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Edith Peritz in ihrer schönheitschirurgischen Praxis.

© Ullstein Bild

Frühe akademische Frauenpower: „Wir waren schrecklich stolz aufeinander“

Feministin mit dem Skalpell: Die Schönheitschirurgin Edith Peritz gründete 1930 in Berlin den Club der „besten Schwestern“.

Konzentriert öffnet die Chirurgin eine Salbentube. Meisterlich hält die Berliner Fotografin Lotte Jacobi den Moment der Konzentration fest. Zu Jacobis Kunden zählen die Geschwister Mann ebenso wie der Physiker Albert Einstein und der Komiker Karl Valentin. Es spricht für Edith Peritz’ Renommee, dass sie sich kurz nach der Praxiseröffnung von ihrer Clubschwester Jacobi fotografieren lässt.

Mit Krawatte unter dem frisch gebügeltem Arztkittel und Bubikopf verkörpert Peritz den Typus der Garçonne, die Nächte in Klubs durchtanzt, Drinks in Bars rund um den Ku’damm schlürft und sich in Kabaretts und Varietés amüsiert. Wann die Medizinerin nach Berlin zieht, lässt sich nicht rekonstruieren. In Breslau gehört die Familie zum intellektuellen jüdischen Bürgertum. Ediths Vater arbeitet als Arzt mit florierender Praxis. Seine 1897 geborene Tochter studiert ebenfalls Medizin.

Die ersten Frauenärztinnen diffamierte man als "Kurpfuscherinnen"

Nach Jahrzehnten erbitterter Kämpfe werden Frauen seit 1899 im Deutschen Reich zum medizinischen Staatsexamen zugelassen und erhalten die Approbation. Ein Jahr später werden die Schweizer Examen anerkannt. Damit dürfen die ersten deutschen Medizinstudentinnen Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus als offiziell zugelassene Ärztinnen arbeiten. Schon 1878 hatten sie in Berlin eine Frauenarztpraxis eröffnet, mussten sich aber als „Kurpfuscherinnen“ diffamieren lassen. Andere Medizinerinnen arbeiten als Schulärztinnen, in Beratungsstellen für Sexual-, Ehe- und Familienfragen oder in von Frauen geleiteten Kliniken. Bis 1918 werden über 750 Frauen in Deutschland approbiert.

Um Vorbehalte abzumildern, hatte die bürgerliche Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts beim Kampf um Zulassung das gesellschaftlich akzeptierte Frauenbild nicht angetastet. Vielmehr seien Frauen wegen ihrer „typisch weiblichen“ Eigenschaften wie Empathie und Mütterlichkeit als Ärztinnen für Frauen und Kinder besonders geeignet, zumal sich Patientinnen ungern von Medizinern untersuchen ließen. Die ersten Medizinerinnen spezialisieren sich deshalb auf Kinderheilkunde, Gynäkologie oder Psychiatrie.

Facelifting lernt Peritz in Paris bei der Koryphäe Suzanne Noël

Auch Edith Peritz promoviert 1922 in Kinderheilkunde an der schlesischen Universität. Als vermutlich unbezahlte Assistentin wendet sie sich zunächst der Inneren Medizin zu, um sich später der Schönheitschirurgie zu verschreiben. Da es deutschlandweit kaum Koryphäen gibt, lernt die Deutsche in der Pariser Privatklinik der renommierten ästhetischen Chirurgin Suzanne Noël die Verfahren des minimalinvasiven Faceliftings ebenso kennen wie die Augenlidkorrekturen.

Vielleicht hatte Edith Peritz sich von Noëls Standardwerk „La Chirurgie Esthétique, Son Rôle Social“ begeistern lassen, in dem die Französin ihre Operationsmethoden beschreibt, die sie nach ihren Erfahrungen mit Verstümmelungen und entstellenden Wunden von Soldaten nach 1918 weiterentwickelt hat. Gleichzeitig will sie es als Feministin Frauen ermöglichen, sich durch Schönheitsoperationen länger begehrenswert zu fühlen. Damit reagiert Noël auf ein verändertes Schönheitsideal, wie es um 1900 im Film und in der Werbung vermittelt wird. Die androgyne Frau zieht durch Grazie, rot geschminkte Lippen und Koketterie die Herrenwelt in Bann. Diät ersetzt das Korsett. Modejournale wie die „Vogue“ arrangieren Damen im „kleinen Schwarzen“, die sich in französischen Designerhäusern wie Chanel, Lanvin, Doucet oder Drecoll in den weißen Flanellmantel oder in schwarze Kaschmirpullover mit Schleife hüllen.

