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Entspannt. Indische Bauern fahren ihre Ernte ein, bald kommt wieder Geld in die Kasse. In dieser Situation – einigermaßen befreit von finanziellen Sorgen – schnitten die Studienteilnehmer bei Intelligenztests besser ab als vor der Ernte.

© Reuters

Geldsorgen beeinflussen die geistigen Fähigkeiten: Armut hemmt das Denken

Wer Sorge um seine Finanzen hat, dem fehlen offenbar geistige Ressourcen für andere Aufgaben - dort schneidet er schlechter ab. Das berichten Forscher nach Untersuchungen in Indien sowie den USA.

Eine erdrückende Vielzahl von Studien hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Armut oft mit schädlichen Verhaltensmustern einhergeht. Von ungesünderem Essen über weniger Engagement für die Erziehung der Kinder bis hin zu geringerer Verlässlichkeit beim Einhalten von Abmachungen. Besonders auffällig sind in dieser Hinsicht die Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Finanzpolster in den Industrienationen.

Diese Befunde stoßen immer wieder auf Unverständnis. Zuletzt hat eine Äußerung des britischen Starkochs Jamie Oliver zu diesem Thema Schlagzeilen gemacht: Sich gesund zu ernähren sei doch gar nicht so teuer, man könne das auch schaffen, wenn man nur wenig Geld habe, meinte der junge Spitzengastronom. Olivers Landsfrau Anandi Mani, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität von Warwick, hat nun zusammen mit Psychologen aus den USA und Kanada eine mögliche Erklärung dafür geliefert, warum es so einfach nicht ist: Armut hemmt die kognitiven Fähigkeiten, berichten sie im Fachmagazin „Science“.

Tests mit indischen Zuckerrohr-Bauern

Sie stützen sich auf zwei verschiedene Untersuchungen. Der eine Teil ihrer Forschung war – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Feld-Studie. An dieser Untersuchung nahmen 464 Zuckerrohr-Bauern aus 54 indischen Dörfern teil. Sie alle hatten eher kleine Felder und verdienten rund 60 Prozent ihres schmalen Einkommens mit dem Anbau von Zuckerrohr. Ihnen wurden im Abstand von einigen Monaten Aufgaben gestellt, die logisches Denken und die Fähigkeit zum Problemlösen in ungewohnten Situationen voraussetzen und auch Bestandteil von Intelligenztests sind. Einmal vor und einmal nach der Ernte. Das Ergebnis war deutlich: Nach der Ernte, als die Bauern sich ein vorübergehendes wirtschaftliches Polster hatten zulegen können, schnitten sie in den Testaufgaben deutlich besser ab als vorher. Dass die Farmer sich in der Zeit vor der Ernte schlechter ernährten oder deutlich mehr Stress hatten, konnten die Forscher anhand vorangegangener Untersuchungen ausschließen. Auch dass sie körperlich erschöpfter wären, schließen sie aus. Bleibt die Vermutung, dass es die vorübergehende finanzielle Sorglosigkeit war, die bei den Studienteilnehmern die Köpfe frei werden ließ.

Denkaufgaben für arme und reiche Amerikaner

Um die Hypothese weiter zu überprüfen, startete das Team in den USA Labortests mit wohlhabenderen Freiwilligen und solchen mit niedrigem Haushaltseinkommen. Sie mussten sich zunächst mit alltäglichen Finanzentscheidungen beschäftigen. So ging es etwa um eine anstehende Autoreparatur, die – in der „härteren“ Versuchsanordnung – 1500 Dollar kosten würde, die man notfalls aber auch aufschieben könnte. Im Anschluss an diese Überlegungen wurden den Probanden ebenfalls Denkaufgaben gestellt. Neben der problemlösenden Intelligenz ging es um die Fähigkeit zur kognitiven Kontrolle. In beidem unterschieden sich die finanzstärkeren von den ärmeren Teilnehmern, wenn sie im vorangegangenen Budget-Szenario mit einer drohenden größeren Ausgabe konfrontiert worden waren. Bei kleinen Summen dagegen war das nicht der Fall. Wer im Alltag auf Dollar und Cent schauen muss, schneidet also auch unter einer simulierten finanziellen Belastung schlechter ab. Der denkerischen Fitness der Wohlhabenden konnte das dagegen nichts anhaben. Die Abweichungen zwischen beiden Gruppen entsprachen in dieser besonderen Situation ungefähr 13 Punkten im Intelligenztest mit einem Durchschnittswert von 100 Punkten. Die Autoren sehen damit ihre Ausgangshypothese bestätigt: Finanzielle Sorgen absorbieren geistige Ressourcen. Sie vergleichen die Menschen, die von solchen Nöten geplagt werden, mit Fluglotsen, die ihre Aufmerksamkeit auf eine drohende Kollision zwischen zwei Maschinen richten müssen und in dieser Zeit möglicherweise andere Flugzeuge vernachlässigen. „Es liegt nahe, dass eine ursächliche Beziehung zwischen Armut und mentaler Funktion besteht“, schreiben sie.

Unter ökonomischem Druck fällt Selbstkontrolle schwer

In einem zugehörigen Kommentar beschäftigt sich die Psychologin Kathleen Vohs von der Universität in Minnesota mit den Auswirkungen von Armut auf das Gesundheitsverhalten, etwa bei Ernährung und Rauchen. Sie glaubt, dass vor allem Selbstkontrolle eine Rolle spielt. Eine „weise Wahl“ zu treffen und sich selbst zu beherrschen sei schwieriger, wenn man bereits in vielen anderen Lebensbereichen zum Verzicht gezwungen sei. Vohs und ihr Team hatten vor Jahren gezeigt, dass Probanden, die eine Zeitlang unter dem Druck gestanden hatten, verlockenden Süßigkeiten zu widerstehen, anschließend in Testaufgaben schlechter abschnitten. Darüber hinaus bevorzugten sie, wie zum Ausgleich, an einem Buffet „ungesünderes“ Essen. Einem starken Drang standhalten zu müssen binde unter Umständen seelische und geistige Kräfte, die später fehlten, argumentiert Vohs. „Weil Arme häufiger Verlockungen widerstehen und mehr schwierige Entscheidungen treffen müssen, ist es wahrscheinlicher, dass sie bei anderer Gelegenheit zu viel essen, zu viel Geld ausgeben und andere problematische Verhaltensweisen zeigen.“ Mani und ihre Kollegen haben sich in der aktuellen Studie jedoch auf die unmittelbaren Auswirkungen wirtschaftlicher Bedrängnis auf das Denken beschränkt. Über langfristige Folgen ist damit nichts gesagt. Allerdings zeigen unzählige Beispiele, dass Armut, mangelhafte Bildung und schlecht bezahlte Jobs häufig einen Teufelskreis bilden, aus dem nur schwer zu entkommen ist.

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