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Beim "Tag von Potsdam" am 21. März 1933 verbeugt sich Reichskanzler Adolf Hitler vor Reichspräsident Paul von Hindenburg.

© imago/Leemage

Geschichte und Gegenwart: Konservative Revolutionäre für Hitler

Gegen die Weimarer Demokratie: Wie christlich–nationale Protagonisten den Boden für den NS-Staat bereiteten, beschreibt unser Gastautor.

Braucht Deutschland eine neue „konservative Revolution der Bürger“, wie nicht nur CSU-Politiker Alexander Dobrindt fordert? Bekanntlich hat es schon einmal eine „Konservative Revolution“ hierzulande gegeben. Sie trug kräftig zum Ende der ersten deutschen Demokratie von Weimar bei. Geschichte wiederholt sich nicht. Es scheint aber angeraten, an Protagonisten der Konservativen Revolution vor 1933 zu erinnern und sich ihrer Ideen und politischen Praxis zu vergewissern.

Der protestantische Publizist Wilhelm Stapel entwarf in seiner Schrift „Der Christliche Staatsmann“ (1932) eine Vision des erwarteten neuen Führers der Deutschen: „Der wahre Staatsmann vereinigt in sich Väterlichkeit, kriegerischen Geist und Charisma. Väterlich waltet er über dem seiner Hut anvertrauten Volke. Tapfer wehrt er alle Angriffe auf das Lebensrecht seines Volkes ab und, wenn sein Volk sich mehrt und wächst, schafft er ihm, indem er die kriegerischen Kräfte des Volkes sammelt, Raum zu leben. Gott aber segnet ihn mit Glück und Ruhm, sodass das Volk verehrungsvoll und vertrauend zu ihm aufblickt. So wägt der Staatsmann Krieg und Frieden in seiner Hand und hält Zwiesprache mit Gott. (...) Seine Siege und Niederlagen sind nicht menschliche Zufälle, sondern göttliche Schickungen. So ist der wahre Staatsmann Herrscher, Krieger und Priester zugleich.“

Mit einer Widmung an Hitler

Stapel konkretisierte seine Vision eines kommenden Reiches als europäisches „Imperium Teutonicum“: Frankreich mit seiner veralteten, toten Idee der Menschenrechte von 1789 habe längst den Anspruch auf europäische Führung verloren und werde durch sein Kolonialreich von unten her durch die „Masse brauner und schwarzer Völkerschaften“ „verniggert“. Das Nachbarland sei deshalb unbrauchbar für die Aufgabe, die europäischen Nationen zu führen.

Träger des neuen Imperiums könne daher nur die deutsche Nation sein. „Sind wir die Vormacht“, meinte Stapel, „und ist der Deutsche, in welchem Land und Volk Europas auch immer, als der Erste anerkannt, so wird endlich Ordnung kommen in diesem zerrissenen Erdteil. (...) Wir werden den andern Völkern ihre Grenzen nicht antasten, denn warum sollte das herrschende Volk eifersüchtig sein? Wir werden die Wirtschaft der andern Völker fördern, denn ihr Wohlergehen ist unsere Stärke. Eines aber fordern wir: das Imperium. Wo uns das Imperium nicht zugestanden wird, muss es errungen werden. Denn wir sind nicht andern ‚gleich’, sondern wir sind ‚Deutsche’.“ Das erste Exemplar seines Christlichen Staatsmannes sandte Stapel 1932 mit der Widmung „Dem Führer der Deutschen“ an Hitler.

