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Besuch von oben. Der japanische Wirtschaftsminister Toshimitsu Motegi inspizierte am Montag die Anlage. Im Hintergrund Tanks für das strahlende Abwasser.

© REUTERS

Frosttechnik soll in Fukushima das Wasser fernhalten: Eine Mauer aus Eis

Im Kraftwerk Fukushima ist das Grundwasser ein großes Problem. Eine frostige Barriere soll es nun zurückhalten. Das Verfahren ist im Tiefbau etabliert. Doch auf dem Kraftwerksgelände warten auf die Ingenieure besondere Herausforderungen.

Die Lage am havarierten Kernkraftwerk Fukushima-Dai-Ichi ist prekär. Auf dem Gelände lagern große Mengen radioaktiv verseuchten Wassers in hunderten Stahltanks. Es stammt von den Versuchen, die nach wie vor heißen Reaktoren zu kühlen. Einer oder mehrere Tanks sind leck, die Atomaufsicht stufte die Probleme auf dem Gelände in der vergangenen Woche zu einem „ernsthaften Störfall“ hoch. Und es fällt immer mehr kontaminiertes Wasser an, denn die Kühlsysteme bilden noch immer keinen geschlossenen Kreislauf. Zudem drückt Grundwasser in die Keller der Gebäude, wird kontaminiert und so ebenfalls zum Problem.

Die Mengen sind enorm, schätzungsweise 400 Tonnen Grundwasser (400 000 Liter) strömen täglich vom Hang im Hinterland in das Kraftwerk und mischen sich mit dem kontaminierten Kühlwasser. Rund 300 Tonnen belastetes Wasser strömen täglich in den Pazifik, wurde Anfang des Monats bekannt.

Um das Grundwasser in den Griff zu bekommen, soll der Boden um das Gelände gefroren werden und eine eisige unterirdische Wand entstehen. So abenteuerlich das klingt, derartige Verfahren werden seit Jahrzehnten im Tiefbau eingesetzt. So wurde beispielsweise der Boden am Pariser Platz in Berlin vereist, um den U-Bahnhof „Brandenburger Tor“ trotz lockeren Sandes und hohen Grundwasserstands bauen zu können.

Mittlerweile ist die Station fertig, die Kühlung abgestellt. Allenfalls die zwei, drei Grad niedrigeren Temperaturen im Bahnhof erinnern noch an den Frosteinsatz. In Fukushima darf es soweit nicht kommen. Die Anlage muss dauerhaft funktionieren, um die eisige Wand zu erhalten. Und auch die Abmessungen sind größer. Nach dem, was bisher bekannt geworden ist, wird die Barriere rund 1,4 Kilometer lang sein und etwa 30 Meter tief in die Erde reichen. Die Kosten werden auf 380 Millionen Euro geschätzt.

Wie das Erdreich gefroren wird, erläutert Benno Müller, Experte für Bodengefriertechnik bei der Baufirma Max Bögl, die auch den Untergrund am U-Bahnhof Brandenburger Tor vorbereitet hat. Demnach werden zuerst mehrere parallele Bohrungen im Abstand von rund einem Meter in die Tiefe geführt. In diese werden Gefrierrohre aus Stahl eingebaut, der Spalt zum umgebenden Boden mit einem speziellen Füllmaterial verschlossen. „So vermeiden wir Luftblasen, die später den Wärmetransport behindern würden“, sagt der Ingenieur. Dann werden die Röhren von einer Salzlösung (Sole) durchströmt, die auf mindestens minus 30 Grad heruntergekühlt wurde. Sie nimmt Wärme aus dem Untergrund auf, nach zwei bis drei Monaten ist der feuchte Boden hart gefroren.

Das Konzept einer eisigen Wand im Untergrund von Fukushima.
Das Konzept einer eisigen Wand im Untergrund von Fukushima.

© Tagesspiegel

„Diese erste Phase ist die schwierigste“, sagt Müller. Nun zeige sich, ob die Bohrungen dicht genug und die Kältemaschine stark genug sind, um ausreichend Wärme aus dem Untergrund zu holen. Vor allem beim Übergang vom flüssigen zum festen Aggregatzustand des Wassers werde viel Wärme frei, die abtransportiert werden muss.

Ein starker Grundwasserstrom erschwert die Arbeiten. Denn trotz seiner geringen Temperatur von wenigen Grad über null bringt das Wasser laufend neue Wärme in die Frostzone – und die muss abgeführt werden. Unter Umständen bauen die Ingenieure dann zwei Kühlsysteme auf. Zum Einfrieren nutzen sie Bohrungen, in denen flüssiger Stickstoff verdampft. Der kühlt effektiver als die Sole, vor allem lässt sich die Leistung steigern, indem die Stickstoffmenge in den einzelnen Rohren erhöht wird. „Aber das ist sehr teuer“, sagt Müller, der die Doppelstrategie bei einer Metrostation in Rotterdam eingesetzt hat. „Dort haben wir nach dem Durchfrieren auf eine zweite Reihe von Bohrungen umgeschaltet, die mit Hilfe von Sole die Kühlung aufrecht erhalten hat.“ Für diese Haltephase ist oft nur die Hälfte der Energie nötig, die zum Gefrieren aufgewandt werden muss.

Ist eine zwei bis drei Meter dicke Eiswand erst einmal geschaffen, ist sie relativ stabil. Wie das nach einem starken Erdbeben aussieht, ist eine andere Frage. Doch das ist nicht die einzige Gefahr für die geplante Mauer unter Fukushima. Das Grundwasser werde weiter auf die Anlage zuströmen und sich einen neuen Weg suchen, sagt Müller. „Indem es an der Wand entlangfließt, bringt es laufend neue Wärme, die abgeführt werden muss. Sonst schmilzt das Eis und irgendwann wird die Wand undicht“, sagt er. Das erfordere eine solide Planung für das Vorhaben.

Auch die Arbeiten selbst sind sehr anspruchsvoll. „Die Bohrungen müssen sehr genau parallel zueinander ausgerichtet sein“, sagte Joe Sopko von der Firma Moretrench dem Magazin „The Atlantic“. Sind sie in der Tiefe zu weit voneinander entfernt, lasse sich der Zwischenraum nicht vollständig zufrieren. Es bleibt eine Lücke. Die nächste Frage ist, unter welchen Bedingungen die Techniker zu Werke gehen müssen. Vor allem die Arbeiten auf der Pazifikseite, wo das verseuchte Wasser fortströmt, erfordern umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen für die Crew.

Sollte die eisige Barriere tatsächlich stehen, kann sie lange Zeit funktionieren. In den USA gibt es Sopko zufolge unterirdische Gasspeicher, die mit der Technik seit mehr als 30 Jahren stabilisiert würden. Vorausgesetzt, die Stromversorgung funktioniert zuverlässig. Der Bedarf in Fukushima liegt schätzungsweise zwischen 4,5 und 9,8 Megawatt. Das entspricht etwa dem, was 1500 beziehungsweise 3300 Haushalte benötigen.

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