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Weizen.

© Patrick Pleul/ZB/dpa

Genomforschung: 107891 Gene im Brot (mindestens)

Weizen ist das wichtigste Grundnahrungsmittel der Deutschen. Jetzt endlich haben Biologen das Erbgut des Getreides entziffert.

Von Fliegen, Würmern, diversen Säugetieren wie dem Menschen, vom Reis, Mais, der Kartoffel und sogar der Ackerschmalwand, einem Unkraut – von all diesen und noch viel mehr Organismen haben Biologen in den vergangenen Jahrzehnten die Genome entziffert. Doch erst jetzt ist es gelungen, das Erbgut des wichtigsten Grundnahrungsmittels für Deutschland, Europa und ein Drittel der Welt zu sequenzieren. Über 13 Jahre dauerte es, jene Pflanze zu entschlüsseln, die etwa ein Fünftel aller von Menschen konsumierten Kalorien liefert: Triticum aestivum. Auch Weizen genannt.

„Das Erbgut des Weizens ist wesentlich größer und komplexer als das Erbgut vieler anderer Arten – etwa fünfmal größer als das menschliche, 40 Mal größer als das vom Reis“, erklärt Nils Stein. „Das war sehr viel mehr Arbeit als sonst.“ Dem Molekularbiologen vom Institut für Pflanzenzüchtung und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben gelang das Kunststück gemeinsam mit mehr als 200 Forschern aus 73 Ländern, dem Internationalen Weizengenomsequenzierungskonsortium. Die Forscher hoffen nun zum einen besser zu verstehen, welche der 107891 Weizengene Ertrag und Resistenzen gegen Trockenheit oder Krankheiten mitbestimmen. Zum anderen könnten gezielter neue Weizensorten gezüchtet werden, die auch in Zukunft gute Ernten unter verschiedenen Umweltbedingungen ermöglichen.

Die Weizenzucht gehört zu den ältesten Gewerben

Einer der Gründe für die ungewöhnlich lange Wartezeit auf das Weizengenom sei die „Ironie“, dass das Süßgras zwar die wichtigste Nutzpflanze in Europa ist, für Forschung und Züchtung aber viel weniger Geld zur Verfügung stünde als bei anderen Kulturpflanzen. „Die Industrie verdient mit dieser Pflanze nicht so viel Geld wie mit Saatgut für Hybridpflanzen wie Mais, das immer wieder neu eingekauft werden muss, weil es der Bauer nicht selbst nachbauen kann“, sagt Stein. Anfangs sei es unmöglich gewesen, die nötigen Mittel in einem einzelnen Land zu akquirieren, nicht einmal in den USA. Inzwischen seien die neuen Techniken aber so günstig, „dass wir das Genom nicht nur vollständig sequenzieren konnten, sondern bereits zehn weitere Varianten von Weizen in Angriff genommen haben“, sagt Stein.

Die fünf Fachartikel, die jetzt in „Science“ die Genom-Informationen öffentlich machen, beziehen sich auf die Sorte „Chinese Spring“. Sie habe zwar Modellcharakter für die Weizenforschung, spiele aber für Züchtung und Anbau keine Rolle, sagt Stein: „Es gibt Gene, die in der einen Sorte vorkommen, in der anderen aber nicht, wodurch sie sich in bestimmten Eigenschaften unterscheiden, etwa in der Widerstandskraft gegenüber Krankheitserregern.“ Die zehn Sorten, die nun zusätzlich sequenziert werden, sollen diese Vielfalt abbilden. Das sei dann besonders nützlich für die Zucht.

Die Weizenzucht gehört zu den ältesten Gewerben. Vor etwa 10.000 Jahren begannen Menschen, die Körner der natürlich vorkommenden Süßgräser im „fruchtbaren Halbmond“, der vom Süden des Irak über den Norden Syriens bis in den Libanon und Israel reichenden Steppenlandschaft, nicht mehr nur abzusammeln, sondern selbst auszusäen. Diese ersten Landwirte wählten besonders ertragreiche und widerstandsfähige Sorten aus und züchteten durch diese Auswahl allmählich über die Jahrhunderte und Jahrtausende jenen Brotweizen, der aus deutschen Backstuben nicht mehr wegzudenken ist. Inzwischen sind Züchter bei dieser Auswahl nicht mehr allein auf äußerlich erkennbare Merkmale angewiesen, sondern nutzen molekulare Marker, also Methoden, mit denen sich bestimmte Genvarianten nachweisen lassen, die mit besserem Ertrag oder Krankheitsresistenz gekoppelt sind. „Das ist nichts anderes, als wenn der Züchter auf dem Feld Merkmale wie die Wuchshöhe nutzt, um eine Pflanze zu erkennen und von einer anderen zu unterscheiden“, sagt Stein. „Mit Hilfe der Genomsequenz ist es jetzt viel einfacher, zum Beispiel gezielt Pflanzen für die Zucht auszuwählen, die ein Resistenzgen gegen eine Pilzerkrankung tragen, und die, die es nicht tragen, auszusortieren.“ Dieses „Smart Breeding“ eröffne „ganz neue Möglichkeiten“.

