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FREIE Sicht: Internate sind näher am Leben

Die deutsche Schule ist eine ambulante Einrichtung. Kinder und Lehrer kommen um Viertel vor acht und gehen irgendwann zwischen 12 und 15 Uhr nach Hause, jedenfalls die meisten.

Das eigentliche Leben findet aus der Sicht der Beteiligten dort nicht statt, sondern in der Familie. Sie ist der Ort der pädagogischen Intimität, der Erziehung, der besonderen Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Alles, was gelingt, schreiben deutsche Eltern sich selbst zu, und was misslingt, wird ihnen gleichfalls zugeschrieben.

Viele Klassiker der deutschsprachigen Pädagogik haben dieses Bild unterstützt. Es ist das Bild der heilen Familien, dessen Wurzeln auch religiösen Ursprungs sind und die Ikonographie der heiligen Familie im Setting der Krippe beschwören. Diese biedermeierliche Konzeption scheint hierzulande immer noch vorzuherrschen, wenn Internate als Notlösungen für schwer erziehbare Kinder, in Kombination mit Waisenhäusern, gesehen oder auf Einrichtungen reduziert werden, an denen irgendeine weltfremde Reformpädagogik stattfindet. Bereits im 17. Jahrhundert entsteht in der englischsprachigen Welt ein anderes Verständnis von Elternliebe. So empfiehlt John Locke, die strenge Erziehungsarbeit Fremden zu überlassen, gerade um die Positivität zwischen Eltern und Kindern zu bewahren, die durch Erziehungsmaßnahmen gestört würde. Damit sind die Verantwortlichkeiten klarer.

In Deutschland hat nun auch das Konzept privater Internate an Bedeutung gewonnen. Das Scheitern des staatlichen Schulwesens ist ebenso Ursache dafür wie ein Erziehungsscheitern von Eltern, die Mut und Instrumente zu einer gelingenden Erziehung verloren zu haben scheinen. Es wird Zeit, dass Internatserziehung mit anderen Augen betrachtet wird. Auch sie ist ein Globalisierungsprodukt, wenn Eltern ihre Kinder, in der Hoffnung auf eine bessere Bildung, ins Ausland schicken. Es wird Zeit, dass der Trend zur Internatserziehung nicht dem Zufall überlassen bleibt, sondern dass diese Schulform sich auch im staatlich veranstalteten Schulwesen etabliert. Nicht nur in dünn besiedelten Gebieten und für die Ausbildung einseitig Hochbegabter. Denn eins ist sicher: Campusschulen mit einer Lebensgemeinschaft von Lehrenden und Lernenden rücken die Bildung in die Mitte des ganzen Lebens und überwinden die Trennung des jungen Lebens in zwei Teile: in das Eigentliche der Familie mit dem Fokus auf Erziehung und das fremde, uneigentliche Leben der Schule, in dem nichts weiter getan wird, als zu lernen. Wen wundert es, dass diese Welt als Raum lästiger Arbeitspflicht verstanden wird, die weder für Erziehung verantwortlich zu sein scheint, noch für das wirkliche Leben.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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