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Proband mit dem Spiel "NeuroRacer"

© Gazzaley Lab

Gehirntraining: Ein Rennen für die Nervenzellen

Ob Computerspiele dabei helfen können, den Geist fit zu halten, ist umstritten. Nun haben kalifornische Forscher ein Spiel entworfen, das Multitasking und Aufmerksamkeit schult. Ihre Tests mit Senioren waren vielversprechend.

Der ältere Herr lacht. Umgeben von Wissenschaftlern sitzt er in einem Labor, auf dem Kopf eine Kappe, die seine Hirnströme misst, in den Händen einen Controller. Immer wieder kommt das Auto auf dem Bildschirm von der kurvenreichen Straße ab. „Ich bin gefährlich“, sagt er. „Eine Bedrohung für die Gesellschaft.“ Ein Forscher beruhigt ihn: „Mit etwas Übung werden Sie bald besser.“

Der Mann spielt für die Neurowissenschaft. Unter anderem mit seiner Hilfe will ein Team um Adam Gazzaley von der Universität von Kalifornien in San Francisco zeigen, dass man ein Gehirntraining für ältere Menschen entwerfen kann, das wirklich etwas nützt.

Selbstverständlich ist das nicht. „Gehirnjogging“ ist zwar zu einer regelrechten Industrie geworden. Das Training halte den Geist fit, versprechen die Hersteller. Auch im Alter. Stichhaltige Beweise gibt es dafür kaum. Die BBC-Show „Bang goes the theory“ entlarvte die falschen Versprechen 2010 gemeinsam mit Forschern der Universität Cambridge. Über eine Webseite des Fernsehsenders hatten sie 11 430 Teilnehmer zwischen 18 und 60 Jahren gewonnen. Sechs Wochen lang lösten sie online Aufgaben, die Gedächtnis, räumliches und logisches Denken, Planen und Aufmerksamkeit schulten oder die stattdessen in der Zeit einfach im Netz surften. Nach dem Training (oder Nicht-Training) wurden ihre Leistungen noch einmal getestet.

Übung macht den Meister

Und tatsächlich wurden die Teilnehmer an dem Massenexperiment besser in den Aufgaben, die sie geübt hatten. Die große Enttäuschung folgte allerdings auf dem Fuße: Das war nicht übertragbar. Denn ansonsten schnitten alle Gruppen in den Tests gleich gut oder schlecht ab. „Übung macht den Meister. Das wissen wir“, sagte damals Adrian Owen von der Universität Cambridge, der die Studie leitete und mit Kollegen in „Nature“ publizierte. „Aber wer Geige spielt, wird dadurch nicht zum Trompeten-Virtuosen.“

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Gazzaley und seine Kollegen starteten nun einen neuen Versuch. Ältere Menschen lassen sich leicht ablenken, sie haben Probleme damit, mehrere Dinge gleichzeitig im Kopf zu behalten, um ein Ziel zu erreichen. Kognitive Kontrolle heißt das in der Fachsprache. Und genau diese Fähigkeit – statt gleich den ganzen Geist – wollten die Forscher trainieren.

Gemeinsam mit Freunden aus der Spieleindustrie entwarf Gazzaleys Team „NeuroRacer“. Auf den ersten Blick wirkt die Bildschirmoberfläche trostlos: Ein kleines knubbeliges Auto auf einer Straße, ringsherum nur grün und der blaue Horizont. Trotzdem hat es das Spiel in sich. Während man mit dem linken Daumen das Auto abbremst, beschleunigt und um Kurven steuert, soll man mit dem rechten Zeigefinger so schnell und akkurat wie möglich bestimmte Zeichen abschießen, die völlig unberechenbar auftauchen. Nur wer beides meistert, erreicht nach drei Minuten den nächsten Level. Dann wird das Auto schneller, die Straße noch kurviger oder die Zeichen werden kürzer angezeigt. „Wer sich nur auf eine Sache konzentrieren will, kommt nicht weiter“, sagt Gazzaley.

Keine pauschalen Urteile

Dieses Jonglieren fällt jüngeren Menschen leichter. Das zusätzliche Autofahren verschlechtert die Reaktion auf die Zeichen bei den 20-Jährigen um etwa 27 Prozent, bei den 60- bis 85-Jährigen dagegen um etwa 64 Prozent. Obwohl diese Fähigkeit mit dem Alter gleichmäßig abnimmt, waren die Senioren nach vier Wochen, in denen sie drei Mal pro Woche für eine Stunde spielten, auf dem Niveau von ungeübten 20-Jährigen. Die Messung der Hirnströme während des Spiels bestätigte das zusätzlich, schreiben die Forscher im Fachjournal „Nature“. Der Effekt hielt sechs Monate an.

Doch war das nun übertragbar? Ja, sagt Gazzaley. Denn nur die Senioren, die das komplette Spiel absolvierten und nicht nur eine Aufgabe lösen mussten oder gar nicht trainierten, schnitten auch besser in den Tests zum Arbeitsgedächtnis ab und blieben längere Zeit bei langweiligen Aufgaben aufmerksam. „Wir haben es geschafft, ein Nervenzell-Netzwerk zu schulen, das zumindest Überschneidungen mit denen für kognitive Kontrolle hat“, sagt Gazzaley. „Hat das auf den Alltag Auswirkungen? Wir hoffen es. Bewiesen ist es damit noch nicht.“

Adam Hampshire vom Imperial College London, der 2010 an der BBC-Studie mitgearbeitet hat, ist nicht überzeugt. „Es könnte sein, dass der Zeitgeist mit der Formel ,Gehirnjogging ist gut und Videospiele sind schlecht’ falsch liegt“, sagt er. Gazzaleys Daten jedoch reichten nicht für diese Interpretation. „Wir können alten Menschen noch nicht empfehlen, regelmäßig zu spielen.“

Man könne keine pauschalen Urteile fällen, sagt Gazzaley. „Die Studie ist kein Stempel, der sagt: Alle Videospiele sind gut. Der Teufel steckt im Detail.“ Die Spieleentwickler sollten wissen, welches Defizit sie verbessern wollen, was dabei im Hirn geschieht und danach das Spiel entwerfen und überprüfen. „Wie bei Medikamenten“, sagt Gazzaley. „Wir würden doch auch nicht jede Pille schlucken, nur weil irgendeine schon mal gegen irgendwas geholfen hat.“

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