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Wissenschaft als Zukunftsthema? So wird nur in Sonntagsreden gesprochen. Die Realität sieht anders aus.

© picture alliance / dpa

Gastbeitrag zu Wissenschaftsministern: Hochschulpolitik braucht Gewicht

Persönlichkeiten sind unter den heutigen Wissenschaftsministern selten. Dabei würden sie dringend gebraucht. Ein Gastbeitrag.

Wissenschaftspolitik ist in erster Linie Ländersache. Aber wer betreibt sie dort? Das derzeitige Bild ist nicht eben ermutigend. Da gibt es in Nordrhein-Westfalen eine SPD-Ministerin, als deren wesentliches Qualifikationsmerkmal ihre frühere Tätigkeit als Asta-Vorsitzende einer Universität genannt wird. Eine entsprechende Brille trägt sie offenbar immer noch; jedenfalls verliert sie sich ständig im Klein-Klein von Mitbestimmung und Teilhabe-Diskussionen. In Berlin hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller, SPD, die Reißleine gezogen: Er macht Wissenschaft und Forschung zur Chefsache; bestimmt nicht, obwohl für das Ressort geeignete Kandidaten (m/w) Schlange stehen.

Und wie sieht es im Lager der Konservativen aus? Keinesfalls besser. Ein besonders schlechtes Beispiel liefert Hessen mit Minister Boris Rhein. Die „Krönung“ seiner Fehlleistungen ist das einer Fachhochschule partiell eingeräumte Promotionsrecht.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Das Ressort Wissenschaft und Forschung ist bei den einst „großen“ Parteien gelegentlich zur Manövriermasse geworden, wenn es darum geht, eine Quotenfrau oder jemanden unterzubringen, der ein bestimmtes Lager oder eine noch nicht bedachte Region vertritt. Damit zeigt sich, dass dem Bereich, entgegen aller verbalen Bekundungen über die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für das rohstoffarme Land, nicht die Bedeutung beigemessen wird, die ihm bei der personellen Ausstattung gebührt.

Früher zeigten Wissenschaftsminister Kante

Denkt man einmal an den Beginn der Schul- und Hochschulreform, so fallen Namen aus der CDU wie Wilhelm Hahn, Baden-Württemberg, oder Paul Mikat, Nordrhein-Westfalen. Sie waren noch Repräsentanten eines Kultusministeriums, das auch die Wissenschaft umfasste. Aber auch „stürmische“ Ressortchefs mit SPD-Parteibuch, wie Ludwig von Friedeburg, Hessen, und Peter von Oertzen, Niedersachsen, zeigten Kante. Ebenso war es bei späteren Ministerpräsidenten wie Johannes Rau (SPD) und Bernhard Vogel, CDU in Rheinland-Pfalz, zu ihrer Zeit als Fachminister. In die Reihe der Kultusminister mit besonderem Profil gehört auch Hans Maier, CSU, für Bayern.

Ein gutes Doppel im Sinne der Zusammenarbeit von A- und B-Ländern waren der bayerische Minister Hans Zehetmair, CSU, und Jürgen Zöllner für die SPD in Rheinland-Pfalz. Frankenberg, CDU in Baden-Württemberg, und Pinkwart, FDP in NRW, verfolgten die „unternehmerische“ Hochschule, schossen aber über das Ziel hinaus und mussten mit ansehen, wie ihre Nachfolgerinnen das Rad zurückdrehten.

Natürlich gibt es auch heute einzelne Politiker, die ihre Aufgabe ordentlich erledigen. Die sächsische Ministerin Eva-Maria Stange (SPD) verbindet linke Überzeugung mit Sachkompetenz. In Baden-Württemberg regiert die gestaltungsfreudige Grüne Theresia Bauer. Ein Beispiel für besonderen Einsatz für die Hochschulen, der das Amt kostete, ist Birgitta Wolff (CDU) in Sachsen-Anhalt.

So wenig Erkennbarkeit wie heute war selten zu finden

Dennoch: So wenig Erkennbarkeit und Profil wie derzeitig war selten zu finden. Es ist für politische Talente offenbar uninteressant, die Karriere über ein entsprechendes Ressort zu starten.

Nun könnte man einwenden, angesichts der zunehmenden Globalisierung wäre es ohnehin schwierig, ein hochschulpolitisches Profil zu entwickeln. Allenfalls böte sich dafür die zunehmende „Diversity“ bei den Hochschulmitgliedern an. Fraglos ist die Globalisierung ein objektiver Prozess, der immer stärker Wissenschaft und Hochschulen wie das Leben der gesamten Gesellschaft prägt. Dabei dominiert sprachlich und kulturell die stärkste Macht, die USA.

Globalisierung bedeutet also nicht zuletzt eine starke Tendenz zur weltweiten sprachlichen und kulturellen Homogenisierung. Die deutsche Hochschulpolitik hat sich auf den Weg der Globalisierung besonders eingelassen, als sie geschichtsvergessen Bachelor, Master und möglichst auch den PhD zu den akademischen Graden deutscher Universitäten und Hochschulen machte. Dabei berief sie sich irreführenderweise auf die Bologna-Erklärung, die zwar ein zweiphasiges Studiensystem empfahl, sich aber ausdrücklich zur Wahrung der kulturellen Traditionen Europas bekannte. Überdies behauptete man realitätswidrig, die neu eingeführten Gradbezeichnungen entsprächen einem international anerkannten angloamerikanischen Graduierungssystem. Dabei hätte allgemein bekannt sein sollen, dass diese Grade im englischen Sprachraum unterschiedliche Funktionen erfüllen und die dortigen Universitäten jeweils eigenständig entscheiden, welche Grade sie anerkennen. Was man symbolisch proklamierte, war die Ära der Globalisierung.

Hochschulen geben sich der Englischsprachigkeit hin

Da ist es nur konsequent, dass die deutschen Hochschulen Abschied nehmen vom wissenschaftlichen Ideal der Mehrsprachigkeit und sich hemmungslos der englischen Einsprachigkeit hingeben. Ebenso ist es folgerichtig, dass die deutsche Hochschulpolitik, gedrängt von der OECD, nach dem Vorbild des B.A. in den USA, immer höhere Abiturienten- und Studierendenzahlen als Ziele proklamiert und damit unsere bewährte duale Berufsbildung in gefährlicher Weise entwertet. Oder immer wieder als Fortschritt ausgibt, die praxisorientierte deutsche Fachhochschule zu einer quasi-Universität zu machen.

Eigentlich, so sollte man denken, fordern die Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Hochschulsituation und die offenkundigen Probleme bei der Umsetzung der Bologna-Reform geradezu zur politischen Profilierung heraus. Allerdings ist im Ergebnis der sich auf Bologna berufenden Hochschulreformen parteiübergreifend in Ministerien, Hochschulverwaltungen, Mitarbeiterstäben und nicht zuletzt in Redaktionen eine hochschulpolitische Mandarinenschicht entstanden, welche ein unkritisches Bild von Globalisierung verinnerlicht hat, Einwände nicht nur abwehrt, sondern auch ideologisch verdächtigt und unbeirrbar am eingeschlagenen Kurs weg von deutscher Universitätstradition festhält. Da braucht es schon eine Persönlichkeit als Minister, welche aus eigener Kenntnis weiß, was Lehre und Forschung erfordern, die ein zutreffendes Bild der deutschen Universitätsgeschichte und der internationalen Hochschulwelt hat, ihre Absichten griffig formulieren kann und über das politische Stehvermögen verfügt, sich gegen eine Mauer von Desinteresse und Fehlurteilen durchzusetzen.

Über Jahrzehnte war die bildungspolitische Debatte bestimmt vom Konflikt jener, die primär auf Leistungsanspruch und auf institutionelle Differenzierung mit hoher sozial-kultureller Homogenität setzten, und jenen, die vor allem eine nach oben gerichtete soziale Mobilität befördern wollten und darum eine individuelle Differenzierung in heterogenen Bildungskontexten anstrebten. Beide Richtungen waren, zumal in ihren ideologischen Zuspitzungen, einseitig und vorurteilsbelastet. Dahin wollen wir nicht zurück.

Leistungsansprüche werden als "elitär" verdächtigt

Doch die Art, wie heute in Deutschland Globalisierung nach amerikanischem Vorbild betrieben wird, könnte schließlich doch dazu führen, dass ein Hochschulabschluss als Normalfall angesehen und dagegen gerichtete Leistungsansprüche als „elitär“ verdächtigt werden. Wer zu diesem Trend ohne viel nachzudenken nur noch die Fahne der Internationalisierung zu schwenken weiß, sollte sich über die Folgen einer solchen Art von Hochschulpolitik nicht wundern.

Als Ergebnis bleibt: Die Union hat sich programmatisch aufgegeben, die SPD nützt den neuen Wind, um ihre alten Anliegen weiter voran zu bringen – beides zum Nachteil der Hochschulen. Von denen aber kommt auch nicht viel. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat jüngst das schwache konzeptionelle Selbstbewusstsein der Universitäten beklagt. Da hat er grundsätzlich Recht. Darüber hinaus bietet der Zusammenschluss der Hochschulen oder „die Stimme der Hochschulen“, wie die Hochschulrektorenkonferenz sich nennt, dank der Grüppchen, in die sie zu zerfallen droht, kein überzeugendes Bild. Insofern ist dieses Gremium ein Spiegelbild der Basis – und umgekehrt.

Hochschulpolitik bewegt auf Länderebene nicht die Gemüter der Politik-Entscheider. Das wird sich erst ändern, wenn die Parteien dem Thema, nicht nur in Sonntagsreden, mehr Gewicht einräumen und sich demzufolge auch politische Schwergewichte seiner annehmen.

Hans Joachim Meyer war von 1990 bis 2002 Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst (CDU). George Turner war von 1986 bis 1989 Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin (parteilos für die CDU) und ist Kolumnist des Tagesspiegels.

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