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Lernbatterie. Bisher fördert das Studium in China (hier die Universität Schanghai) die Kreativität kaum. Doch mit Hilfe von US-Unis besinnen sich die Chinesen jetzt auf ihr altes Ideal einer umfassenden Bildung.

© AFP

Genug gepaukt: China setzt auf Persönlichkeitsbildung im Studium

Humboldt kommt: Internationale Hochschulnetzwerke folgen dem Trend und verstärken ihr Engagement in China. Das bleibt nicht ohne Folgen für das Bildungsideal und die Ausrichtung der chinesischen Universitäten.

Deutschland zeigt seine Aufklärungsausstellung in China auch dann noch, wenn der berühmte Künstler und vielleicht baldige Berlin-Bewohner Ai Weiwei verhaftet wird. Während sich die hiesige Öffentlichkeit über diese besondere Form des Kulturaustauschs Gedanken macht, entwickeln sich andere Kooperationen mit China kontinuierlich weiter. Dabei geht es nicht nur um wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch um Wissenschaftsbeziehungen. Westliche Länder und ihre Hochschulen treten hierbei miteinander in Konkurrenz. Es gilt, sich strategisch geschickt zu positionieren, um von der rasant verlaufenden chinesischen Bildungsexpansion zu profitieren.

Unter den deutschen Universitäten gehört die Freie Universität Berlin zu jenen, die die Zeichen der Zeit besonders gut erkannt haben. Die FU reagiert auf die akademische Globalisierung, indem sie sich zur „Internationalen Netzwerkuniversität“ entwickelt. Dazu gehören Verbindungsbüros in aller Welt, natürlich auch in China. Damit steht die FU jedoch nicht allein da.

Eine recht ähnliche Strategie mit dem Titel Global Network University verfolgt die New York University. Sie gab nun bekannt, eine Tochteruniversität in Schanghai zu gründen, NYU Shanghai. Diese Nachricht ist an sich schon sehr spannend, da sie zeigt, in welch hartem Wettbewerbsumfeld sich deutsche Universitäten bewegen und wie viel mehr finanzielle und politische Unterstützung sie eigentlich bräuchten.

Noch viel interessanter ist jedoch, dass die Amerikaner in Schanghai auch ein Liberal Arts Curriculum etablieren wollen. Es geht also nicht um eine technische Hochschule, die noch mehr fachlich brillante, aber eher einseitig gebildete Ingenieure und Naturwissenschaftler hervorbringen soll. Stattdessen steht Persönlichkeitsentwicklung durch breite Bildung auf dem Programm. Das klingt nach Humboldt und scheint der nächste wichtige Baustein beim Aufstieg der chinesischen Universitäten zu sein.

Dieser Aufstieg ist seit langem sichtbar. Die Ausgaben für Wissenschaft als Anteil am Bruttoinlandsprodukt haben sich innerhalb nur eines Jahrzehnts verdreifacht, die Zahl der Hochschulen verdoppelte sich auf weit über 2000 und die der Studenten verfünffachte sich zwischen 1997 und 2007. Mehr als 25 Millionen Chinesen studieren mittlerweile. Längst geht es aber nicht nur um Quantität, auch die Zahl der von chinesischen Forschern veröffentlichten Aufsätze in den Top-Zeitschriften für Ingenieurs- und Naturwissenschaften hat sich vervielfacht.

Hindernisse gibt es trotz all dieser Erfolge viele. So liegt eine große Gefahr für die chinesischen Hochschulen in der starken Abhängigkeit vom Staatsapparat, der immer noch jedem Universitätspräsidenten einen Parteisekretär zur Seite stellt. Yale-Präsident Richard Levin meinte dazu kürzlich, dass man ohne echte Freiheiten vielleicht in den Naturwissenschaften beachtliche Innovation erzielen könne, so wie es auch schon die Sowjetunion schaffte. Allerdings sei dies nicht in den Geistes- und Sozialwissenschaften möglich.

Gerade hier vollziehen sich jedoch momentan überraschende Entwicklungen. Tongshi jiaoyu, was man in etwa mit Studium Generale übersetzen kann, wird als immer wichtigeres Kernelement des Studiums gesehen. An der Peking University, wo schon heute Studierende aller Fächer neben ihrem eigentlichen Fachstudium einzelne Kurse aus anderen Disziplinen belegen, gibt es seit einiger Zeit das sogenannte „Yuanpei-Programm“. Es ist ein Studienmodell, in dem keine enge Fachspezialisierung mehr im Mittelpunkt steht, sondern eine breite Persönlichkeitsbildung. Dies entspricht durchaus der chinesischen Bildungstradition, die als Ideal den vielseitig in den schönen Künsten gebildeten Staatsbeamten sah. Über den Sowjetimport Sozialismus wurde diese durch die Begeisterung für den Ingenieur ersetzt: der neue Mensch, der die Natur bezwingen kann. Nicht zufällig sind fast alle wichtigen Mitglieder des Politbüros Ingenieure.

Benannt ist das „Yuanpei-Programm“ übrigens nach Cai Yuanpei, dem ehemaligen Präsidenten der Pekinger Universität. Als junger Mann kam er Anfang des 20. Jahrhunderts nach Deutschland, studierte in Leipzig und wurde zum Bewunderer des Humboldt’schen Hochschulsystems. In dem 2001 eingeführten Programm wird zunächst breit studiert und dann nach zwei Jahren ein Hauptfach gewählt. Ähnliche Programme gibt es mittlerweile an anderen chinesischen Spitzenuniversitäten, so an der Fudan University, an der Studierende ein gemeinsames erstes Jahr durchlaufen oder an der Nanjing University, wo die Studierenden bei der Bewerbung noch nicht angeben müssen, welches Fach sie später studieren wollen.

Während in Deutschland weiterhin die eher einseitig fachliche Spezialisierung dominiert und überfachliche Bildung oft als das Belegen von Berufsvorbereitungskursen definiert wird, findet international eine Synthese von Humboldt’schem Bildungsverständnis und dem anglo-amerikanischen Ansatz von Persönlichkeitsbildung statt. Die New York University Shanghai ist nur ein Beispiel, weiter südlich in Singapur bauen Auslandschinesen gerade gemeinsam mit Yale ein Liberal Arts College auf, möglicherweise ein Pilotprojekt für ähnliche Vorhaben in der Volksrepublik.

Wir können uns freuen, dass Humboldt nun zum zweiten Mal exportiert wird. Allerdings sollten wir uns fragen, warum deutsche Universitäten dabei keine führende Rolle spielen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass offen ist, ob die Absolventen dieser neuen chinesischen Studienprogramme so viel freiheitlichen Bildungsgeist entwickeln, dass sie mittelfristig politische Reformen einfordern werden. Das wäre in der Tat eine sehr spannende Entwicklung.

Der Autor ist Fellow der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin und leitet dort ein Projekt zur Zukunft der deutschen Universitäten

Sebastian Litta

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