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Forschung: ''Vertauschte Zellen sind immer im Umlauf''

Hans Drexler im Gespräch mit Dagny Lüdemann über Pannen in der Krebsforschung.

Herr Drexler, Sie sind an der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) für die Züchtung und Kontrolle von Zelllinien zuständig, die für die Forschung verwendet werden. Mehr als 20 Jahre lang wurde weltweit in Krebsforschungslabors mit falschen Zelllinien geforscht. Wie ist so etwas möglich?

Solche Fehler passieren, wenn Forscher einmal erworbene Zelllinien vermehren, tauschen und weitergeben und danach nicht mehr kontrollieren. Wird dann versehentlich eine Ampulle falsch beschriftet, werden ganze Versuchsreihen mit den Zellen der falschen Krebsart gemacht. Das heißt, ein Medikament, dessen Wirkung gegen Darmkrebs untersucht werden soll, wird zum Beispiel versehentlich an Hautkrebszellen getestet.

Sind solche Fehler denn jetzt zum ersten Mal bekannt geworden?

Nein. Das Problem der Verwechslung und Verunreinigung von Zellkulturen ist seit mehr als 40 Jahren bekannt. Manche Labors machen deshalb einen DNS-Fingerabdruck jeder Zelllinie bevor sie mit einer Studie beginnen – das heißt, sie prüfen anhand des Erbguts, ob es sich wirklich um Zellen der Krebsart handelt, die sie untersuchen möchten. Und sie kontrollieren, ob die Zellen durch Bakterien verunreinigt sind. Aber es gibt eben Labors, in denen schlampig gearbeitet wird.

Gibt es denn keine Qualitätsstandards für den Umgang mit Zelllinien?

Nein. Aber das Hauptproblem ist auch nicht, dass Forscher aus mangelnder Kontrolle ungenau arbeiten, sondern dass viele nicht sensibilisiert sind für das Problem. Denn an vielen Unis wird der richtige Umgang mit Zelllinien nicht gelehrt. Um Geld zu sparen tauschen und züchten die jungen Kollegen ihre Linien dann unbedarft, anstatt für rund 240 Euro eine frische, kontrollierte Ampulle aus einem staatlichen Zentrallabor zu bestellen.

Sind die Fehler denn Einzelfälle? 1999 haben Sie im Fachblatt „International Journal of Cancer“ einen Artikel veröffentlicht, wonach bei Kontrollen der DSMZ 18 Prozent der Zelllinien fehlerhaft waren.

Falsche Zelllinien sind ständig im Umlauf. Wir wissen auch, dass sogar in dem Zelllinienpaket aus 60 verschiedenen Krebszellen, das das Nationale Krebsinstitut der USA herausgegeben hat, um vergleichbare Studien zu ermöglichen, falsche Linien sind. Das Problem ist, dass viele das noch nicht mitbekommen haben.

Wäre es denkbar, dass wegen solcher Verwechslungen Krebsmedikamente auf den Markt kommen, die unwirksam sind?

Nein. Zelllinien werden nur in der Anfangsphase der Krebsforschung eingesetzt. An ihnen wird Grundlagenforschung gemacht – und erst wenn ein Medikament das Wachstum dieser gezüchteten Krebszellen hemmt oder sie abtötet, wird es an Primärzellen, also frischen Zellen von Patienten erprobt.

Oft kommt also gar nicht heraus, dass mit falschen Zellen gearbeitet wurde.

Nicht, wenn deshalb ein Medikament im Versuch nicht wirkt und der Forscher die Studie aufgibt. Aber oft wird mit mehreren Zelllinien gearbeitet – und dann fällt die Abweichung im Ergebnis auch auf.

Das Gespräch führte Dagny Lüdemann

Hans Drexler (54) ist Leukämieforscher und Leiter der Abteilung für menschliche und tierische Zelllinien der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig

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