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Geologie: Die Wunden der Erde verheilen

Bei einem Erdbeben reißt die Erdkruste über eine Länge von mehreren Kilometern auf. Die Gesteinspakete links und rechts des Spalts werden mitunter um mehrere Meter gegeneinander verschoben. Aber solche Brüche können wieder "verheilen“, indem darin neue Minerale wachsen.

Das Ergebnis kann man an fast jeder Felswand sehen. US-Forscher um Eric Fielding gelang es jetzt, diesen Prozess erstmals direkt zu verfolgen. Mithilfe des Satelliten „Envisat“ analysierten sie die Oberfläche nahe der iranischen Stadt Bam, die im Dezember 2003 von einem heftigen Erdbeben erschüttert wurde. Wie sie im Fachmagazin „Nature“ (Band 458, Seite 64) schreiben, haben sie Senkungen des Erdbodens festgestellt, die nur mit dem „Verheilen“ der aufgerissenen Gesteinsschichten zu erklären sind.

Zuvor aber, während des Erdbebens, wird der Erdboden zunächst aufgewölbt. Der Grund: An der darunter liegenden Bruchfläche werden die Gesteine förmlich zerrieben, die winzigen Körner werden wirr zueinander ausgerichtet und es entstehen Hohlräume. Da die Gesteinsbruchstücke niemals so dicht angeordnet sein können wie ehemals im massiven Fels, steigt der Platzbedarf – das Volumen nimmt zu. Ähnlich verhält es sich auch mit einer Packung Pulverkaffee, deren Vakuum zerstört wird.

Fielding und sein Team beobachteten, dass sich anschließend der Erdboden über den Brüchen im Gestein wieder absenkte. Über manchen Verwerfungen, die 2003 aufrissen, bewegte sich die oberste Erdschicht binnen drei Jahren um mehr als drei Zentimeter nach unten. Das sei vor allem auf das „Heilen“ der Gesteinsbrüche zurückzuführen, schreiben die Forscher. Was dabei genau passiert, erläutert Oliver Heidbach vom Geoforschungszentrum Potsdam: „Die kleinen Körnchen in einer Verwerfung sind nicht kreisrund, sondern eckig.“ Während eines Bebens werden sie neu geordnet, so dass beispielsweise die Spitze des einen Fragments auf die flache Seite eines anderen drückt. „Weil die Auflagefläche einer Spitze minimal ist, herrscht dort ein besonders hoher Druck.“ Das führt dazu, dass gerade an diesen Stellen Minerale rasch aufgelöst und von Flüssigkeiten im Gestein abtransportiert werden. Ein großer Teil des Materials wird anschließend in den vorhandenen Hohlräumen wieder abgeschieden. So verringert sich das Volumen in der Verwerfung, die Erdoberfläche sinkt ab.

Das „Heilen“ der Brüche erhöht allerdings die Erdbebengefahr. „Die Gesteinspakete werden dadurch wieder verhakt und können erneut Spannung aufnehmen – bis diese zu groß wird, das Gestein bricht und die Erde bebt“, sagt der Geophysiker Heidbach. In Bam, wo vor fünf Jahren mehr als 30 000 Menschen umkamen, ist das Risiko derzeit jedoch sehr gering: „Dafür müssen die Störungen im Gestein erst wieder ,aufgeladen’ werden.“ Da sich die Arabische Platte nur mit wenigen Zentimetern pro Jahr in die Eurasische bohrt, müssten rund 100 Jahre vergehen, bis genügend Spannung aufgebaut ist, um eine vergleichbares Beben auszulösen. Ralf Nestler

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