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Röhrchen mit Duftmixtur

© Zach Veilleux / Rockefeller University

Gerüche: Die Nase unterscheidet Millionen Düfte

Der Mensch ist ein Augentier, heißt es. Doch eine neue Studie zeigt: Wir sollten den Geruchssinn nicht unterschätzen.

Plötzlich ist alles wieder da. Die Gartenlaube samt Wendeltreppe, endlos wirkende Sommer, die Cousins von schräg gegenüber. Doch wieso gerade jetzt? Vermutlich, weil ein Lufthauch eine Kombination flüchtiger Substanzen in die Nase getragen hat, deren Muster das Riechhirn sofort erkannt und eine Verbindung hergestellt hat: wie damals, im Garten. Es ist eine Zeitreise in Gedanken.

Schon Marcel Proust hat sie beschrieben. Ihn katapultierte der Duft von Lindenblütentee und frisch gebackenen Madeleines zurück in die Kindheit. Wie elementar das Riechen ist, bemerken zum Beispiel Parkinsonpatienten, denen dieser Sinn abhandenkommt. „Sie riechen auch ihr Zuhause nicht mehr, teilweise können sie sich nicht mehr richtig entspannen“, sagt Hans Hatt von der Ruhr-Universität Bochum.

Zehntausend Gerüche könne der Mensch unterscheiden, hieß es in einer Studie aus dem Jahr 1927. Niemand hat sich je die Mühe gemacht, diese Zahl zu überprüfen. Während die Ohren etwa 340 000 Töne wahrnehmen können und wir über die Aktivierung dreier verschiedener Lichtrezeptoren in den Augen bis zu 7,5 Millionen Farben zusammensetzen, sollte ausgerechnet die Nase und damit der entwicklungsgeschichtlich älteste Sinn schlechter abschneiden.

Dabei tragen Abermillionen Riechzellen in der Nasenschleimhaut jeweils einen von schätzungsweise 350 Rezeptoren für ein bestimmtes Duftmolekül auf ihrer Oberfläche. Dockt es an, funkt die Zelle direkt an das Riechhirn. Dort wird aus den Signalen aller Zellen ein komplexes Muster zusammengesetzt, das wir sofort emotional bewerten und mit Erinnerungen verknüpfen. Eine Kombination aus 275 Duftbestandteilen lässt uns deshalb nicht ratlos zurück. Wir erkennen sie als Rosenduft.

Eine Billion Düfte ist die Untergrenze - vermutlich sind es viel mehr

„Es ergab keinen Sinn, dass Menschen angeblich weniger Gerüche als Farben wahrnehmen können“, sagt Leslie Vosshall von der Rockefeller-Universität in New York. Gemeinsam mit ihren Kollegen ersann sie ein Experiment. Das Team um Andreas Keller benutzte 128 verschiedene Stoffe, die einzeln zum Beispiel nach Gras, Anis, Zitrusfrüchten oder Chemikalien rochen, um daraus zufällige Mixturen aus zehn, 20 oder 30 verschiedenen Düften zu kreieren. Nicht alle glichen einem Parfum, die meisten waren eher unangenehm.

Ihren 26 Probanden hielten die Forscher in 264 Testläufen jeweils drei Röhrchen unter die Nase: zwei mit dem gleichen Geruch und eines, dessen Aroma sich ein wenig von den beiden anderen unterschied. Aus den richtigen Antworten errechneten sie, dass der Mensch mindestens eine Billion verschiedener Düfte unterscheiden kann. „Das ist die Untergrenze“, sagt Vosshall. Schließlich seien die Kombinationsmöglichkeiten in der Natur beinahe unendlich, schreibt das Team im Fachblatt „Science“.

„Die Zahl überrascht mich überhaupt nicht“, sagt auch Hatt. Vermutlich sei die Zahl wahrnehmbarer Düfte sehr viel höher. „Sie können die 350 Geruchsrezeptoren mit 350 Buchstaben vergleichen. Das Riechhirn kann sie zu beliebig vielen langen und kurzen Wörtern zusammensetzen.“ Unterscheiden sei aber längst nicht dasselbe wie Wiedererkennen: Mit viel Übung können Weinkenner oder Parfümeure tausende Düfte richtig zuordnen. Der Laie muss sich mit einigen hundert begnügen.

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