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© AFP

Geoengineering: Mit Kampfjets gegen das Schneechaos

Jagdflieger sollen künftig den Moskauer Winterdienst entlasten. Ob ihre Technik funktioniert, ist jedoch fraglich.

In Russland kommt Frau Holle demnächst im Kampfjet. Weil seine Stadtkasse jährlich mit rund 6,8 Millionen Euro fürs Schneeräumen belastet wird, will der Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow bei dräuenden Wolken in Zukunft die Luftwaffe um Hilfe bitten. Die Piloten sollen den Schneefall auslösen, bevor die Wolken die Stadtgrenze erreichen. Die Methode ist einfach: Aus den Flugzeugen wird die Chemikalie Silberiodid in Wolken geblasen. Dort kondensiert die Luftfeuchtigkeit an den Kristallen und je nach Temperatur und Wind fällt bald Schnee, Regen oder Hagel. Nicht nur Russen, auch Chinesen, Amerikaner, Kroaten, Österreicher, Schweizer und Deutsche nutzen diese Methode seit Jahrzehnten. Und genauso lang wird auch über ihre Wirksamkeit diskutiert.

Begonnen hat die Geschichte als deutsche und US-Militärs am Ende des Zweiten Weltkriegs das Vereisen von Flugzeugen verhindern wollten. Laborversuche zeigten, dass festes Kohlendioxid bestimmte Wolken auflöst. An diesem minus 78 Grad Celsius kalten „Trockeneis“ frieren die winzigen Wassertröpfchen der Wolken nämlich fest. Meist fällt dann Schnee und die Wolke löst sich auf.

Die Physik hinter diesem Phänomen erklärt der Meteorologe Klaus Beheng vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT): „Niederschlag bildet sich praktisch immer an Keimen, die in der Luft schweben.“ Solche Keime entstehen zum Beispiel, wenn Wellenkämme im Meer brechen. Dabei bildet sich Gischt, aus deren winzigen Tröpfchen das Wasser schnell verdunstet, so dass nur Salz übrig bleibt. Diese schwebenden Salzkristalle sind die Keime, an denen Luftfeuchtigkeit kondensiert. Das Gleiche funktioniert auch mit Staub, den der Wind vom Boden aufwirbelt, oder mit Ruß, den Kraftwerke und Motoren in die Luft blasen.

Wie wichtig solche Verunreinigungen für die Kondensation sind, beweist ein Experiment, das Beheng in seiner Studentenzeit beobachtete: In einem großen Behälter aus durchsichtigem Kunststoff bleibt Wasser auch bei minus zehn Grad Celsius flüssig, wenn man es vor dem Abkühlen sorgfältig von allen gelösten Salzen und anderen Stoffen befreit. Sobald dieses „unterkühlte Wasser“ Keime findet, an denen es gefrieren kann, wird es zu Eis. Den Beweis lieferte der Dozent, als er eine Bleistiftspitze ein kleines Stück in das unterkühlte Wasser tauchte. Schlagartig erstarrte der gesamte Inhalt des Behälters zu einem soliden Eisblock.

Verdunstet Wasser in der Natur, schwebt es als Wasserdampf zunächst ähnlich rein in der Luft wie das supergereinigte Wasser im Aquariumsexperiment. Weil die Tröpfchen nur relativ langsam Feuchtigkeit aus der Luft der Umgebung aufnehmen, wachsen sie langsam und erzeugen allenfalls Nieselregen. „Die Situation in unterkühlten Wolken ändert sich grundlegend, wenn genug Dreck in der Luft schwebt“, sagt Beheng. Genau wie ein Bleistift das unterkühlte Wasser im Aquarium schlagartig zu Eis erstarren lässt, gefrieren dann auch die Wolkentropfen zu Eispartikeln. Daran kondensiert die Luftfeuchtigkeit viel besser, die Kristalle wachsen schnell, werden rasch schwerer und fallen als Niederschlag aus der Wolke. Am Boden kommt dann je nach Wetterverhältnissen Schnee, Graupel, Hagel oder Regen an.

Diese Grundlagen zeigen auch, wie man Niederschläge beeinflussen kann: Injiziert man zum Beispiel Kochsalz in eine Wolke, hat man erheblich mehr Kondensationskeime als vorher. Da die Luft insgesamt aber nicht mehr Feuchtigkeit enthält, bilden sich statt weniger größerer jetzt viele kleinere Tröpfchen, die nicht mehr abregnen. Im Prinzip kann man mit Salz also Niederschläge verhindern oder zumindest verzögern.

