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Geothermale Energie ist Islands wichtigste Energiequelle. Geothermische Bohrungen gibt es an verschiedenen Orten – wie oben im Bild in der Nähe des Vulkans Krafla. Von den neuen, besonders tiefen Bohrungen erhoffen sich die Wissenschaftler einen höheren Energieertrag.

© imago

Geothermie-Projekt auf Island: Das heißeste Bohrloch der Welt

Auf der isländischen Reykjanes-Halbinsel hoffen Ingenieure, mit einem besonderen Experiment vielfach mehr Erdwärme zu gewinnen. Die Hoffnungen sind gewaltig.

Eine Fontäne aus heißem Dampf schießt Dutzende Meter hoch in den Himmel. Rundum kocht der gelb gefärbte Schlamm und es stinkt bestialisch nach Schwefel. Nicht weit von der Szenerie entfernt gelang nun der weltweit tiefste Vorstoß in das Gestein eines aktiven Vulkangebiets. Vergangene Woche meldete das Iceland Deep Drilling Project (IDDP), eine Tiefe von 4659 Metern erreicht zu haben – am Grund des Bohrlochs herrschen 427 Grad Celsius und ein Druck von 340 Bar.

An dem wagemutigen Experiment beteiligten sich neben isländischen Energieversorgern auch Ölfirmen sowie Forscher aus rund zehn Ländern. Ihr Bohrloch ist nun fast doppelt so tief wie jedes andere in Island. Aus dem geförderten Dampf wollen sie, wie auf Island lange erprobt, Heizwärme und Strom gewinnen.

Doch in dieser Tiefe steigt der Ertrag enorm an, weil der Wasserdampf im Gestein oberhalb von 374 Grad Celsius und einem Druck von 221 Bar überkritisch wird. In diesem Zustand verhält sich Wasser zwar ähnlich wie Dampf, ist aber ungleich energiereicher. Diese Bohrung könne 50 Megawatt elektrischer Leistung fördern statt der hier typischen drei Megawatt, sagt Wilfred Elders von der University of California in Riverside, der die beteiligten Forscher in Island vertritt.

Forschen auf unbekanntem Terrain

Für die Bohrbranche sind Temperaturen weit oberhalb von 300 Grad Celsius unbekanntes Terrain, denn diese Hitze ist technisch anspruchsvoll. Selbst eine massive Bohrkrone aus Stahllegierungen kann nur dank dem Kühlwasser standhalten, mit dem das Bohrloch geflutet ist – und beim letzten derartigen Versuch auf Island half nicht einmal das.

Im Sommer 2009 scheiterte der Vorgänger der IDDP-Bohrung nahe dem isländischen Spaltenvulkan Krafla spektakulär, als der Bohrmeißel in gerade zwei Kilometern Tiefe stecken blieb. Als ihn die Bohrmannschaft samt dem kilometerlangen Gestänge mühevoll ausgebaut hatte, entdeckten Arbeiter an der Bohrkrone Tröpfchen vulkanischen Glases. Es war gerade erkaltete Magma. Die Ingenieure waren zu kühn gewesen und hatten direkt in Magma gebohrt, das mit rund 1000 Grad Celsius viel zu heiß für jedes Bohrgerät ist und zähflüssiger als Teer. „Die Bohrkrone dreht sich dann nicht mehr und man bleibt einfach stecken“, sagt Wilfred Elders.

Forscher stellten extreme Bedingungen im Labor nach

Es dauerte Jahre, bis die Forscher ihre Geldgeber von einem neuen, Millionen Euro teuren Versuch überzeugt und dazu alle damaligen Probleme analysiert hatten. Am Vulkan Krafla waren sie von dem ungewöhnlich flach im Gestein steckenden Magma überrascht worden. „Unsere allgemeine Vorstellung einer Magmakammer war wohl zu idealisiert“, sagt David Bruhn. In Folge verbesserte er mit seinen Kollegen vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam die geophysikalischen Abbildungsverfahren der Tiefe. „Die Methoden wurden besonders für den Bereich Erdöl und Erdgas entwickelt, aber natürlich nicht für Vulkangebiete“, sagt Bruhn.

Um etwa die vielen schwachen Erdbebenwellen besser interpretieren zu können, die das Gestein mit Magma oder überkritischem Wasser durchlaufen, stellten die Forscher diese extremen Bedingungen in ihrem Hochdrucklabor nach.

Im August 2016 begann schließlich auf der isländischen Reykjanes-Halbinsel der neue Bohrversuch. Mit fast 50 seismischen Messstationen untersuchten Geophysiker das Gestein vorab, um den Kontakt mit Magma dieses Mal zu vermeiden. Und es gelang, wenn auch längst nicht alles wie geplant funktionierte. Zwischenzeitlich war ein Teil des Kühlwassers seitlich ins Gestein abgeflossen. Auch mit spürbaren Erdbeben hatten die Forscher gerechnet. Sie bohrten aber immerhin nicht mitten in einer Großstadt, sagte IDDP-Projektleiter Gudmundur Ómar Fridleifsson. Der nächste größere Fischerort ist zwölf Kilometer von der IDDP entfernt. Dazu gibt es auf Island ohnehin mehrmals im Jahr derartige Erdbeben.

Erdwärme liefert kaum mehr als zwölf Atomkraftwerke

Bis Ende 2018 wollen Ingenieure und Geologen nun erproben, wie gut sich der außergewöhnlich heiße Dampf beherrschen lässt, bevor er schließlich in ein nahes Erdwärmekraftwerk geleitet wird. Denn die Forscher sorgen sich, dass sie ihr kilometertiefes Loch dauerhaft intakt halten können. Enorme Temperaturunterschiede und Druck sowie gelöste Stoffe und Partikel aus der Tiefe greifen Rohre und Dichtungen an. Wie in einem ständig angeschalteten Wasserkocher dürfte es auch Ablagerungen geben, die die Rohre verstopfen. Im schlimmsten Fall könnten sie brechen und damit eine dauerhafte Energiegewinnung aus überkritischem Wasserdampf verhindern.

Die Hoffnungen in den neuen Vorstoß sind derweil gewaltig. Denn bisher liefert die Erdwärme weltweit kaum mehr als die Leistung von zwölf Atomkraftwerken. Mit überkritischem Wasserdampf ließe sich das vervielfachen. Auch in Japan und Neuseeland gibt es Pläne, Gestein mit überkritischem Wasserdampf nahe Vulkanen anzubohren. Der Geologe Andri Stefansson von der Universität Island hält aber auch ein anderes Szenario für möglich. Könnten Bohrlöcher, die in die Wurzelzone der Erdwärme vordringen, nicht das vulkanische Gestein viel schneller erkalten lassen und so die kontinuierlich nach oben strömende Erdwärme zu schnell ausbeuten? „Es ist eines der langfristigen Ziele des Iceland Deep Drilling Project, diese Frage zu beantworten“, sagt Andri Stefansson. „Unsere heutige Antwort auf die Frage lautet: Wir wissen es nicht.“

Karl Urban

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