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FREIE Sicht: Die Schule muss vom Leben lernen

Von Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität

„Mein schönstes Ferienerlebnis“ war ein beliebtes Aufsatzthema nach den Ferien vor Jahrzehnten. Damals waren damit nicht notwendigerweise Reisen gemeint. Jedoch mit der Reiselust entwickelte sich die Lust am Ferienbild. Das Foto zur Erinnerung oder dafür, allererst richtig zu sehen, was man gesehen hat. Aber: Die besten Bilder befinden sich im Kopf. Sie repräsentieren alle Sinne, die Farben, das Licht, die Gerüche, den Lärm, die Stille, Annas Hand auf der Schulter, so warm, so frei.

Es gibt Menschen, die sich darauf spezialisiert haben, Reiseerlebnisse zu beschreiben oder zu fingieren. Es gibt sie als Dokumentarfilmer, als Reiseschriftsteller, als Fotografen. In Wissenschaft und Schule ist das ein ziemlich vernachlässigtes Genre. Dabei ist eines klar: Über den Vesuvausbruch erfahre ich in „Die letzten Tage von Pompeji“ mehr, als wenn ein Reiseführer mich in sengender Hitze durch die Ruinen treibt.

Gilt der Satz noch: „Reisen bildet“? Vielleicht dann, wenn man vorher gelesen hat über den Ort, den man besucht. „Man sieht nur, was man weiß“, der Satz von Panofsky gilt nicht nur für die Betrachtung von Kunst, sondern auch für das Erlebnis in der Fremde. Reiseliteratur statt Plattentektonik. Das könnte Geographieunterricht sein mit reduzierter Schlafquote.

Das hätte Konsequenzen für die Lehrerausbildung: Es müsste überdacht werden, ob die Vermittlung bulimischen Wissens vom Schlage „Haupthandelspartner Thailands“ der exklusive Zugang zu geographischem Wissen ist. Es müsste überdacht werden, ob die Differenzierung des Unterrichts und damit die Differenzierung der Lehrerausbildung in Fächer wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Die Welt teilt sich nicht in Fächer, die Probleme folgen ihrer eigenen Logik – ein Verrückter befiehlt seiner Armee ein Land zu überfallen, Anna möchte nicht mehr mit mir ausgehen. Kann ich darauf mit Psychologie antworten oder mit der Suche nach Gründen bei den vorhandenen Bodenschätzen? Was hilft es, so etwas zu wissen? Dann sehr viel, wenn ich es in Bezug setzen kann zu den Ereignissen, die mich betreffen.

Macht Hochschule das, denkt Schule an mich? „Problem based learning“ würde das bedeuten – Wissenschaft als Antwort auf Probleme außerhalb ihrer und nicht zirkuläre Bearbeitung selbst erzeugter Fragestellungen. Was für Wissenschaft richtig ist, muss es nicht auch für Schule und damit für Lehrerausbildung sein. Aber das wussten wir ja schon.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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