal genauer anschauen. Und sei es, um ihm am Ende ein exzellentes Zeugnis auszustellen.

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