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Verantwortung. Wann ein medizinisch nicht notwendiger chirurgischer Eingriff eine Schönheitsoperation und wann eine „Beschneidung“ ist, ist oft schwer zu definieren.

© Wolfram Kastl/dpa

Genitalverstümmelung oder Schönheits-OP: Legal beschnitten

Die einen nennen es Genitalverstümmelung, die anderen „ästhetische Intimoperation“. Das eine ist verboten, das andere erlaubt. So bleibt das Gesetz außen vor.

33 Jahre alt war die zweifache Mutter aus Großbritannien – und unzufrieden mit dem Aussehen ihrer Vulva. Sie ließ sich die Schamlippen kürzen, wie etwa 5000 Frauen und Mädchen hierzulande jedes Jahr. Doch danach störte sie die nun deutlich sichtbare Klitorisspitze. Sie ging zum Londoner Schönheitschirurgen Joe Daniels mit dem Wunsch, er solle ihre Klitoris kappen. Der Psychiater David Veale vom King's College in London fand die Operation angebracht, da die Frau so sehr leide. Die beschnittene Frau sei nun glücklich und wohlauf, berichten die Ärzte 2011 im Fachjournal „Archives of Sexual Behaviour“.

Schönheitskorrektur oder Genitalverstümmelung?

Was die beiden da beschreiben, ist ein Eingriff, der sonst als Genitalverstümmelung bezeichnet wird. Die Frauengesundheitsforscherin Susan Bewley, die wie Veale am King's College arbeitet, war entsetzt und zeigte Daniels und Veale an. Denn in Großbritannien ist die Beschneidung der weiblichen Genitalien wie in anderen europäischen Ländern verboten. Drei Jahre lang ermittelte die Strafverfolgungsbehörde, das Urteil kam im vergangenen Jahr: Veale und Daniels hätten sich nichts zuschulden kommen lassen. Für Bewley gibt das „grünes Licht für die legale Genitalverstümmelung unter dem Etikett der Ästhetik.“

Expertinnen in Europa sehen in dem Fall den Anfang einer verheerenden Entwicklung. „Die Beschneidung von Frauen und Intimoperationen sind nicht klar voneinander zu trennen“, sagt die Schweizer Soziologin Dina Bader, die derzeit ihre Doktorarbeit zu diesem Thema verfasst. „Weil die ästhetische Praktik erlaubt und die traditionalistische Variante geächtet oder verboten ist, besteht die große Gefahr, dass sich die Genitalverstümmelung unter dem Deckmantel der Ästhetik ausbreitet.“ Je mehr sich der Intim-OP-Boom herumspräche, desto mehr drohten die Kampagnen gegen Genitalverstümmelung an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Imntimchirurgie und Beschneidung - "das ist etwas ganz anderes"

Bader macht die Situation mit zwei Beispielen deutlich: Geht eine weiße minderjährige Frau zu einem Intimchirurgen und beklagt, wie sehr sie unter dem Aussehen ihrer Vulva leide, schneidet er ihr diese wunschgemäß zurecht, „das Einverständnis der Eltern vorausgesetzt“, bestätigt Dominik von Lukowicz, Vorsitzender der Gesellschaft für Ästhetische und Rekonstruktive Intimchirurgie. Geht eine Minderjährige aus Afrika, dem Mittleren oder Nahen Osten hierzulande zum Intimchirurgen und möchte die Vulva entsprechend ihrer Tradition beschnitten haben, „wird das wohl jeder ablehnen“, sagt von Lukowicz. Schon deshalb, weil die Rufschädigung, sollte die OP öffentlich werden, immens wäre, fügt Bader hinzu. Aber: Was tut ein Intimchirurg für 3000 Euro, wenn seine Klientin nun vorgibt, dass sie so sehr leide und sich ohne Klitoris und innere Schamlippen hübscher fände? Wo verläuft die Trennlinie zwischen Beschneidungszwang und der Selbstbestimmung über den eigenen Körper, zwischen Unterdrückung der Frau und sexueller Befreiung?