Nach Berlin - zum Netzwerken und in die eigene Praxis

Suzanne Noëls Kundinnen gehören zur Hocharistokratie, sind Schauspielerinnen und Musikerinnen – und Geschäftsfrauen. Wahrscheinlich taucht Edith Peritz in deren fein gesponnenes Netzwerk ein. Vielleicht begeistert sie die schwarze Tänzerin Josephine Baker im Bananenröckchen, vielleicht diskutiert sie im Salon von Gertrude Stein oder trinkt Martini mit der Autorin Djuna Barnes, die sie in ihren intellektuell-lesbischen Freundinnenkreis einführt.

Das Verhältnis zu der lebenserfahrenen Schönheitschirurgin jedenfalls entwickelt sich so intensiv, dass diese sie ermuntert, in Berlin einen Club für berufstätige Frauen zu gründen – die Soroptimisten, die 1921 von der Amerikanerin Adelaide Goddard in Kalifornien aus der Taufe gehoben wurden. Suzanne Noël etabliert die Soroptimisten weltweit: 1930 steht die Französin Patin für den ersten deutschen Soroptimisten-Club, dem Edith Peritz als erste Präsidentin vorsteht. Der Name leitet sich vom Lateinischen „sorores optimae“ – „beste Schwestern“ ab. 1933 zählt der Berliner Club rund vierzig Mitglieder.

Die Schauspielerin Tilla Durieux gehört ebenso dazu wie die pazifistische Künstlerin Annot Jacobi, die Journalistin Gabriele Tergit, die Anwältin Margaret Berent, eine Juwelierin und Pensionsinhaberin. Dienstags speist man im Restaurant Hahnen am Nollendorfplatz. Die Clubschwestern gestalten in der Lessing-Hochschule den Vortragszyklus „Frauen über Frauenberufe“ mit und richten in der Ausstellung „Wohnen und Mode“ den Raum „Wohn- und Bibliothekszimmer der berufstätigen Frau“ ein.

Erste Berliner Ärztin für ästhetische Chirurgie

Ansonsten treffen sich die Clubschwestern im Museum, im Konzert und zu Lesungen und pflegen Austausch mit Soroptimisten weltweit. „Wir trafen uns, erzählten uns gegenseitig aus unserem Berufsleben und seinen Problemen, wir kamen aus unserem Alltag heraus, lernten eine Menge und waren schrecklich stolz aufeinander“, schreibt Edith Peritz.

Buchcover "Mit Wagemut und Wissensdurst".
Soeben erschienen: Mit Wagemut und Wissensdurst von Felicitas von Aretin.

© Promo

Neben dem Präsidentenamt baut die Ärztin ab 1928 eine Praxis für ästhetische Chirurgie in Charlottenburg auf. „Ich stand damals als Schönheitschirurgin am Beginn einer glänzenden wie sehr ertragreichen Praxis“, resümiert sie in ihrem Entschädigungsantrag. Parallel engagiert sich die Chirurgin im 1924 gegründeten Bund Deutscher Ärztinnen. 1931 wählt der Ortsverband Berlin-Brandenburg sie zur ersten Vorsitzenden. Frauenjournale interviewen sie als erste Berliner Ärztin für ästhetische Chirurgie.

Beim sogenannten „Judenboykott“ am 1. April 1933 werden deutschlandweit Arztpraxen und Krankenstationen zerstört; wenig später verlieren jüdische Mediziner ihre Kassenzulassung. Edith Peritz kann zunächst ihre Privatpraxis verlegen. Ausgegrenzt wird sie als Vorsitzende im Ortsverband. Ende Juni beschließt der Bund deutscher Ärztinnen, „nicht-arische“ Mitglieder auszuschließen. Unterstützt wird die Chirurgin hingegen von ihren Clubschwestern, die sich wegen ihrer vielen jüdischen Mitglieder im Verborgenen treffen.

