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Auch die Japaner sind aufgebracht von dem Verhalten der Betreiberfirma Tepco.

© AFP

Fukushima: Die tägliche Dosis (3)

Über das Atomunglück in Fukushima wird viel berichtet - auch viel Widersprüchliches. Alexander Kekulé meint: Gesunder Menschenverstand hilft, die Gefahr richtig einzuschätzen.

Am heutigen Tag 20 der Katastrophe sei eine kurze Zwischenbilanz in eigener Sache erlaubt. Natürlich ist mir nicht entgangen, dass ich seit Wochen immer wieder etwas anderes schreibe als die meisten anderen Kommentatoren. Meine Einschätzung vom Tag 4 des Unglücks, dass eine massive Kernschmelze und Freisetzung großer Mengen Radioaktivität wie in Tschernobyl „sehr unwahrscheinlich“ ist, gilt nach wie vor (siehe auch meine Kommentare vom 23.3. und 30.3. im Tagesspiegel). Gestern habe ich in diesem Themenschwerpunkt erklärt, dass die Plutoniumwerte vom AKW-Gelände Fukushima extrem niedrig (im Normalbereich für Japan) sind und von den Explosionen der ersten Tage des Unglücks stammen könnten, also kein Hinweis auf eine aktuelle Kernschmelze sind.

Demgegenüber erklärte zum Beispiel Michael Sailer vom Öko-Institut gestern im Deutschlandradio, die Plutoniumfunde würden bedeuten, dass der Reaktor derzeit „entweder knapp unter der Kernschmelze oder in der Kernschmelze“ sei. Sailer ist immerhin Mitglied der Reaktorsicherheitskommission der Bundesregierung.

Wie soll sich der (an sachlicher Information interessierte) Normalbürger da noch zurechtfinden?

Mein Ratschlag ist: Genau nachlesen, wer seine Argumente sauber begründet. Dazu braucht man zum Glück kein Diplom in Kernphysik, sondern nur einen gesunden Menschenverstand – dem kann man auch bei wissenschaftlichen Fragen durchaus vertrauen. In diesem Sinne versuche ich weiter, einen sachlichen Blick auf die Ereignisse in Fukushima zu bewahren.

Immerhin scheint meine (seinerzeit noch heftig angegriffene) Einschätzung, dass Tepco und die japanischen Behörden erhebliche Fehler machen, inzwischen common sense zu sein. Nachdem zwei Arbeiter ohne Stiefel in radioaktivem Wasser herumstapften, Tepco mehrmals Strahlenwerte revidieren musste und Helfer im japanischen Fernsehen von den unmenschlichen Bedingungen am Unglücksort berichten, ist der Vorwurf auch kaum noch von der Hand zu weisen. Das unprofessionelle Verhalten von Tepco beunruhigt mich ehrlich gesagt mehr als die (leider dürftigen) Fakten, die von den Reaktoren bekannt werden.

Doch nun von den menschlichen Problemen zu den Problemisotopen: Nehmen wir einmal an, dass in Fukushima in den nächsten Wochen bis Monaten die Kaltabschaltung ohne massive Kernschmelze und Super-GAU à la Tschernobyl gelingt. In diesem (nach meiner Beurteilung nach wie vor sehr wahrscheinlichen) Fall wird der langfristige Schaden davon bestimmt sein, wie viel Radioaktivität bis dahin in die Umwelt und die Nahrungskette gelangt ist. Dabei geht es in erster Linie um Plutonium, Jod, Strontium und Cäsium.

Plutonium
Die Gefahr durch Plutonium ist, das muss allen anders lautenden berichten zum Trotz wiederholt werden, derzeit nicht das größte Problem. Die hier relevanten Plutoniumisotope Pu-238, Pu-239 und Pu-240 sind Alphastrahler, das heißt ihre radioaktive Strahlung führt nur bei Aufnahme in den Körper (Inhalation oder mit Lebensmitteln) zu schweren Schäden. Plutonium ist ein Schwermetall und wird, über Staubpartikel, nicht besonders effektiv verbreitet. Beim Tschernobyl-Unglück war die Situation anders, weil durch die Explosion des Reaktors mit Plutonium beladene Partikel bis in die obere Atmosphäre geschleudert wurden.

Zur Einordnung der vom AKW- Gelände gemeldeten Plutonium-Werte seien ein paar Vergleichszahlen genannt. Bei den überirdischen Atombombentests (1945 bis 1980) wurden insgesamt etwa 4,2 Tonnen Plutonium freigesetzt, davon haben sich 2,8 Tonnen als feiner Staub in der Erdatmosphäre verteilt. Auch durch Unfälle mit Satelliten und Flugzeugen gelangten mehrere Kilogramm Plutonium in die Umwelt. Beispielsweise verglühte 1964 ein US-Satellit mit einem Kilogramm Pu-238 über dem Pazifik. Wegen der langen Halbwertszeiten (24.100 Jahre bei Pu-239) sind in der nördlichen Hemisphäre (wo der Atombomben-Fallout stärker als im Süden war) bis heute die Böden mit etwa 7 Becquerel pro Kilogramm Erde (Bq/kg) für Pu-239/240 und 0,17 Bq/kg für Pu-238 belastet.

Weil die Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield bis in die 1980er Jahre mit ihren Abfällen kiloweise Plutonium in die Irische See einleitete, enthält dort der Meeresgrund 12 bis 1700 Bq/kg Plutonium, zehn Millionen mal mehr als der Normalwert.

Im AKW Fukushima betrugen die höchsten Messwerte dagegen nur 0,27 Bq/kg für Pu-239/240 und 0,54 Bq/kg für Pu-238. Das ist ein Beleg dafür, dass (wahrscheinlich durch die Druckentlastungen der Reaktoren und anschließenden Explosionen) in extrem geringer Menge Plutonium freigesetzt wurde. Eine relevante Umweltgefahr ist es jedoch (derzeit) nicht.

Viel ernster ist die Gefahr durch radioaktives Jod, Strontium und Cäsium – unsere alten Bekannten aus Tschernobyl. Dazu in der nächsten Ausgabe mehr.

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