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Erste Assistentin. Die Physikerin Lise Meitner ist als erste Frau im Personalverzeichnis der Berliner Universität aufgeführt.

© dpa

Geschlechterforschung: Pionierinnen an der Uni

"Verworrenheit des Denkens": Ein neues Buch zeigt, wie mühsam Frauen sich den Zugang zur Hochschule erkämpfen mussten.

„Unsere Zeit ist ernst. Das deutsche Volk hat anderes zu thun, als gewagte Versuche mit Frauenstudium anzustellen. Sorgen wir vor allem, daß unsere Männer Männer bleiben! