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Galileo Galilei (1564 - 1642).

© picture-alliance/akg-images

Gefälschte Galilei-Zeichnungen: "Es traf uns wie ein Blitz"

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp war sich sicher, ein Buch mit Tuschezeichnungen Galileo Galileis vor sich zu haben. Doch es war gefälscht. Hier spricht er über eigene und fremde Irrtümer.

Im Jahr 2007 machte der hoch angesehene Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp mit seinem Buch „Galilei, der Künstler“ Furore. Im Zentrum standen Galileis erste Beobachtungen mit dem Fernrohr, die er in seinem Band „Sidereus Nuncius“ („Der Sternenbote“) im Jahr 1610 veröffentlicht hatte. Bredekamp stützte seine Thesen auch auf einen vermeintlichen Sensationsfund: Auf ein bislang unbekanntes Exemplar des „Sternenboten“, das – anders als die anderen, mehr als 80 erhaltenen Ausgaben – Tuschezeichnungen von Galileis Hand zu enthalten schien. Bredekamp sah darin seine Überlegungen von der hohen Bedeutung der Kunst für den Naturwissenschaftler eindrucksvoll bestätigt. Ein britischer Historiker deckte im Mai 2012 auf, dass das Buch gefälscht ist. Bredekamp und andere Experten haben den spektakulären Fälschungsfall in dem Buch „A Galileo Forgery“ („Eine Galileo-Fälschung“) aufgearbeitet, das sie am Freitag an der Humboldt-Universität vorstellen. Mit Bredekamp sprach Thomas de Padova.

Herr Bredekamp, ein Buch mit vermeintlichen Handzeichnungen Galileo Galileis aus dem Jahr 1610 wurde von einem New Yorker Antiquar für 500.000 Dollar gekauft und als Sensation gefeiert. Obschon von Ihnen und anderen Experten für echt befunden, hat es sich als Fälschung entpuppt. Dahinter steckte als Auftraggeber der Italiener Marino Massimo De Caro, der bereits zu sieben Jahren Hausarrest verurteilt wurde. Was waren seine Motive?

Ich habe mit ihm nie gesprochen. Die Motive wird nur er selbst kennen. Ich habe die Vermutung, dass es bei diesem einen Exemplar nicht um Gewinn ging, sondern um mehr als das: um eine Art Wettstreit mit Spezialisten, die sich unter den Händlern wie auch in der Wissenschaft befinden, um ein Übertrumpfen all derer, die sich mit Galilei beschäftigt haben.

De Caro hat selbst ein Werk zu Galilei geschrieben.

Es fand kaum Resonanz. Dies mag dazu beigetragen haben, dass er seinen eigenen Worten zufolge zweieinhalb Jahre für die Produktion dieser Fälschung aufgewendet hat. Das ist schon allein aus ökonomischer Sicht ein Irrsinn.

Zuletzt plünderte De Caro die älteste Bibliothek Neapels, deren Direktor er war. Es sind mehrere Fälschungen von ihm aufgedeckt worden. Was macht diesen Fall so besonders?

Alte Bücher als Bleidruck zu fälschen, galt lange als so gut wie unmöglich. Die alten Materialien zusammenzubringen, das Papier zu schöpfen, die Wasserzeichen einzulassen, schon das ist sehr schwierig. Und gedruckte Bleibuchstaben in fünfstelliger Zahl Stück für Stück zu fälschen und dann auch die Variation der Abstände innerhalb der Zeilen zu simulieren, weil sich die Buchstaben bei jedem Druckvorgang leicht verschieben können, schien kaum denkbar.

De Caro und seine Komplizen haben eben dies gemacht. Herausgekommen ist ein hybrider Sammelband, eine Mischung aus alt und neu.

Ja. Der Einband ist alt, Mitte des 17. Jahrhunderts, das hat sich bestätigt. Angebunden an den falschen „Sidereus Nuncius“, also Galileis „Sternenboten“, ist ein „Discorso“ von Galilei, die Ausgabe von 1655, sowie weitere Schriften. Nur der „Sidereus Nuncius“ und die Bindung sind neu. Aber diese ist so täuschend nachgeahmt, dass es für uns nicht erkennbar war.