In den USA gelten bestimmte Änderungen mit der Gen-Schere nicht als Gentechnik, in der EU schon

Allerdings braucht es für diese „intelligente Zucht“ immer auch Kreuzungspartner. Das bedeutet, wenn das Resistenzgen gegen eine Pilzerkrankung in einer Weizenvariante steckt, die wenig Ertrag bringt, dann werden die Nachkommen einer Kreuzung mit dem Hochleistungsweizen an Ertrag oder anderen wichtigen Eigenschaften einbüßen. Mit Genom-Editierungsmethoden wie der „Gen-Schere“ Crispr ließe sich die Resistenz-vermittelnde Eigenschaft direkt in der Kulturpflanze einbringen – so wie ein Tippfehler im Text am Computer verändert werden kann, ohne das andere Sätze angerührt werden. „Crispr ist natürlich eine sehr interessante Möglichkeit, und vom Standpunkt des Forschers wohl auch die elegantere, weil man eben schneller und präziser ist und viele ungewünschte Geninformationen gar nicht erst in die Kulturpflanze eingekreuzt werden.“ In Ländern wie den USA wird das Wissen über die Genome von Kulturpflanzen bereits genutzt, um sie auf diese Weise zu optimieren. Dort gelten Änderungen mittels Gen-Schere so lange nicht als „Gentechnik“, solange sie auch über Kreuzungen hätten zustande kommen können. In Europa ist das spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs Ende Juli nicht so. „Für die Forschung hat das keine unmittelbaren Auswirkungen, aber im Bereich der Anwendung unseres Wissens über Gene in der Zucht und Landwirtschaft wird Europa jetzt wahrscheinlich abgehängt werden“, sagt Stein.

Weizen war noch nie natürlich

Dabei wäre unter anderem mit Hilfe der Genom-Daten vieles möglich, was den Weizen nicht nur ertragreicher oder widerstandsfähiger, sondern auch besser verträglich für Allergiker und Menschen mit Glutenunverträglichkeit. „Die Proteine Gliadin und Gluten, die beim Menschen allergische Reaktionen oder Unverträglichkeiten auslösen, gehören zu den Eiweißen, die auch für die Qualität des Weizens eine Rolle spielen“, sagt Stein. Daher könne man sie nicht komplett entfernen, „weil man aus solchem Weizen kein gutes Brot mehr machen kann.“ Aber es sei denkbar, das allergene Potenzial zu senken. Man könne etwa Teile der Eiweiße entfernen, die für Allergien verantwortlich sind, aber keinen Einfluss auf die Qualität haben.

Umweltfreundlicher könnte Weizen werden, wenn Züchter ihn so verändern dürften, dass die Pflanze weniger Stickstoffdünger benötigt, um ordentlich zu wachsen. Bei der jahrtausendelangen Zucht, die sich vor allem auf die Stabilität der Halme im Wind und Regen und die Größe der Ähre konzentrierte, ging die Eigenschaft einer effektiven Stickstoffverwertung verloren, weshalb Weizenanbau mit erheblichem Einsatz von umweltschädlichem, weil energiezehrendem Stickstoffdünger einhergeht. Die Veränderung eines einzigen Gens könnte das Problem beheben, schreibt Xiangdong Fu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature“.

Wäre derart veränderter, an Allergiker und klimabedingte Umweltveränderungen angepasster Weizen dann noch „natürlich“? „Weizen war noch nie natürlich, sondern von Anfang an ein künstliches, in der Natur sonst nicht vorhandenes Produkt, das vor Jahrtausenden durch zufällige Fusion zweier Wildformen entstanden und von Menschen selektiert, erhalten und optimiert worden ist“, sagt Stein. „Wenn diese Pflanze nun mit dem Wissen um das Genom und mit neuen Methoden weiterentwickelt wird, dann ist das genauso natürlich oder unnatürlich, wie das, was in den vergangenen zehntausend Jahren passiert ist.“

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