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FREIE Sicht: Multiple Choice - keine Wahl

Von Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität

Im Jahr 2002 hat das Oberverwaltungsgericht in Bautzen über die Klage eines Studenten der Wirtschaftsinformatik entschieden. Sinngemäß lautete der Spruch, dass eine Leistung im Studium nicht rechtens ist, wenn sie ausschließlich aus Multiple-Choice-Aufgaben besteht. Das Studium ist etwas anderes als eine Führerscheinprüfung. Die Hochschule muss versuchen herauszufinden, ob ein Student oder seine Kommilitonin mehr drauf hat, als Kreuzchen zu machen.

Natürlich sind an den Hochschulen andere Formen der Prüfung gang und gäbe. Man lässt Probleme erörtern, in Klausuren, Hausarbeiten oder im Gespräch.

Nach der Einführung von Bachelor und Master fällt den Hochschulen das aber immer schwerer. In den neuen Studiengängen wird so häufig geprüft, dass der Aufwand gerade in den Massenfächern kaum mehr zu leisten ist. Die Gefahr besteht, dass Lehrende bald nicht mehr Forschende, sondern nur noch Prüfende sind. Außerdem droht sich das Studium schon wegen der Verfahrensdauern in die Länge zu ziehen.

Aber: Ist der nach Führerschein-Art geprüfte Eleve deshalb die einzige Alternative zum denkenden, aber sicher auch manchmal schwafelnden Studenten? Wer garantiert uns überhaupt, dass die erfolgreiche Multiple-Choicerin in der Medizin mit ihrem Wissen später auch Blinddärme operieren kann?

Es gibt einen Ausweg. In Maastricht verfolgt die Universität flächendeckend das Konzept des „problem-based learning“. Von Anfang an werden die universitären Curriculuminhalte weniger aus fachwissenschaftlichen Strukturen als aus solchen des pulsierenden Lebens abgeleitet. Die Studierenden arbeiten in kleinen Gruppen an der Lösung von Problemen. So üben sie, Verantwortung zu tragen, im Team zu arbeiten und selbständig zu lernen.

Das Programm deutscher Universitäten nimmt hingegen traditionell die Bedürfnisse des wissenschaftlichen Nachwuchses zum Maßstab, der dann an alle Studierenden angelegt wird. Es wird die Struktur der Disziplin gelehrt, geprüft und gebimst. Recht so. Der Nachwuchs muss lernen, selbständig wissenschaftliche Methoden auf neue Forschungsprobleme anzuwenden, dem Sein als solchem kühl und kühn ins Auge zu schauen, in Einsamkeit und Freiheit manchmal, aber auch im Team.

Jedoch künftige Apotheker, Rechtsanwälte und Unternehmensberater? Das Fach in seiner ganzen Breite, losgelöst von der Erde? Da hilft wohl nur der Glaube – oder eben doch lieber die Lösung von Maastricht.

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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