Mit diesem gefälschten „Sternenboten“ hat De Caro etwas Originelles in die Welt gesetzt: ein Buch, das sich von allen anderen Ausgaben des „Sternenboten“ dadurch unterscheidet, dass es Zeichnungen anstelle von Radierungen enthält. Hat De Caro Sie vor allem damit getäuscht?

Nicht nur, aber in besonderer Weise. Ich hatte für mein Buch „Galilei, der Künstler“ von den 30 Exemplaren des „Sternenboten“, die 1610 ohne Illustrationen an Galilei ausgeliefert worden waren - darüber schreibt er in einem Brief -, neun weltweit ausfindig gemacht. Und nun mit einem Exemplar konfrontiert zu werden, das nicht nur ebenfalls keine gedruckten Illustrationen besitzt, sondern Zeichnungen, hat mich in dieser Suche bestätigt. Das hat mich tatsächlich auf eine falsche Fährte gebracht.

Warum Bredekamp die Fälschung zunächst als Meisterwerk bezeichnete

Waren De Caro und sein Team ähnlich kreativ wie der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, der auch keine vorhandenen Kunstwerke kopierte, sondern Bilder schuf, die Künstler wie Max Ernst oder Max Pechstein hätten gemalt haben können?

Der Maler, De Caro zufolge ein argentinischer Kunstmaler, hat sich bei den Mondzeichnungen einerseits sowohl an die in die Bücher eingedruckten Radierungen wie auch an die Florentiner Originalzeichnungen von Galilei gehalten. Er hat aber andererseits die Methode verfolgt, gleichsam in die Forschung hinein zu malen. Ich wurde darin getäuscht, dass in diesen Zeichnungen einzelne Elemente vorhanden sind, von denen ich überzeugt war, sie als Erster erkannt zu haben.

Horst Bredekamp.
Horst Bredekamp (66) ist Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität und vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Max-Planck-Forschungspreis,

© Mike Wolff.

Sie haben die Fälschung von Galileis „Sternenboten“ als „Meisterwerk“ bezeichnet. Warum?

Bereits im ersten Augenschein sieht man, dass die Druckqualität eine andere als bei schlechten Kopien ist. Das Papier sitzt besser, und der gesamte Eindruck ist weniger flach. Man braucht allerdings Vergleichsdaten, und die lagen kaum vor, weil einschlägige Forschungen bislang fehlten. Als wir andere Exemplare auf dem Tisch hatten und unter die Instrumente legen konnten, zeigte sich, dass diese von unserem Exemplar erheblich abwichen.

De Caro habe „gegen einen fiktiven Feind gearbeitet“, schreiben Sie in dem Buch „A Galileo Forgery“, das diese Woche in Berlin vorgestellt wird. Waren Sie dieser „fiktive Feind“?

Das haben Personen tatsächlich vermutet, weil ich über die Zeichnungen Galileis publiziert hatte. Aber ich will mich nicht als ein Sonderopfer von De Caro stilisieren.

Wie die Experten merkten, dass sie getäuscht wurden

In dem Buch „A Galileo Forgery“ klären die beteiligten Experten über die Fehler auf, die ihnen bei der Begutachtung unterlaufen sind. Am ausführlichsten tut dies Paul Needham, ein angesehener Buchwissenschaftler aus Princeton. Ihm wurde auch als Erstem klar, dass er sich über viele Jahre hinweg hatte täuschen lassen. Wie kam es dazu?

Nick Wilding, ein Historiker in den Vereinigten Staaten, hat Paul Needham auf Unstimmigkeiten hingewiesen.

Wildings Verdacht entzündete sich unter anderem am Stempel auf dem Titelblatt. Und nachdem er den Verdacht der Fälschung einmal klar ausgesprochen hatte, dauerte es nur drei Wochen, vom 10. bis zum 31. Mai 2012, bis auch Needham völlig davon überzeugt war. Warum ging es plötzlich so schnell?

Weil Nick Wilding ein Faksimile-Exemplar zur Untersuchung herangezogen hat, das wir nicht in unsere Betrachtung einbezogen hatten. Wir hatten uns, schon das ein riesiger Aufwand, allein mit Originalen beschäftigt. Needham hatte unter Einbezug meiner Studien insgesamt 82 Exemplare des „Sternenboten“ analysiert, die es weltweit überhaupt noch gibt. In dem Faksimile hat Wilding einen kleinen dunklen Fleck neben dem Buchstaben P auf der Titelseite gefunden, der sich auch in unserem Buch befand. Wir haben dann alle Originalbücher nochmals auf diesen Punkt hin befragt und gesehen, dass er nur bei uns auftaucht.

Die Darstellung der Gestirne zeigt in einem der Originale Tintenränder an den Himmelskörpern, die beim Druck entstanden sind – und vermutlich in allen echten Kopien existieren, erklären die Forscher in dem von Horst Bredekamp herausgegebenen Band „A Galileo Forgery“. An der Fälschung fehlt dieses Detail (Bild unten).
Die Darstellung der Gestirne zeigt in einem der Originale Tintenränder an den Himmelskörpern, die beim Druck entstanden sind – und vermutlich in allen echten Kopien existieren, erklären die Forscher in dem von Horst Bredekamp herausgegebenen Band „A Galileo Forgery“. An der Fälschung fehlt dieses Detail (Bild unten).

© Aus "A Galileo Forgery"

Dieses Faksimile stammt von einem Exemplar aus Mailand, das anlässlich des 400. Geburtstags von Galilei 1964 nachgedruckt wurde.

Die Überprüfung des Mailänder Exemplars hat ergeben, dass neben dem P eine kleine, leicht bräunliche Verfärbung im Papier ist. Die Kamera, die bei der Faksimilierung eingesetzt wurde, hat diese kleine Verfärbung als Druckerschwärze interpretiert. Und deswegen ist in dem Faksimile dieser schwarze Fleck aufgetreten. Es war eine bezwingende Folgerung, dass unser Exemplar dann nur nach dem Faksimile hat gemacht werden können. Diese Logik trifft einen wie ein Blitz. Mich hat wie Needham die Logik des Punktes neben dem P sofort davon überzeugt, dass es doch eine Fälschung ist. Ich habe die Humboldt-Universität informiert, und wir haben es auf die Website der amerikanischen Antiquare gestellt. Aber ich habe immer wieder den psychologischen Prozess durchlebt, dass ich dachte: Nein, es ist doch wahr!

Was die Aufdeckung der Fälschung bei Bredekamp auslöste

Was hat die Aufdeckung der Fälschung bei Ihnen ausgelöst?

Im ersten Moment war es ein herber Schlag. Im zweiten Moment folgte der Wille, das Buch nochmals komplett zu überprüfen.

Needham fielen plötzlich weitere Unstimmigkeiten auf. Zum Beispiel war unter den Lettern, die beim Druck des „Sternenboten“ verwendet wurden, ein gebrochenes L. Es ist sehr markant und taucht auf verschiedenen Seiten auf – nicht aber in der gefälschten Kopie, die auf einem fotografischen Verfahren basiert. Needham sagt, er hätte diese Diskrepanz schon früher bemerkt, aber er hätte die Sache aus Nachlässigkeit nicht geprüft. War er zu früh davon überzeugt, dass es sich um ein Original handelt?

An der Fälschung (rechts) fehlt auch das gebrochene L der Originale (links), denn die gefälschte Kopie basiert auf einem fotografischen Verfahren.
An der Fälschung (rechts) fehlt auch das gebrochene L der Originale (links), denn die gefälschte Kopie basiert auf einem fotografischen Verfahren.

© Aus "A Galileo Forgery"

Ja, das ist genauso gewesen wie bei mir und allen anderen Experten, die das Buch vor und mit uns in der Hand hatten. Wir haben dieses Buch in einer Genauigkeit untersucht, wie es bislang vermutlich höchstens mit einer Gutenberg-Bibel geschehen ist. Ich alleine hatte das Buch mit zwölf verschiedenen Büchern des „Sternenboten“ Buchstabe für Buchstabe verglichen und hatte damit einen Stammbaum der Druckfehler hergestellt. Needham hatte das mit allen 82 Exemplaren gemacht. In unserem Exemplar war die höchste Zahl der Druckfehler. Das hieß nach gängiger Theorie, dass es der früheste Druck sein musste, weil die Druckfehler im Prozess des Druckes eliminiert werden. Dieser Befund passte auch dazu, dass unser Exemplar keine gedruckten Illustrationen, sondern Handzeichnungen enthielt.