Peritz muss Berlin verlassen, lässt sich in New York nieder

Die spätere Regierungspräsidentin von Hannover und Clubschwester Theanolte Bähnisch eröffnet 1933 eine Anwaltskanzlei, um Verfolgten zu helfen. Zu ihrem Freundeskreis zählen die Widerstandskämpfer Ernst von Harnack und Erwin Planck, dessen Frau Nelly Mitglied im Berliner Soroptimisten-Club ist.

Da sich die Situation in Berlin zuspitzt, schifft sich Edith Peritz 1936 zunächst nur mit einem Besuchervisum nach New York ein. „Eine Rückkehr war jedoch nach den mich erreichten Nachrichten über die Zustände in Deutschland ganz unmöglich, so dass ich mich entschloss, alles im Stich zu lassen und in den USA zu bleiben“, schreibt sie. Wie viele jüdische Emigranten lässt sie sich im intellektuellen New York nieder. Mitte der Dreißigerjahre schlittern die USA in eine schwere wirtschaftliche Krise mit hoher Arbeitslosigkeit. Insbesondere unter Medizinern grassiert die Angst vor Konkurrenz durch die oft unbeliebten europäischen Flüchtlinge.

Während sich viele Ärztinnen als Kassiererinnen oder Putzfrauen über Wasser halten, bekommt Edith Peritz 1936 die begehrte Kassenzulassung, wird aber nicht als Fachärztin anerkannt. Außerdem heiratet sie den zehn Jahre älteren preußischen Aristokraten Karl von Lojewski und wird amerikanische Staatsbürgerin. 1940 gründet sie eine eigene Praxis und nimmt Kredite auf. Da sie nicht an die Berliner Karriere anknüpfen kann, stellt sie 1958 einen Entschädigungsantrag und erhält nach zweijährigem Ringen 11 500 D-Mark.

"Für uns Frauen schien das Goldene Zeitalter angebrochen zu sein"

Anlässlich des vierzigjährigen Berliner Clubjubiläums 1970 beschwört Edith Peritz in einem Brief den Geist der Anfangsjahre: „Manche von Euch werden sich noch erinnern können, wie lebendig und geistig anregend Berlin war, wie es für uns den Mittelpunkt der Welt bedeutete. Für uns Frauen schien das ,Goldene Zeitalter‘ angebrochen zu sein. Die Schranken, die uns im Berufsleben und im öffentlichen Leben beengt hatten, waren gefallen.“

In den USA kämpft die weltgewandte Ärztin für Völkerverständigung. „Wir müssen dem eigenen Lande und seinen speziellen Problemen helfen, wir müssen die Beziehungen zwischen den Völkern friedlich gestalten, indem wir persönliche Beziehungen schaffen, so daß die Bewohner eines anderen Landes nicht als Feinde erscheinen, sondern als Menschen wie Du und ich“, schreibt sie fast beschwörend nach Berlin. Sie bereist bis ins hohe Alter die Welt und wird schließlich auch in den USA eine berühmte Chirurgin, die 1964 in der Mike-Douglas-Talkshow auftritt. Nach dem Tod ihres Mannes nimmt sie ihren „Berufsnamen“ Peritz wieder an. Sie stirbt 1985 in New York.

Dortmund verleiht den "Dr. Edith Peritz-Preis" für Gleichstellung

Vergessen sind ihre Missionen auch in Deutschland keineswegs. Das Gleichstellungsbüro der Stadt Dortmund hat gemeinsam mit dem dortigen Soroptimist-Club den „Dr. Edith Peritz-Preis“ ins Leben gerufen. Er würdigt Verdienste um die Verbesserung der Stellung der Frau – vor allem, wenn es darum geht, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen oder Frauen in technischen und nicht traditionellen Berufen zu fördern. Der mit 1500 Euro dotierte Preis wird am 8. März, dem Internationalen Frauentag, erstmals verliehen.

Der Text basiert auf einem Kapitel aus dem soeben erschienenen Buch von Felicitas von Aretin: Mit Wagemut und Wissensdurst – Die ersten Frauen in Universitäten und Berufen (Elisabeth Sandmann Verlag, 208 Seiten, 24,95 Euro).

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