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Geld ohne Liebe: Über die Risiken des Reichtums

Die menschliche Psyche reagiert empfindlich auf Geld. Wer im Experiment an Bares erinnert wird, verhält sich danach egoistischer – mit Folgen für unsere Gesellschaft.

Seit Jahrzehnten registrieren Ökonomen ein paradoxes Phänomen, das bis heute nicht ganz verstanden ist: Sowohl reiche Menschen als auch reiche Nationen dürfen in der Regel mit mehr Lebenszufriedenheit rechnen als ihre mittellosen Gegenstücke. Zugleich jedoch scheint das Glück einer Nation über die Jahrzehnte hinweg kaum mit wachsendem Wohlstand zuzunehmen. Man bezeichnet das Phänomen auch als „Easterlin-Paradox“, nach seinem Entdecker Richard Easterlin, einem US-Ökonomen der University of Southern California in Los Angeles.

Das Easterlin-Paradox gilt gerade für viele der weltweit reichsten Länder, wie etwa die USA, Großbritannien und Japan – und es gilt in besonderem Maße für Deutschland: In Deutschland ist das Glück in den letzten drei Jahrzehnten trotz nahezu stetig gestiegenem Bruttoinlandsprodukt sogar gesunken.

Das Wohlstandsparadox wird noch paradoxer durch die Beobachtung, dass offenbar ausgerechnet wir privilegierten Menschen in den reichen Nationen mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Forscher der Weltgesundheitsorganisation WHO haben kürzlich die Häufigkeit von 18 psychischen Störungen in sieben „Entwicklungsländern“ und sieben der wohlhabendsten Nationen der Welt ermittelt, und zwar – das ist natürlich eine essenzielle Voraussetzung – anhand einheitlicher Diagnosekriterien. Der Befund: Die Menschen in den reichen Ländern, darunter auch Deutschland, litten durch die Bank weg häufiger unter psychischen Störungen.

Niemand weiß genau, wie sich diese Art von Wohlstandsparadoxien erklären lassen, sicher spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle. Eine mögliche Erklärung wäre, dass Wohlstand und Geld (ähnlich wie Freiheit und allzu viele Wahlmöglichkeiten) mit Risiken und Nebenwirkungen einhergehen, die uns aufs Gemüt schlagen, die wir aber unterschätzen, weil diese Nebenwirkungen nicht ganz so offensichtlich sind wie die Vorzüge eines prall gefüllten Portemonnaies. Nur was könnten diese vermeintlichen Schattenseiten des Reichtums sein?

Meine Vermutung lautet, dass Wohlstand auf Kosten intimer Beziehungen geht, und dieser Verlust macht uns zu schaffen. Er mindert unser Glück und belastet unsere Psyche. Geld und Reichtum führen tendenziell zur Auflösung alter, traditioneller Gemeinschaften, enger Familienbande und verlässlicher Freundschaften, und damit zu Einsamkeit und Isolation. Überspitzt formuliert könnte man sagen: In unserer Wohlstandsgesellschaft haben wir fast alles im Überfluss, nur eins nicht – zwischenmenschliche Nähe.

Geld distanziert, es bewirkt aber mehr als nur physische Distanz

„Geld oder Liebe“, dieser Gegensatz mag nach einem verstaubten Klischee oder einer albernen TV-Show klingen. Tatsächlich jedoch mehren sich die Befunde, die dafür sprechen, dass Geld und zwischenmenschliche Nähe sich in gewisser Weise zueinander verhalten wie Feuer und Wasser. In einer ebenso einfachen wie aufschlussreichen Versuchsserie dazu, erschienen im Fachmagazin „Science“, setzte ein Psychologenteam Testpersonen an einen Schreibtisch mit Computer. Dort mussten die Probanden einen Stapel Fragebögen ausfüllen. Die Fragebögen waren aber nur ein Vorwand. In Wahrheit ging es den Wissenschaftlern um etwas anderes. Bald nämlich erschien auf dem Bildschirm des Computers ein Screensaver. In einer Variante des Versuchs bestand der Screensaver aus Fischen, in einer anderen aus Geldscheinen.

Nach dieser Aufwärmphase kam es zum eigentlichen Test. Die Forscher erlösten die Testpersonen von ihrem Fragebogen und sagten ihnen: „Du lernst jetzt einen anderen Teilnehmer des Versuchs kennen. Nimm dir doch den Stuhl da in der Ecke und stell ihn zu deinem Stuhl, die andere Person kommt gleich.“ Sobald die Leute den Stuhl herangerückt hatten, wurde das Experiment abgebrochen. Die Wissenschaftler hatten ihr Ziel erreicht. Es war ihnen lediglich um die Frage gegangen, ob die Personen, die sie soeben auf unauffällige Weise an Geld erinnert hatten, anders reagieren würden als jene, die zuvor virtuellen Fischen ausgesetzt worden waren. Und genau das war der Fall: Die Geld-Leute stellten die Stühle deutlich weiter auseinander als die Fisch-Leute, im Schnitt fast einen halben Meter.

Wie es scheint, distanziert Geld, es bewirkt aber mehr als nur physische Distanz, wie ein zweites Experiment der „Science“-Versuchsserie zeigt. Darin spielten die Testpersonen eine Runde Monopoly mit einem der Forscher. Nach dem Spiel legte man den Leuten in einer Version des Versuchs 4000 Dollar Spielgeld hin, in einer anderen 200 Dollar, während es in einer dritten Version kein Spielgeld gab. Gleich darauf führte man die Testpersonen unter einem Vorwand nach draußen auf den Flur, wo eine Mitarbeiterin des Wissenschaftlerteams eine Handvoll Bleistifte fallen ließ.