Sie dachten also, Sie hätten die erste Korrekturfassung vor sich liegen. Aber die hohe Zahl der Druckfehler konnte genauso rein zufällig sein, wie Needham später einsah.

An Zufall denkt man erst, wenn die Systematik nicht zum Erfolg führt. Wenn Sie alle Indizien zusammenfügen, der alte Einband, das Zusammenbinden mit einem anderen Werk Galileis, die Qualität des Papiers mit allen Wasserzeichen ... Wir haben eine Woche in Florenz gesessen und Wasserzeichen vergleichbarer Exemplare untersucht. Wir haben unendlich viel herausgefunden über die Buchproduktion im frühen 17. Jahrhundert. Alles passte zusammen. Und deswegen ist man intuitiv geneigt, abweichende Indizien mit der großen Zahl der Gewissheiten zu verrechnen. Das tut letzten Endes jeder Wissenschaftler. 

Irene Brückle, eine Expertin für die Konservierung von Kunstwerken auf Papier aus Stuttgart, hat das Papier analysiert, das die Fälscher verwendeten. Es stammt nachweislich aus der Zeit nach 1930. Für Laien klingt das haarsträubend. Warum war das niemandem aufgefallen?

Nichts daran war haarsträubend, sondern das Ergebnis genauer Analysen. Ohne Eingriff war das Papier nicht als Fälschung zu erkennen.

Trotz Röntgenfluoreszenzanalyse und Infrarotreflektografie?

Ja. Darum hätten wir bereits in der ersten oder zweiten Kampagne eine Probe des Papiers nehmen müssen.

Warum haben Sie das nicht gemacht?

Weil man es der Ethik des Erhaltens widerspricht. Genauso wenig wie von einer kostbaren Holzskulptur Materie entnommen wird.

Müssen Fälschungen zwangsweise auftauchen?

Sind Werke dieser Art unantastbar? Selbst wenn ungewiss ist, ob es sich um ein Original handelt, jemand es aber als solches verkaufen will? Müssen da nicht zwangsweise immer wieder Fälschungen auftauchen?

Ich kann nur noch einmal wiederholen: Bis vor einiger Zeit galt es als ausgeschlossen, dass man Bücher dieser Art überhaupt fälschen kann. Bei kostbaren Inkunabeln oder Bücher etwa von Galilei dürfen selbstverständlich erst dann Proben entnommen werden, wenn der Verdacht sehr stark ist. Das war bei uns eben nicht der Fall. Heute aber wissen wir, dass es doch geboten gewesen wäre, weil dabei herausgekommen ist, dass eine Papierfaser verwendet wurde, die synthetischer Art ist. Aber noch im Oktober 2012 war es selbst mit den tiefst gehenden Mikroskopen nicht möglich, das Papier als Fälschung zu erkennen.

Warum sind Sie nicht eher skeptisch geworden? Der emeritierte Astronomiehistoriker Owen Gingerich, dem das gefälschte Buch ebenfalls vorgelegt worden war und der Sie hier in Berlin besuchte, hat im Jahr 2009 in einem Fachjournal auf eine krasse Unstimmigkeit hingewiesen: Eine der Mondansichten in den angeblichen Handzeichnungen ist um 90 Grad verdreht. Dem Astronom Galilei wäre ein solcher Fehler nie unterlaufen, so Gingerich. Nur einem Fälscher konnte es passieren, einen der Monde gekippt zu zeichnen, und zwar deshalb, weil es in Florenz genau dafür eine Vorlage gab. Was antworteten Sie darauf?