Fangen wir mit dem Faktischen an, dem Anatomischen. Viele Intimchirurgen reagieren brüskiert, wenn Kürzungen der Schamlippen in den Kontext von Beschneidungen gerückt werden. „Das ist etwas ganz anderes“, sagt von Lukowicz. „Wir verletzen die Klitoris nicht, und uns geht es um eine Steigerung der weiblichen Schönheit und Lust.“ Wer sich umhört, erfährt jedoch, dass die Kürzung der inneren Schamlippen fast immer mit einer Straffung des sogenannten Klitorismantels einhergeht. „Sonst kann die Klitoris deutlich sichtbar wie ein Mikropenis hervorstehen“, erläutert von Lukowicz. Sehr wohl wird also auch routinemäßig an der Klitoris, jenem vorgeblichen Hotspot der weiblichen Lust, operiert. Richtig ist lediglich: Die Klitorisspitze bleibt dabei für gewöhnlich heil.

Ärzte wissen nicht, wie verstümmelte Vulvas aussehen

Es sei denn, die Frau wünscht es sich anders – wie jene 33-Jährige aus Großbritannien. Oder: Der Operateur hält die Entfernung für angebracht: „Ich habe Bilder eines Kollegen aus Deutschland gesehen, der seiner Klientin die Klitorisspitze und die inneren Schamlippen entfernt hatte. Ich war vollkommen schockiert, weil das einer Verstümmelung gleichkommt“, sagt von Lukowicz. „Er behauptete aber, das gehöre so.“ Unklar ist, wie viele Kundinnen dieser Chirurg derart beschnitten hat. Sicher ist nur, dass viele Ärzte über hundert Vulva-OPs im Jahr ausführen.

Von Lukowicz hält den Vergleich von kosmetischen Intim-OPs und traditionalistischen Beschneidungen dennoch für unangemessen: „Bei einer Beschneidung wird immer die Klitoris entfernt, bei einer richtig ausgeführten Schönheits-OP natürlich nicht.“

Jasmine Abdulcadir widerspricht: „Die Ärzte wissen nicht, wie verstümmelte Vulvas en Detail aussehen. Die Klitorisspitze wird auch bei etlichen traditionellen Beschneidungen nicht vollständig entfernt“, sagt die Gynäkologin von der Klinik für weibliche Genitalmanipulationen am Universitätsklinikum in Genf.

"Bei kosmetischen Intim-OPs und Beschneidungen passiert nicht selten dasselbe"

Die Weltgesundheitsorganisation hat vier Typen der Beschneidung anatomisch beschrieben. Am bekanntesten ist hierzulande Typ 3, bei dem der Scheideneingang bis auf eine winzige Öffnung zum Abfluss von Monatsblut vernäht wird und manchmal die Klitorisspitze sowie die Schamlippen gekappt werden. Die häufigsten Formen weltweit sind aber Typ 1 und Typ 2. „Bei allen vier Typen muss die Klitorisspitze nicht unbedingt entfernt sein und ist es auch oft gar nicht“, betont Abdulcadir. „Chirurgisch und anatomisch passiert bei kosmetischen Intim-OPs und Beschneidungen nicht selten dasselbe“, sagt sie. „Das ist ein heikles Thema, weil die Intimchirurgen das nicht gerne hören.“

Abdulcadir ist Tochter eines somalischen Arztes und hat viele nach Typ 3 beschnittene Tanten. Am Klinikum in Genf betreut sie Hunderte beschnittener Frauen. Jeden Tag erlebt sie, wie wenig europäische Ärzte über Beschneidungen wissen. In einer ihrer Analysen deckte sie auf, dass der Eingriff bei 48 von 129 Frauen nicht bemerkt wurde und bei 28 dem falschen Typ zugeordnet war. Es gab mehr falsche und fehlende Diagnosen als richtige.

