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Vor Sumatra zerbricht eine Erdplatte. Die roten Sterne markieren die heftigen Erdbeben vom 11. April 2012. Südwestlich davon erstreckt sich die mutmaßliche Bruchzone. Die schwarzen Pfeile zeigen die Plattenbewegung an.

© Keith Koper, University of Utah Seismograph Stations

Geologie: Der Meeresboden im Indischen Ozean zerbricht

Vor Indonesien reißt eine Erdplatte. Heftige Beben künden von einem Untergrund, der auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen wird. Forscher zeigen: Solche starken Erschütterungen können offenbar weltweit weitere Beben anstoßen.

Es war eine kleine Sensation, doch sie blieb weitgehend unbemerkt. Am 11. April zitterte wieder einmal der Boden im Indischen Ozean. Die Folgen waren aber viel geringer als bei dem Megabeben vor Sumatra Ende 2004, das zusammen mit einem Tsunami einer Viertelmillion Menschen das Leben kostete. Nur 30 Zentimeter hoch war die Flutwelle, die jetzt im April nach Indonesien schwappte, zwei Tote wurden gemeldet. Keine große Sache, könnte man denken.

Geoforscher sehen das völlig anders. Die Erschütterungen kamen nicht von der Grenze der beiden Erdplatten, wie bei dem verheerenden 2004er-Beben, sondern hatten ihren Ursprung tief in der Indo-Australischen Platte, wo man derart heftige Stöße nicht erwartet hatte. Die Magnitude, das Maß für die Stärke von Erschütterungen, erreichte 8,7. Das Beben – genau genommen sind es vier, die den Meeresboden großflächig mehr als zwei Minuten lang durchschüttelten – ist das stärkste, das Seismologen bisher innerhalb einer Erdplatte gemessen haben. Offenbar bricht die Indo-Australische Platte dort auseinander, schreiben jetzt zwei Forscherteams in „Nature“.

„Die Erdstöße sind sehr ungewöhnlich“, sagt Keith Koper von der Universität Utah. Er und sein Team haben die Brüche im Untergrund rekonstruiert. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Risse befinden sich im Meeresboden, tief unter der Wasseroberfläche. Beobachtungen vor Ort sind unmöglich. Die Forscher werteten daher die seismischen Wellen aus, die von zahlreichen Erdbebenmessstationen aufgezeichnet wurden, und versuchten, ihre Herkunft zu entschlüsseln.

„Dabei sind verschiedene Interpretationen möglich“, sagt Koper. Am wahrscheinlichsten ist ein Szenario, bei dem die Erdkruste zunächst entlang einer alten Schwächezone – von Fachleuten „Störung“ genannt – brach. 40 Sekunden später riss eine weitere Störung auf, bald darauf noch eine und schließlich eine vierte. Für eine kleine Ewigkeit von zwei Minuten und 40 Sekunden bebte die Erde unter dem Indischen Ozean. Und dann noch einmal zwei Stunden später, als ein Nachbeben der Magnitude 8,2 auftrat.

Ein Tsunami blieb den Küstenbewohnern erspart. Denn um hohe Meereswellen zu erzeugen, muss der Untergrund vertikal bewegt werden. Genau das war Ende 2004 geschehen, als die Indo-Australische Platte beim „Abtauchen“ unter Indonesien mal wieder einen Ruck in Richtung Erdinneres machte. Ganz anders am 11. April: An allen Störungen wurden die Gesteine seitlich gegeneinander verschoben, teilweise um bis zu 30 Meter. Eine Höhenbewegung jedoch gab es kaum und damit auch keinen Tsunami.

Ob die zukünftigen Beben auch so glimpflich verlaufen, kann keiner sagen. Dass sie kommen, ist sicher. „Hier bricht eine Platte auseinander“, ist Koper überzeugt. „Es wird Jahrmillionen dauern, um die neue Plattengrenze zu bilden und es wird dabei sehr wahrscheinlich tausende ähnlich starker Beben geben.“

Stimmt die neue Theorie, dann sind das schlechte Neuigkeiten für einige Regionen.

Rainer Kind vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ), der an den aktuellen Studien nicht beteiligt ist, sieht das ähnlich. „Genau in dieser Gegend gibt es auf dem Meeresboden Strukturen, die auf ein Auseinanderbrechen hindeuten“, sagt er. Das sei auch kein Wunder. Der australische Teil der Platte bewege sich mit vier bis fünf Zentimetern jährlich nach Nordosten, der indische komme aber nicht so schnell mit, weil er vom Himalaja aufgehalten werde.