Ich habe lange mit ihm darüber korrespondiert. Für mich ergab sich das Bild, dass Galilei, als er die Zeichnungen herstellte, noch nicht wusste, dass er ein Buch daraus machen würde. Wie sollte er sich später in seiner wahnwitzigen Hast, in der er in dem Buch Fehler um Fehler anhäuft, um als Erster die Entdeckungen mit dem Teleskop bekannt zu geben, daran erinnern, in welchem Achsenwinkel sich der Mond dargestellt hatte? Er wollte keine Genauigkeit, sondern exemplarische Verdeutlichung. Dies, neben anderen Argumenten, war in etwa meine Antwort. Sie war falsch. Aber Gingerich konnte mir manche Fragen wie die nach der auf den Zeichnungen liegenden Druckerschwärze, die für mich eindeutig für die Authentizität sprachen, auch nicht beantworten.

Herr Bredekamp, ein verdrehter Mond, Fehler im Stempel, das gebrochene L, moderne Papierfasern und und. Lässt sich Ihre These von einem Meisterwerk und einem genialen Fälscher angesichts solcher Irrtümer noch halten?

In dem Moment, in dem wir wissen, dass es eine Fälschung ist, sind wir natürlich geneigt, unsere Fehler als beträchtlich darzustellen.

War der Fälscher clever oder die Wissenschaftler naiv?

Needham sagt klipp und klar: „Ich bin nicht davon überzeugt, dass der Fälscher besonders clever war.“ Stattdessen habe es ihm selbst an Skepsis gemangelt.

Er will – wie wir alle – seinen Fehler nicht dadurch klein machen, dass er die Fälschung überhöht. Aber er hätte sich als einer der bedeutendsten Spezialisten nicht täuschen lassen, wenn hier eine gleichsam billige Fälschung vorgelegen hätte. Jede Fälschung ist ein Schwindel, den man nicht mythisieren darf. Aber diese Fälschung unterscheidet sich signifikant von allen Büchern, die wir zusätzlich untersucht haben, darunter auch Galileis Kompassbuch aus Padua.

Was haben Sie nach der Aufdeckung getan?

Es war ein psychologischer Kraftakt, die gesamte Expertengruppe wieder zusammenzubringen. Jeder war mehr oder weniger stark erschüttert. Aber unserem Selbstverständnis zufolge haben wir etwas vollzogen, was Wissenschaft sein kann und sein muss: dem Verdacht auf einen Fehler selbst nachzugehen, diesen umfassend aufzudecken und Wege zu zeigen, wie man ihn in Zukunft vermeidet. Trial and error. Wie, um alles in der Welt, soll Wissenschaft anders vorgehen?

Die wenigsten Forscher gestehen ihre Fehler öffentlich ein. Die selbstkritische Aufklärung vonseiten der Experten in einem eigens dafür geschriebenen Buch ist so außergewöhnlich wie verdienstvoll.

Wir sind zutiefst gekränkt und zugleich stolz auf diese gemeinsame Arbeit.

Sie selbst, Herr Bredekamp, tragen in dem neuen Buch leider wenig zur Aufklärung bei. Im Unterschied zu Paul Needham oder Irene Brückle nehmen Sie die Gelegenheit nicht wahr, Ihre Fehler zu benennen. Stattdessen schreiben Sie über die Psychologie eines Fälschers. Als Leser fragt man sich natürlich, warum?

Das liegt daran, dass ich diesen Band organisiert habe. Das hat meine gesamte Kraft gefordert, das habe ich als meine Aufgabe gesehen. Das Buch ist ein Protokoll unserer gemeinsamen Arbeit, nicht mehr und nicht weniger. Es soll die Forschung anregen, nicht abschließen.

Wo Bredekamps Versäumnisse lagen

Das ist als Antwort zu wenig. Wo lagen Ihre Versäumnisse?

Das abschließende Kapitel des Buches spricht dieses doch an: In der Sache selber bin ich bislang zu keiner Lösung gekommen. Es bleibt nach wie vor ein Rätsel für mich, wie der Maler die stilistischen Finessen besitzen kann, Detailbeobachtungen umzusetzen, die ich nur nach langer Beschäftigung mit dem Original unter der Lupe habe wahrnehmen können und über die auch niemand sonst geschrieben hat. Man hat mir die Frage schon einmal gestellt, und ich habe geantwortet: Ich bin am Ende. Wir müssen jetzt neu ansetzen und neue Analysemethoden finden, um zwischen Fälschung und Original zu kommen und über die angewendeten Methoden hinauszukommen.

