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Gute Leser - schlechte Leser. Beides gibt es unter Jungen und Mädchen. Aber in der Gruppe der 15-Jährigen Jungen ist der Anteil derjenigen, die nicht zum Spaß lesen, deutlich größer.

© dpa

Gender-Pisa: Lesen ist auch was für Kerle

In der Schule prägen Rollenklischees noch zu sehr den Blick auf den einzelnen Schüler. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Anja Kühne

Veranstaltet das Weiße Haus ein Barbecue, steht Barack Obama am Grill, Michelle Obama an den Salatschüsseln. Natürlich könnte es umgekehrt sein. Doch es gehört zum Spiel der Geschlechter, dass der Mann mit der Grilltechnik, dem blutigen Steak und dem Feuer ringt, während seine Frau über die Früchte von Mutter Natur wacht. Genauso kokett ist es zunächst gemeint, wenn eine Frau sagt: „Mathe kann ich einfach nicht.“ Sie will damit ausdrücken: „Seht her, ich bin eine Frau!“ Der Otto-Versand bot darum Frauen ein T-Shirt an mit dem Aufdruck „In Mathe bin ich Deko“.

In Zeiten des Fachkräftemangels findet die Wirtschaft Flirten mittels Mathe-Schwäche allerdings nicht lustig. Die OECD hat eine Studie vorgelegt, die zeigt, wie Rollenklischees dazu führen, „dass nicht alle Potenziale gehoben werden“. Während 15-jährige Mädchen in der Spitzengruppe in Mathe unterrepräsentiert sind, sind Jungen bei den Spitzenlesern unterrepräsentiert, aber bei den „Risikoschülern“ überrepräsentiert.

Geschlechterrollen sind nicht nur sexy

Die Schüler stecken in einem Teufelskreis: Weil Mathe als etwas für Genies gilt, also als Männersache, fehlt es sogar sehr guten Schülerinnen an Selbstvertrauen – sodass sie auch seltener Höchstleistungen erbringen. Lesen und gute Schulleistungen gelten hingegen als feminin. Wer als harter Kerl angesehen werden will, wird sich dabei zurücknehmen müssen – was auch geschieht, weshalb, siehe oben, Schulerfolg nichts für richtige Männer ist. So kommt es, dass Geschlechterrollen nicht bloß sexy sind. Sie können auch behindern.

Zur Produktion von einengenden Klischees könnte die OECD- Studie indes ungewollt selbst beitragen. Denn sie bestätigt die Öffentlichkeit in ihren Urteilen: „Jungen neigen zum Schulversagen“, „Mädchen haben Angst vor Mathe“. Beide Aussagen generalisieren aber und sind darum falsch.

Die Leistungen von Jungen und Mädchen überlappen sich weit stärker als dass sie sich unterscheiden

In Deutschland hat ein Mädchen ohne deutschen Pass ein höheres Risiko, in der Schule keinen oder nur den Hauptschulabschluss zu machen als ein deutscher Junge – selbst wenn es kein Professorensohn ist. Wer sagt, dass die Mädchen Angst vor Mathe haben, blendet aus, dass sehr viele Jungen (über die Hälfte!) auch Angst vor Mathe haben – aber viele Mädchen nicht (ein Drittel). In allen Bereichen überlappen sich Leistungen und Verhalten von Mädchen und Jungen weit stärker, als dass sie sich unterscheiden. Und zumindest holen junge Männer mangelnde Lesefähigkeiten auf, sobald sie berufstätig sind. Wenn es um „Risikoschüler“ geht, ist jede Hilfe nötig – egal ob nun für Jungen oder für Mädchen.

Lehrer und Eltern haben es also schwer. Sie müssen verstehen, dass Geschlechternormen ihr eigenes Verhalten und das Verhalten der Jugendlichen beeinflussen und gegebenenfalls gegensteuern. Aber gleichzeitig müssen sie darauf achten, nicht zu generalisieren, also Jungen zu Lesemuffeln zu stempeln und Mädchen zu Mathehasserinnen. Hilfreich ist es, ein breites Spektrum von Aufgaben und Texten anzubieten, sodass ein Junge, der Technik mag, sich genauso akzeptiert fühlen kann wie einer, der Pferde mag.

Geschlechteridentitäten müssen so elastisch sein, dass sie nicht zur Zwangsjacke geraten.

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