Wieder schien die Präsenz von Geld die Menschen verändert zu haben: Je mehr Geld man den Testpersonen hingelegt hatte, desto weniger Stifte hoben sie auf. Geld distanziert also nicht nur, es senkt auch die Hilfsbereitschaft – ein Ergebnis, das zu dem Befund von Studien des Psychologen Paul Piff von der University of California in Berkeley passt, die offenbart haben, dass reiche Menschen (sowohl im echten Leben als auch in experimentellen Versuchsanordnungen) paradoxerweise weniger spenden als Menschen, die nicht ganz so viel auf der hohen Kante haben (was Ausnahmeerscheinungen wie Bill Gates umso bemerkenswerter erscheinen lässt).

Teils bringt Geld sogar unsere asoziale Seite zum Vorschein

Versuche, in denen man Testpersonen unscheinbar an Geld erinnert, wurden mittlerweile in weit mehr als einem halben Dutzend Varianten durchgespielt, stets mit ähnlichem Ergebnis: Wer an Geld und Reichtum erinnert wird, verhält sich danach mehr auf sich selbst bezogen. Geld-Leute sind weniger hilfreich, suchen aber auch umgekehrt weniger die Hilfe ihrer Mitmenschen. Stellt man sie vor die Wahl, eine Aufgabe alleine oder mit einem Partner zu erledigen, wollen sie sich lieber auf eigene Faust durchschlagen. Man könnte sagen: Geld kapselt ab, macht autonom, ja Geld macht uns zu Einzelgängern.

Teils bringt Geld sogar unsere asoziale Seite zum Vorschein. Das zumindest suggeriert eine Studie, die der Psychologe Piff kürzlich im US-Fachblatt „PNAS“ berichtete. Piff und sein Team hatten das Verhalten Dutzender Verkehrsteilnehmer San Franciscos observiert und festgestellt: Fahrer von großen, teuren Autos verhalten sich durchgehend rüpelhafter als die Verkehrsteilnehmer kleiner, billigerer Wagen. Wer am Steuer eines Oberklassewagens saß, schnitt zum Beispiel an einer Straßenkreuzung häufiger anderen Fahrern den Weg ab. Auch Fußgänger hatten unter den dicken Autos zu leiden: Luxusfahrzeuge bremsten an Zebrastreifen deutlich seltener als die Fahrer bescheidenerer Wagen.

Reichtum macht, wie es scheint, egoistisch und asozial (das heißt auch: In einer reichen Gesellschaft sollte man nicht mit allzu viel Rücksicht und Hilfe seiner Mitmenschen rechnen). Und warum auch nicht? Wer Geld hat, ist grundsätzlich weniger auf die Gunst seiner Mitmenschen angewiesen. Sobald man etwas von seiner sozialen Umwelt braucht, muss man seine Mitmenschen nicht darum bitten – man kann es sich einfach kaufen. Wer Geld hat, kann es sich schlicht leisten, ein asoziales Verhalten an den Tag zu legen.

In einer wohlhabenden Dienstleistungsgesellschaft ist man zum Überleben im Grunde gar nicht mehr auf persönlich-intime Beziehungen – intakte Familienstrukturen, Freunde oder hilfreiche Nachbarn – angewiesen. Es stehen uns ja an allen Ecken und Enden Profis zur Verfügung (von Umzugsfirmen bis hin zu Altersheimen), die uns, wenn die Bezahlung stimmt, nur allzu gerne „zur Seite stehen“ (in ärmeren Gesellschaften die Aufgabe von Familien, Nachbarn und Freunden).

Die Konsequenz ist, dass persönliche Beziehungen im Alltag wohlhabender Dienstleistungsgesellschaften systematisch an Bedeutung verlieren, mit Folgen, wie ich meine, für unser Glück. Verkehrsmittel verführen dazu, weniger zu Fuß zu tun – dennoch sind wir für unser körperliches Wohl auf Bewegung angewiesen. Auf ähnliche Weise verführt eine reiche Gesellschaft dazu, unser soziales Leben zu vernachlässigen, auch wenn es für unser psychisches Wohlbefinden das A und O bleibt (siehe auch Infokasten).

Gut möglich, dass unser Einzelgängertum auch mit ein Grund dafür ist, weshalb wir in der wohlhabenden Welt vermehrt unter Depressionen, Angststörungen und sozialen Phobien leiden. Spätestens wenn wir mit den unvermeidlichen Krisen des Lebens konfrontiert werden, zehrt das chronische Alleinsein an unseren Nerven. Wir brauchen Hilfe, und in unserer Not wenden wir uns an die einzigen Kräfte, die für uns da sind: Profis. Wahrscheinlich könnte eine Gesellschaft, in der jeder über fünf nahestehende Menschen verfügt, die ihm oder ihr ohne Wenn und Aber beistehen, auf 80 Prozent ihrer Psychotherapeuten verzichten.

Bas Kast ist Wissenschaftsautor. Der Text ist ein Auszug aus seinem neuem Buch „Ich weiß nicht, was ich wollen soll“. Es ist am 4. April bei S.Fischer erschienen (240 S., 18,99 Euro)

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