Sie haben in Ihrem Buch „Galilei, der Künstler“ wortreich dargestellt, warum es sich um ein Original handelt. Ich zitiere: „Die Gemeinsamkeiten sind von einer solchen Fülle und Subtilität, dass beide Serien als eigenhändige Darstellungen Galileis ausgewiesen sind... Weder ein Schüler noch ein Gehilfe ... noch ein Nachahmer hätten sich diesen auf engstem Raum von teils Millimetern auftretenden Eigenarten der Pinselbewegungen assimilieren können.“ Wodurch hat sich das Auge des Kunsthistorikers verführen lassen?

Durch die Art, in der die Zeichnungen der Methode der Handdynamik entgegenkommen. Der Duktus der Handbewegung und auch der Tusche entspricht dem, was ich nach langen Studien der Galilei-Zeichnungen in Florenz analysiert hatte. Ich habe die Schwünge, in denen zum Beispiel die Krater eingetragen waren, beim Vergleich unter der Lupe so wiedergefunden.

Sie beschreiben dies als eine Mischung aus Fahrigkeit und Genauigkeit.

Ganz genau. Ich war kritisch, weil die Schwünge in dem Buch großflächiger sind als in den Galilei-Zeichnungen in Florenz. Wir haben dann das Papier untersucht. Man kann diese Schwünge nicht in derselben Weise auf diesem Papier machen, weil die Flüssigkeit schneller einsinkt. Das Gegenargument war demnach in eine Bestätigung umgesprungen.

Was können wir aus diesem spekakulären Fall lernen?

Ich habe Ihr Buch „Galilei, der Künstler“ im Jahr 2007 mit großer Begeisterung gelesen. Sie legen darin überzeugend dar, dass Galilei sein Fernrohr mit dem geschulten Auge eines Künstlers verwendete, dass er sehend und zeichnend erkannte. Galilei entdeckte Gebirge auf dem Mond und wolkenartige Strukturen auf der Sonne, die Sonnenflecken, wo seine Kollegen nichts dergleichen registrierten. Ihr damaliges Buch verliert auch durch die Fälschung wenig von seiner Überzeugungskraft. Aber Galileis angebliche Handzeichnungen passten offenbar zu gut zu Ihrer Theorie. Hat Sie Ihr eigener Enthusiasmus mitgerissen?

Das wird mir immer unterstellt. Aber wie kann man anders als leidenschaftlich an der Sache arbeitend vorgehen? Das trägt Sie über die Monate und Monate der Kärrnerarbeit, durch Europa und Amerika zu reisen, nach Druckfehlern zu suchen oder die Briefe Galileis nach Zeichnungen zu durchforsten. Ich habe das Buch mit Leidenschaft geschrieben. Dies hat mit Gutgläubigkeit rein gar nichts zu tun.

Alle anderen Experten waren mit Ihrem Enthusiasmus, mit Ihrer Autorität und mit Ihrem Buch konfrontiert.

Es kann durchaus sein, dass der wechselseitige Respekt von all den Beteiligten - alle sind ja anerkannte Spezialisten auf ihrem Gebiet - intern so groß war, dass wir intuitiv über Zweifel hinwegdiskutiert haben. Irene Brückle hat das in eine für meinen Begriff sehr schöne Metapher gebracht: Wir waren eine hochalpine Seilschaft und haben jedem von uns auf dessen Gebiet so tief vertraut, dass wir uns insgesamt in eine zu große Gewissheit hineingebracht haben, obwohl wir methodisch von der Annahme ausgegangen sind, dass es eine Fälschung ist.

Was würden Sie Ihren jüngeren Forscherkollegen nach dieser Erfahrung mit auf den Weg geben? Was können wir aus diesem spektakulären Fälschungsfall lernen?

Man kann daraus lernen, dass auch die besten Methoden, die man anwendet – und das meinen wir, getan zu haben -, dass auch dies nicht genügt. Dass die Skepsis nie aufhören darf und dass in der Epoche von Lasern und digitalen Reproduktionsmethoden die Fälscher immer einen Schritt voraus sind. Und dass man die Leidenschaft nicht verlieren darf.

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