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HIV

© Science Source, mauritius images

Update

Genomchirurgie gegen HIV: Radiergummi für Aids-Viren

Forscher aus Hamburg und Dresden können HIV-Gene aus dem Erbgut von Blutzellen schneiden. Ob sich das in eine Therapie umsetzen lässt, wird aber bezweifelt.

Seit 20 Jahren können Ärzte die Vermehrung des Aidsvirus HIV mit einem Cocktail aus Medikamenten soweit begrenzen, dass genug Immunzellen übrig bleiben und die Patienten überleben. Doch wer einmal mit HIV infiziert wurde, darf diese „Antiretrovirale Therapie“ (ART) für den Rest seines Lebens nicht unterbrechen. Denn HIV ist ein Virus, das eine Kopie seiner Gene ins Erbgut menschlicher Zellen schreibt. Aus diesem Versteck heraus können immer wieder neue Viren gebildet werden.

Dresdner und Hamburger Forscher haben nun einen Weg gefunden, diese als „Proviren“ bezeichneten HIV-Kopien aus dem Erbgut zu entfernen. Das Konzept, dass die Forscher bislang nur an Zelllinien und in Mäusen getestet haben, habe das Potenzial, HIV-Infizierte zu heilen.

Das Prinzip ist denkbar einfach: Die Forscher veränderten ein natürliches Enzym – die Rekombinase Brec1 – so, dass es eine bestimmte Abfolge von Erbgutbausteinen am Anfang und Ende der HIV-Gene erkennt. Dort schneidet das Enzym den Erbgutfaden durch, die Virus-DNS fällt heraus und die losen Enden werden anschließend „vernäht“. Das Viruserbgut wird gewissermaßen aus dem Erbgut radiert.

Die Forscher testeten ihren molekularen Radiergummi unter anderem an bestimmten Blutzellen eines HIV-Patienten, den CD4-T-Zellen. Diese Zellen sind sowohl ein wichtiger Pfeiler des Immunsystems als auch Angriffsziel der Aidsviren. Normalerweise vermehren sich Aidsviren in solch einer Zellkultur innerhalb von drei Wochen stark und zerstören dabei viele Zellen. Schleuste das Team von Joachim Hauber von der Universität Hamburg und Frank Buchholz von der Universität Dresden jedoch die Brec1-Rekombinase in die Zelle, ging die gemessene Virusmenge zurück und die Zellmenge blieb stabil. Die Forscher fanden nur noch sieben Prozent der ursprünglich vorhandenen Viruskopien im Erbgut.

Um sicherzugehen, dass die Rekombinase auch in einem lebenden Organismus funktioniert, nutzen die Forscher dann Mäuse mit defektem Immunsystem. Spritzt man diesen Mäusen infizierte Blutzellen eines HIV-Patienten, kann man eine Vermehrung der Viren und das damit einhergehende Absterben der menschlichen Zellen beobachten. Aber wenn die Forscher die gleichen Blutzellen mit ihrer Rekombinase ausstatteten, waren nach sechs Tagen keine Viren mehr zu messen, schreiben sie im Fachblatt „Nature Biotechnology“.

Der Ansatz hinkt immer einen Schritt hinter der Infektion hinterher

Weil T-Zellen nur eine begrenzte Lebensdauer haben, setzten Hauber und Buchholz die Rekombinase auch in menschliche blutbildende Stammzellen ein. Gelänge es, solche Stammzellen im Knochenmark von Aidspatienten anzusiedeln, bekämen alle daraus hervorgehenden Blutzellen die Rekombinase mit auf den Weg und könnten im Fall einer HIV-Infektion die Aidsviren immer wieder aus dem Erbgut schneiden. Die Patienten hätten stets genug gesunde Immunzellen, um eine funktionierende Körperabwehr aufrechtzuerhalten – und könnten den ART-Cocktail absetzen. Zumindest in Mäusen, die das Forscherteam mit solchen blutbildenden, menschlichen Stammzellen ausstattete, scheint das zu funktionieren.

Toni Cathomen ist allerdings skeptisch, ob sich das Konzept je in eine Therapie für HIV-Patienten wird umsetzen lassen. Der Gentherapie-Experte der Universität Freiburg forscht selbst an gentherapeutischen Ansätzen, die HIV-Infizierte vom Aids-Virus befreien sollen. „Das Problem ist, dass man mit diesem Therapieansatz der HIV-Infektion immer einen Schritt nachhinkt”, sagt Cathomen. „Die Rekombinase kann erst aktiv werden, wenn die Zelle infiziert worden ist.”