1947 fanden Wissenschaftler heraus, dass Silberiodid eine Kristallstruktur hat, die Eis sehr ähnelt. Seither löst man diese Chemikalie in Aceton und verbrennt das Gemisch. Der dabei entstehende „Rauch“ besteht aus sehr vielen, winzigen Silberjodid-Partikeln, an denen rasch Luftfeuchtigkeit kondensieren sollte.

Fliegt ein Pilot nun mit einem solchen Brenner unter eine Wolke, aus der bald große Eiskörner fallen könnten, verteilt sich die Luftfeuchtigkeit auf viel mehr Kondensationskeime als vorher und die Hagelkörner sollten kleiner bleiben und daher weniger Schaden anrichten.

Da Hagel Ernten vernichten und Autos beschädigen kann, kann er unter Umständen gefährlich werden und manchmal sogar die Existenz bedrohen. Aus diesem Grund sind in Süddeutschland, in Niederösterreich und in anderen Regionen im Sommer Flugzeuge unterwegs, die hagelverdächtige Wolken mit Silberiodid impfen und so Schäden in Grenzen halten wollen.

Tut man das Gleiche im russischen Winter an einer Wolke vor der Stadtgrenze von Moskau, löst man vielleicht einen Schneeschauer vor dem Zuständigkeitsbereich des Moskauer Reinigungsdienstes aus. Die Methode funktioniert auch mit Zement, zeigen russische Wetterflieger: Wirft man über der Wolke einen Sack Zement aus dem Flugzeug, platzt die Papierhülle normalerweise, der Baustoff verteilt sich als feiner Staub in der Wolke und liefert so viele Kondensationskeime. 2008 ging ein solches Experiment allerdings schief, als ein Sack nicht platzte und das Dach eines Moskauer Hauses durchschlug.

Um die olympischen Sommerspiele 2008 trocken über die Bühne zu bringen, bauten die chinesischen Veranstalter rund 150 Raketenbasen rund um Peking auf, die Wolken vor den Wettkampfstätten entschärfen sollten. „Bei der Eröffnungsfeier scheint das ganz gut geklappt zu haben“, erinnert sich der Atmosphärenforscher Beheng. Doch schon die Radrennen an den beiden folgenden Tagen versanken im Dauerregen.

Solche Misserfolge werfen rasch die Frage auf, ob das Wolkenmelken wirklich zuverlässig funktioniert. Schließlich kann Wind die Silberiodid-Kristalle in die falsche Richtung wehen oder das Impfen beeinflusst den Niederschlag unter bestimmten Bedingungen überhaupt nicht. Oder die Hagelflieger lassen den Hagel nur ein paar hundert Meter weiter die Ernte vernichten als er es ohne Silberjodid getan hätte.

Schweizer Forscher starteten daher bereits Ende der 1970er Jahre einen Großversuch, in dem sie fünf Jahre hagelträchtige Wolken mit Radargeräten identifizierten. In einer Art Loswurf wurde dann per Zufall entschieden, ob Wetterraketen russischer Bauart diese Wolken impfen sollten oder nicht. Weil sich Wetter nicht wiederholt, lassen sich nur mit solchen „randomisierten“ Experimenten wissenschaftlich zuverlässige Daten gewinnen. Begeisterung lösten die Ergebnisse der Schweizer Studie jedoch bei niemandem aus: Statistisch zeigten sich nämlich nur minimale Unterschiede zwischen geimpften und ungeimpften Hagelwolken.

Da ein solches Patt wenig über den Erfolg oder Misserfolg der Hagelflieger aussagt, begann Hartmut Höller vom Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im bayerischen Oberpfaffenhofen in den 1990er Jahren eine weitere Studie. Sechs Jahre lang beobachtete er mit Radarmethoden die Größe von Hagelkörnern in Wolken, die von Hagelfliegern im Landkreis Rosenheim angeflogen oder in Ruhe gelassen wurden. Um ihr Radar zu kalibrieren, maßen die Forscher am Boden die Größe von Hagelkörnern und verglichen sie mit den Messergebnissen in den Wolken. Das Ergebnis fasst Klaus Beheng mit einem niederschmetternden Satz zusammen: „Auch dabei wurde die Wirksamkeit der Methode nicht eindeutig nachgewiesen.“

Dabei spielen natürlich auch psychologische Faktoren einen Rolle: Steigen die Hagelflieger nicht auf und es verhagelt einem Bauern die Ernte, ist der Ärger programmiert. Daher fliegen sie lieber „auf Teufel komm raus“ und impfen jede Wolke, die auch nur entfernt an Hagel erinnert. Womöglich wird bald auch die russische Luftwaffe im Einsatz sein – bevor ihr Luschkow Sabotage vorwirft.

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