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Auf einem Holzregal liegen Mobiltelefone, die aufgeladen werden, im Hintergrund sind wartende Männer zu sehen.

© Timm Schamberger/dpa

Für eine digitale Bildungsstrategie: Hunderttausende Flüchtlinge könnten online lernen

Digitale Bildung muss ganz oben auf der Flüchtlings-Agenda der Bundesregierung stehen, fordert der stellvertretende Generalsekretär des Stifterverbandes in einem Meinungsbeitrag.

Große Teile unserer Gesellschaft werden durch die Flüchtlingskrise in einer Weise herausgefordert, die ihre Routinen grundlegend erschüttern. Das ist gut. Not kann Erneuerung anstoßen. Das betrifft auch die Bildungsinstitutionen. Sie haben sich für die Digitalisierung der Lehre nur wenig offen gezeigt. Das lag nicht zuletzt daran, dass es keinen Leidensdruck gab. Die weltweiten Treiber der Digitalisierung – Infrastrukturkosten, Mangel an Lehrkräften und unzulängliche Bildungsteilhabe – hatten in Deutschland vergleichsweise kaum Relevanz. Das hat sich jetzt schlagartig geändert.

Flüchtlinge deutlich mehr mit Integrationskursen erreichen

Hunderttausende Flüchtlinge müssen in Rekordzeit in unsere Bildungsinstitutionen integriert werden. Das können wir schaffen, wenn wir alle Chancen konsequent nutzen, die in der Digitalisierung des Lehrens und Lernens liegen. Sonst könnte es, vorsichtig formuliert, schwierig werden. Digitale Bildung gehört deshalb ganz oben auf die Agenda von Peter Altmaier, dem Gesamtkoordinator der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Mit dem entsprechenden politischen Willen könnten schon in kurzer Zeit mehr Flüchtlinge deutlich früher mit Integrationskursen und anderen Bildungsangeboten erreicht werden, als es bisher möglich oder auch nur denkbar erscheint.

Beispiel Schulen. Der Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften geht weit über das Angebot an qualifiziertem Personal hinaus. Der Sprachunterricht muss dazu – je nach Bildungsstand der einzelnen Flüchtlinge – hochgradig individualisiert und differenziert werden. Hier könnte der Einsatz von Smartphones helfen, über die die meisten Flüchtlinge verfügen. Sie können zum Selbststudium eingesetzt werden, zur Übersetzung oder zur Vernetzung. Genügend Angebote gibt es im Netz: So hat das Goethe-Institut Apps, Videos, Übungen sowie eine ganze Lernplattform für Flüchtlinge zum Deutschlernen entwickelt. Diese Angebote sind didaktisch gut aufbereitet. Sie funktionieren unabhängig davon, ob sie von tausend oder von einer Million Menschen genutzt werden.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für breite Angebote der Unis

Beispiel Hochschulen. Ihr Engagement bei der Flüchtlingsintegration ist beeindruckend. Fast überall erhalten Flüchtlinge einen Gasthörerstatus. Aber warum müssen eigentlich an jedem Standort eigene Angebote entwickelt und auf Flüchtlinge zugeschnitten werden, die am Ende doch überall gleich sind: Propädeutika, Sprachkurse, Einführungsveranstaltungen in die deutsche Kultur, das akademische Leben und das politische System. Wenn es je den richtigen Zeitpunkt für zentral und gepoolt gestaltete, online für jedermann abrufbare Lehrinhalte gegeben hat, dann jetzt!

Das Bild zeigt Volker Meyer-Guckel.
Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbands.

© Promo

Natürlich sind reine Onlineangebote für Flüchtlinge keine Alternative zum Präsenzunterricht. Sie sind aber eine wertvolle Ergänzung. Denn so kann man die persönliche Betreuung vor Ort intensivieren und individualisieren. Flüchtlinge belegen auf ihre Bedürfnisse maßgeschneiderte Onlinekurse, wo sie auch über institutionelle Grenzen hinweg miteinander kommunizieren können; das Gelernte wird dann im Präsenzunterricht gefestigt. Das Prinzip ist erprobt: Viele Lehrkräfte in Schulen und Universitäten praktizieren ein solches „Blended Learning“ bereits mit großem Erfolg. Nun gilt es, daraus eine institutionelle und politische Strategie zu formen.

Investitionen in digitale Angebote für Flüchtlinge zahlen sich aus

Integration und Lernen eignen sich ideal für digitale Angebote: Die Inhalte sind standardisiert, die Werkzeuge sind da – und der Handlungsdruck ist immens. Viele Organisationen arbeiten momentan an digitalen Studien- und Ausbildungsangeboten, umfassenden Informationsplattformen und Austauschmöglichkeiten für Flüchtlinge. Erste Ansätze gibt es zum Beispiel mit der jüngst gegründeten Kiron University, die für Flüchtlinge ein vollwertiges Online-Bachelorstudium anbieten möchte. Auch die Leuphana-Universität in Lüneburg entwickelt digitale Angebote für den Sprach- und Integrationsunterricht, die bundesweit genutzt werden können. Die Investition in solche Formate ist eine, die sich schnell auszahlen wird.

Der Autor ist stellvertretender Generalsekretär des Stiftverbandes für die Deutsche Wissenschaft.

Volker Meyer-Guckel

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