Eine völkische Reichskirche ohne Christen jüdischer Herkunft

Der Kirchenhistoriker Klaus Scholder zählte Stapel zu den einflussreichsten Protagonisten einer völkischen „politischen Theologie“ vor 1933. Seit 1919 war er Herausgeber der Zeitschrift „Deutsches Volkstum. Monatsschrift für das deutsche Geistesleben“. Hier publizierten national-konservative und völkische Autoren wie die Theologen Paul Althaus und Emanuel Hirsch, Juristen wie (der Katholik) Carl Schmitt, Ernst Forsthoff und Ernst Rudolf Huber, Schriftsteller wie August Winnig, Erwin Guido Kolbenheyer und Hans Grimm. 1933 wirkte Stapel im Umkreis der Deutschen Christen (DC) und unterstützte deren Zielsetzung, die alte Kirche in eine völkische Reichskirche unter Ausschluss der Christen jüdischer Herkunft umzuwandeln. Kirchenpolitisch kooperierte er mit dem Nazi-Reichsbischof Ludwig Müller sowie mit dem 1935 von Hitler installierten Reichskirchenminister Hanns Kerrl.

Freundschaftlich verbunden war Stapel mit dem Göttinger Theologen Emanuel Hirsch, einem Schüler des Berliner Kirchenhistorikers Karl Holl. Hirsch entwickelte sich im Kontext der „Luther-Renaissance“ zum „intellektuell brillantesten Vordenker einer genuin völkischen und politischen Theologie“ (Heinrich Assel). Wie viele Theologen hatte er zunächst der DNVP angehört, orientierte sich aber seit 1930 auf die dynamischere Hitlerbewegung um.

Berlins Domprediger für die konservative Revolution

Anlässlich der Reichspräsidentenwahlen vom März/April 1932 initiierte er einen Wahlaufruf Göttinger Professoren für Hitler. Angesichts der schwierigen Lage, so heißt es, bleibe nichts anderes übrig, als alle Bedenken aufzuopfern und jenen Mann zu wählen, der sich als alleiniger Repräsentant deutschen Willens zum Widerstand anbiete. „Volk“, „Führer“ und „Bewegung“ waren Fixpunkte seiner politischen Theologie. „Das Volk“, so schrieb er, sei – im Gegensatz zu allem demokratischen Kollektivbelieben – der verborgene und wahre „Suverän“, wie er das Wort bewusst eindeutschte. In der NS-„Führer-Bewegung“ fände dieser verborgene „Suverän“ seinen charismatischen Repräsentanten. Im brieflichen Austausch mit Stapel bekräftigte der Göttinger Hochschullehrer bis tief in die Kriegszeit hinein: Hitler und die NSDAP seien Deutschland. Wenn sie nicht mehr bevollmächtigte Vertreter des verborgenen „Suveräns“ seien, habe dieser kein Organ mehr, Deutschlands Geschichte und Volkstum seien am Ende.

Im Sinne einer konservativen Revolution engagierte sich auch Bruno Doehring. Er wirkte als prominenter Domprediger in Berlin und politischer Publizist gegen die Weimarer Republik, seit 1928 an der Seite des rechtsextremen DNVP-Parteiführers Alfred Hugenberg. Was ihm vorschwebte, war die Vision eines „christlichen Staates“, einer evangelisch-lutherischen Erziehungsdiktatur, die berufen sei, mit staatlichen Zwangsmitteln die Säkularisierung aufzuhalten.

Eine von ihm gegründete „Deutsche Reformationspartei“ blieb Episode. 1932, als die NSDAP unter den Rechtsparteien dem politischen Rivalen DNVP klar den Rang abgelaufen hatte, publizierte Doehring Vorbehalte gegenüber Hitler: Er bekannte sich als Anhänger der „völkischen Idee“, wies jedoch Hitlers Positionen als zu materialistisch und unchristlich zurück. Trotz häufiger Berufung auf „Gott“, „Gottes Gnade“ usw. fehle es ihm an Verständnis für das eigentliche Wesen von Religion. Einen Großteil seines Erfolges verdanke er der mit „nahezu dämonischer Schläue“ aufgezogenen Organisation und Propaganda. Ein „Geisteskampf von allerentschiedenster Bedeutung“, so der Theologe 1932 vollmundig, sei gegen Hitler zu führen, um den guten Kern seiner Bewegung wieder von ihm zu lösen.