Die Folge: Die Platte reißt längs auf, um die Spannungen abzubauen. Wie es langfristig dort weitergeht, ob vielleicht ein neuer mittelozeanischer Höhenzug entsteht, das könne derzeit keiner vorhersagen, meint Kind. „Doch solange die Enden der Platte unterschiedlich schnell sind, entwickelt sich der Riss weiter.“

Die auf den ersten Blick unscheinbaren Erdstöße dieses Frühjahrs brachten noch mehr Erstaunliches zutage. Sie wurden maßgeblich von dem Starkbeben vor Indonesien im Dezember 2004 angetrieben, das rund 300 Kilometer entfernt war – behauptet Matthias Delescluse von der École Normale Supérieure Paris. Zwar ist bekannt, dass Erdbeben weitere Erschütterungen auslösen können, doch zwischen den genannten Ereignissen liegen immerhin gut sieben Jahre, was eindeutig zu viel ist, um einen direkten Zusammenhang herzustellen.

Delescluses Team argumentiert anders: Das 2004er-Beben habe die Spannungsverhältnisse im Untergrund aus dem Gleichgewicht gebracht. Über lange Zeit betrachtet verhalten sich die Erdkruste und der Erdmantel wie eine zähflüssige Masse und können Spannungen langsam in andere Regionen verlagern. Das sei vor Sumatra geschehen und habe letztlich die Erdstöße im April ausgelöst, schreiben die Forscher und stützen sich auf Computermodellierungen.

„Eine interessante Theorie“, findet der GFZ-Seismologe Kind. „Ob das stimmt, muss an weiteren Beben überprüft werden.“ Falls dem so ist, könnten Geophysiker ihre Risikoabschätzungen für Erdbeben deutlich verbessern, sagt er. Bisher basieren die Aussagen auf historischen Aufzeichnungen, die über Jahrzehnte oder Jahrhunderte gewonnen wurden und geben eine durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für die Ereignisse an. Stimmt die neue Theorie, würde ein starkes Erdbeben das Risiko für Erschütterungen in der geologischen Nachbarschaft für die folgenden Jahre erhöhen.

Ferngezündete Erdbeben. Die roten "Bälle" vor der amerikanischen Küste markieren starke Erdbeben, die binnen 24 Stunden nach dem Hauptbeben vom 11. April 2011 im Indischen Ozean (schwarzer Ball) auftraten. Normalerweise gibt es weltweit alle drei Tage ein Beben mit einer Magnitude von mind. 6. Hier waren es vier an einem Tag - ein klarer Hinweis, dass ein Zusammenhang besteht. Das Muster der "beach b alls" verweist auf die räumliche Orientierung der Erdbebenfläche und somit auf den Bebentyp.
Ferngezündete Erdbeben. Die roten "Bälle" vor der amerikanischen Küste markieren starke Erdbeben, die binnen 24 Stunden nach dem Hauptbeben vom 11. April 2011 im Indischen Ozean (schwarzer Ball) auftraten. Normalerweise gibt es weltweit alle drei Tage ein Beben mit einer Magnitude von mind. 6. Hier waren es vier an einem Tag - ein klarer Hinweis, dass ein Zusammenhang besteht. Das Muster der "beach b alls" verweist auf die räumliche Orientierung der Erdbebenfläche und somit auf den Bebentyp.

© Fred Pollitz

Der Ernstfall kann aber auch schon viel früher eintreten. Jedes Erdbeben strahlt seismische Wellen ab, die teilweise mehrfach um die Erde laufen, ehe sie bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt sind. Diese Wellen können selbst in entfernten Gebieten Beben auslösen. „Sie wirken wie der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, sagt Kind. Offenbar wirkten die Wellen des April-Bebens über zehntausende Kilometer, wie Fred Pollitz vom Geologischen Dienst der USA und Kollegen ebenfalls in „Nature“ berichten. In den folgenden Tagen registrierten sie weltweit fünfmal mehr Beben ab einer Magnitude von 5,5 als im langjährigen Durchschnitt zu erwarten waren. Allerdings geben die Forscher zu, dass es viele Einflüsse auf die seismische Aktivität gebe und der Zusammenhang noch weiter erforscht werden müsse.

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