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Tausende Zuschauer auf einem Open-Air-Konzert in Ischgl

© dpa

Früherer Corona-Hotspot: Fast die Hälfte der getesteten Bürger in Ischgl waren infiziert

Der Tiroler Ski-Ort Ischgl wurde im März zum Brennpunkt der Covid-19-Epidemie. Nun legen Mediziner Ergebnisse einer großangelegten Infektionsstudie vor.

Mehr als 40 Prozent der Teilnehmer an einer Infektionsstudie in der Tiroler Gemeinde Ischgl haben Antikörper gegen das Coronavirus Sars-CoV-2, berichten Forschende von der Medizinischen Universität Innsbruck.

In einer Studie wurden knapp 1500 Bewohnerinnen und Bewohner Ischgls Ende April auf das neue Coronavirus und entsprechende Antikörper getestet. Die ersten Ergebnisse der Studie wurden heute auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung ist geplant.

Der Großteil der Ischgler Bevölkerung, rund 80 Prozent, hat sich an der Studie beteiligt. Zentrales Ergebnis ist eine hohe Dunkelziffer von Infektionen: Der Anteil von Personen mit Antikörpern, die bereits eine Infektion durchlaufen haben, liegt etwa sechs Mal höher als die Zahl der zuvor mittels Rachenabstrichen positiv getesteten Personen.

Die Rate der offiziell gemeldeten Fälle beträgt damit nur 15 Prozent der de facto Infizierten. Bei Kindern, insgesamt waren 214 unter-18-Jährige an der Studie beteiligt, fallen zehnmal mehr Antikörper-Tests positiv aus als die Virusnachweise in Abstrichen. Abstriche sind das herkömmliche Mittel, um eine Coronavirus-Infektion zu testen.

Geringe offizielle Erkennung

„Die Dunkelziffern in dieser Höhe sind für mich überraschend“, sagte die Studienleiterin Dorothee von Laer, die Direktorin des Instituts für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Obwohl in Ischgl als Hotspot des Infektionsgeschehens viel getestet worden sei, gab es viele unentdeckte Fälle.

42,4 Prozent Studienteilnehmenden mit Antikörpern gegen Sars-CoV-2 im Blut sei der höchste je in einer publizierten Studie erhobene Anteil positiver Bluttests weltweit.

In dieser Größenordnung nähere man sich der Herdenimmunität der Bevölkerung an. Herdenimmunität bedeutet eine Ansteckung und folgende Immunität eines so großen Anteils der Bevölkerung, dass keine neuen Infektionen mehr auftreten.

Von Laer erklärt, dass die Ischgler Bevölkerung zwar „zu einem Gutteil geschützt“ sei, die Studie aber keine abgesicherten Aussagen zur Beurteilung der Herdenimmunität zulasse.

Ursache für die hohe Zahl nicht dokumentierter Fälle ist der häufig milde oder symptomfreie Verlauf der Erkrankung Covid-19. Erkrankte lassen sich daher häufig nicht testen.

Mittels Fragebogen wurden in der Studie Symptome erhoben: Ein Großteil der positiv auf Antikörper getesteten Studienteilnehmenden berichtete über Geschmacks- und Geruchsstörungen. „Das ist das spezifischste Symptom von Covid-19“, sagt von Laer. Bei anderen häufigen Atemwegserkrankungen trete es im Gegensatz zu Fieber und Husten nicht auf. Unter den positiv getesteten Kindern verlief die Infektion meist ohne Symptome.

Nachfolgestudien geplant

Insgesamt wurden neun Erkrankte ins Krankenhaus eingeliefert, ein Patient wurde auf der Intensivstation behandelt. Nur zwei Todesfälle in Ischgl stehen in Zusammenhang mit Covid-19.

Ischgl war aufgrund von Superspreading-Events überdurchschnittlich von der aktuellen Corona-Pandemie betroffen. Strikte Quarantänemaßnahmen führten jedoch zu sinkenden Fallzahlen.

Die Studienergebnisse seien nicht repräsentativ für die österreichische Gesamtbevölkerung. „Es handelt sich um eine Leuchtturmstudie mit sehr hoher Beteiligung der Ischgler Bevölkerung“, sagt der Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck, Wolfgang Fleischhacker. Die Erkenntnisse könnten aber als Grundlage weiterer Untersuchungen dienen.

So konnte in der Studie gezeigt werden, dass ein dreistufiges Verfahren „maximale Sensitivität und praktisch 100 Prozent Spezifität“ gewährleiste, so von Laer. Die Sensitivität gibt an, wie sicher ein Test einer Erkrankung erfasst. Die hohe Spezifität besagt, dass keine falsch positiven Ergebnisse von gesunden Personen vorliegen.

Im in der Studie angewendeten Verfahren wurden zwei unterschiedliche Elisa-Tests auf Antikörper mit einem Neutralisationstest kombiniert, mit dem neutralisierende Antikörper im Blutserum nachgewiesen werden können. Mit Neutralisationstests werden die Ergebnisse der teilweise automatisierten Elisa-Tests überprüft.

In der Studie wurden zwei negative Elisa-Ergebnisse als „nicht infiziert“ gewertet. Zwei positive Elisa-Ergebnisse wurden als „Hinweis auf eine zurückliegende Infektion mit SARS-CoV-2“ beurteilt. War nur ein Elisa-Test positiv und der andere negativ, wurde ein Neutralisationstest durchgeführt.

In weiteren Studien in Ischgl will von Laers Team untersuchen, wie lange TrägerInnen von SARS-CoV-2-Antikörpern vor einer neuen Infektion geschützt sind. Die bisherigen Ergebnisse lassen keine Rückschlüsse darauf zu.

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