Den Deutschen klarmachen, was „Volk“ und „Vaterland“ bedeuten

Von dieser Ankündigung war freilich nach Hitlers Machtantritt wenig zu spüren. Die Kanzelreden des hochpolitischen Dompredigers waren seither auffallend entpolitisiert. In seiner Dompredigt vom 7. Oktober 1934 über Rasseglaube oder Christusglaube wies er den Vormarsch der neuheidnischen „Deutschen Glaubensbewegung“ zurück. Eine Distanzierung vom NS-Regime oder den Deutschen Christen war das nicht. Vielmehr propagierte Doehring weiterhin, was er zu Weimarer Zeiten gepredigt hatte. Völkisch und christlich müsse die Fundierung des neuen Staates sein: „Zum deutschen Blut die Christusseele, das ist das Rezept, das allein uns Leben zu geben vermag.“ Der vormals scharf politisierende Theologe wandelte sich zum kirchenpolitisch neutralen Kanzelredner zwischen den Fronten des Kirchenkampfes.

Stapel, Hirsch, Doehring und Gesinnungsfreunden waren Demokratie, Trennung von Staat und Kirche, die „Gottlosenbewegungen“ der politischen Linken, volle Gleichberechtigung der Juden, das Eindringen westlicher Massen- und Vergnügungskulturen zuwider: fremdländisch, undeutsch, unchristlich.

Schon 1930 fanden sie sich in der Christlich-deutschen Bewegung zusammen. Das generelle Votum gegen Weimar war hier beschlossene Sache, aber die Führerfrage war noch nicht entschieden. Teile der Christlich-deutschen Bewegung schwenkten Mitte 1932 zur neu gegründeten „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ über. Die Dynamik der DC-Bewegung resultierte aus ihrer Nähe zur NSDAP, getragen von einer jüngeren Generation von Theologen, die sich aus der Kriegsgeneration der 1890er Jahrgänge rekrutierte. Exemplarisch für viele war der Berliner Pfarrer Siegfried Nobiling, der sich 1929 der NSDAP anschloss. Er schwärmte von einem mächtigen „Wir-Erlebnis“. Es sei ja gerade die Sendung des Nationalsozialismus, den Deutschen wieder klarzumachen, was „Volk“ und „Vaterland“ bedeuteten. Die Belange der Rasse müssten neue Geltung bekommen, denn das entspräche dem Sinn der Schöpfungsordnung. Im Judentum erkannte der Pfarrer die „geistleibliche Vergiftung unserer Rasse“.

Die letzten Vorbehalte gegen Hitler schmolzen dahin

In der warmen Frühlingssonne des März 1933 schmolzen letzte Vorbehalte bei den konservativen Revolutionären dahin. Während des festlich begangenen „Tags von Potsdam“ wurde in der Potsdamer Garnisonkirche die „Vermählung“ zwischen den alten preußisch-deutschen Eliten, etlichen Gesinnungsfreunden der Konservativen Revolution und der Hitlerbewegung vollzogen.

Otto Dibelius, Generalsuperintendent der Kurmark und wesentlich mitbeteiligt an der Gestaltung dieses Tages, schilderte seine tiefe Rührung als Augenzeuge des Staatsakts in der Garnisonkirche. Würdig, ernst und eindruckvoll seien Hitlers Worte gewesen: „Als das letzte Wort gesprochen ist, tritt Hitler von dem Pult zurück. Der Reichspräsident tut einen Schritt nach vorn und streckt ihm die Hand entgegen. Hitler ergreift sie und beugt sich tief, wie zum Kuss, über die Hand des greisen Feldmarschalls. Es ist eine Huldigung in Dank und Liebe, die jeden ergriffen hat, der sie mit ansah.“

Nach allem, was die Deutschen im vergangenen Jahrhundert erfahren haben, fällt eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage nicht schwer: Wir brauchen keine zweite konservative Revolution.

Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Über die Garnisonkirche als politische Bühne im 20. Jahrhundert spricht er am 16. Oktober um 19.30 Uhr in der Schmargendorfer Kreuzkirchengemeinde, Hohenzollerndamm 130 A. Es moderiert Peter Brandt.

Manfred Gailus

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