Der eingeschleuste Radiergummi könnte stumpf werden

Darüber hinaus gibt es noch keine klinische Erfahrungen mit Rekombinasen, weshalb noch viele Tests nötig sein werden, ob der Einsatz im Menschen wirklich sicher ist – auch wenn Hauber und Buchholz bereits solche Untersuchungen gemacht haben. So sind Mäuse, die den HIV-Radiergummi nicht nur in Blut- sondern in all ihren Zellen bilden, gesund. Auch haben die Forscher keine Hinweise gefunden, dass die Rekombinase ab und zu an anderen Stellen im Erbgut herumradiert.

Aber selbst wenn die Wahrscheinlichkeit dafür sehr gering ist, reicht es aus, wenn solche „Off-Target-Effekte“ im Verlauf von Jahrzehnten nur ein paar Mal auftreten, um im schlimmsten Fall Blutkrebs oder andere Fehlentwicklungen auszulösen. Und in so langen Zeiträumen müssen die Forscher denken. Denn soll ein zwanzigjähriger HIV-Infizierter mit der Methode behandelt werden, dann muss die Rekombinase in den transplantierten Blutstammzellen auch noch sechzig Jahre später ihren Dienst tun, sagt Cathomen: „Langzeiterfahrungen dazu gibt es einfach nicht.“ Im Gegenteil, Experimente mit anderen Gentherapien zeigen, dass die eingeschleusten Gene im Laufe der Zeit oft stillgelegt werden. Im Fall der Rekombinase würde das dazu führen, dass der Radiergummi stumpf wird – und die Zellen könnten sich der Viren nicht mehr erwehren.

"Genome Editing wird die Medizin verändern"

Cathomen und andere Forschergruppen weltweit verfolgen deshalb einen anderen Ansatz. Sie schließen die Tür, durch die Aidsviren in die CD4-T-Zellen einfallen. Diese Tür nennt sich CCR5. Cathomen versucht mit einer anderen Art von molekularem Radiergummi, „Talen“ genannt, die Geninformation für diese Tür aus dem Erbgut von blutbildenden Stammzellen zu löschen. Die kalifornische Biotechfirma Sangamo wiederum benutzt für den gleichen Zweck „Zinkfinger“, wieder andere Genscheren, und testet diese Strategie seit Sommer letzten Jahres in der weltweit ersten klinischen Studie an insgesamt 12 HIV-Patienten. Zuvor hatte die Firma eine Reihe von erfolgversprechenden Studien mit T-Zellen von HIV-Patienten abgeschlossen, die zeitweise sogar ohne ART auskommen konnten. Ihre T-Zellen lassen HIV nicht mehr in die Zelle, bauen ein funktionales Immunsystem auf und können dann andere, HIV-infizierte Zellen abtöten.

Die „Radiergummi“-Strategie der deutschen Kollegen bezeichnen die Sangamo-Forscher als durchaus „eindrucksvoll“. „Aber es ist schwer vorstellbar, dass sich das realistisch in eine Therapie umsetzen lässt“, sagt Michael Holmes, Forschungsleiter der Firma. Damit die Strategie funktioniert, müsse die Rekombinase in sehr viele CD4-T-Zellen eingeschleust werden. Das sei nicht machbar, meint Holmes. Auch wenn die deutschen Forscher nicht T-Zellen, sondern blutbildende Stammzellen mit der Rekombinase ausstatten, werden sie nie alle Stammzellen verändern können.

„Die blutbildenden Stammzellen, die einem Patienten entnommen werden, müssen innerhalb von drei Tagen zurückgegeben werden, sonst wachsen sie nicht wieder an“, erklärt Toni Cathomen. „In dieser kurzen Zeit kann man nicht jene Zellen heraussuchen und vermehren, bei denen das Einschleusen der Rekombinase geklappt hat.“ Man können nur alle Zellen behandeln und hoffen, dass die Rekombinase in möglichst viele Zellen eingeschleust wird. Bislang gelingt das aber nur bei 20 Prozent der blutbildenden Stammzellen. Das bedeutet, dass nach der Transplantation ein Großteil der blutbildenden Stammzellen weiterhin HIV-anfällige T-Zellen produzieren wird – die sowohl ein Ziel als auch ein ständiges Reservoir für HIV darstellen. „Außerdem sind die veränderten Zellen nicht geschützt vor einer wiederholten HIV-Infektion, was nicht der Fall ist, wenn man CCR5 ausschaltet", sagt Holmes.

Welche Strategie am Ende erfolgreich sein wird, werden erst klinische Studien zeigen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber groß, dass diese, als Genome Editing bezeichneten, gentherapeutischen Ansätze „die Medizin verändern werden“, sagt Frank Buchholz. Man stehe kurz davor, das Zeitalter der Genomchirurgie einzuläuten.

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