Auch Minderjährige kommen zur Schamlippenkürzung

Der zweite Unterschied zwischen traditionalistischer Beschneidung und kosmetischer Intim-OP soll das Alter sein. Die Beschneidung der weiblichen Genitalien aus kulturellen Gründen praktizieren Ärzte oder rituelle Beschneider im Kleinkindalter oder deutlich vor der Pubertät.

Von so jungen Klientinnen hat noch kein Intimchirurg hierzulande berichtet. „Der Altersschnitt ist 25. Aber auch ich habe Minderjährige, die zu einer Schamlippenkürzung kommen“, sagt von Lukowicz. „Wenn sie sehr leiden, die Eltern das glaubhaft versichern und das wirklich anormal aussieht, so dass sie gehänselt werden, operiere ich diese auch.“ In Großbritannien ist der Eingriff ab neun Jahren und in Frankreich ab zwölf Jahren erlaubt. Das Barbiepuppen-Ideal beschäftigt die Heranwachsenden schon in der Grundschule. Wenn Pro-Familia-Beraterinnen dort über Sexualität aufklären, erzählen immer wieder einige Mädchen, sie fänden ihre eigene Vulva scheußlich.

Richtig ist also, dass die Beschneidungen aus traditionellen Motiven in anderen Altersgruppen ausgeführt werden als Intim-OPs, aber die Volljährigkeit markiert keineswegs die Grenze.

Die massenhafte Verbreitung von Pornografie hat eine neue Norm geschaffen

Nur scheinbar offensichtlich unterschiedlich sind die Beweggründe für die beiden Eingriffe. Intim-OPs zielen auf eine schöne Scham. Das wird heutzutage als umso wichtiger empfunden, seit Intimrasur die Vulva zum Vorschein bringt. Zugleich habe die „massenhafte Verbreitung von Pornografie eine neue Norm geschaffen, wie diese aussehen soll“, sagt die Sexualtherapeutin Bettina Kirchmann aus Düsseldorf. So werben Intimchirurgen damit, dass sich Klientinnen mit neuer Vulva schöner fühlten und sogar mehr Lust empfänden. Eine operierte 42-Jährige aus München bestätigt, dass sie sich nun beim Sex fallen lassen könne. Zuvor habe sie ihre Scham als „eklig“ empfunden. Studien dazu gibt es aber kaum, wohl aber Warnungen der Fachgesellschaften vor Komplikationen und Beschwerden nach dem Eingriff.

Während bei der Intim-OP also die Schönheit im Vordergrund steht, gehe es „bei der Beschneidung von Mädchen im Nahen und Mittleren Osten und in einigen afrikanischen Ländern darum, die sexuelle Lust der Frauen zu untergraben“, sagt von Lukowicz. Väter und Mütter würden ihre Töchter also unfreiwillig zur Beschneiderin zerren. Aber das ist ein Stereotyp, sagt Dina Bader: „Wenn man mit den beschnittenen Frauen spricht, hört man immer wieder, dass diese es oft eben auch schön finden.“ Jasmine Abdulcadir bestätigt das. Sie brauche oft sehr viele Sitzungen der Aufklärungsarbeit, um nach Typ 3 beschnittene Frauen darin zu bestärken, dass sie sich wohlfühlen können, wenn ihr Scheideneingang nicht wieder verschlossen wird. In den Herkunftsländern ist die Praktik argumentativ verquickt mit dort erstrebenswerten Idealen: Die Beschneidung helfe der Frau, keusch in die Ehe zu gehen. Und eine beschnittene Vulva sei außerdem auch schöner.

Die argumentative Verpackung, um Frauen die Beschneidungen näher zu bringen, ist hier wie dort manipulativ, sagt Sexualtherapeutin Kirchmann: „Wo ist der Unterschied? Hier wie dort lassen sich mehr und mehr Frauen aufgrund eines gesellschaftlichen Drucks beschneiden.“ Sie unterwerfen sich einer Idee, wie sie sein sollen und geben auf, wie sie sind.

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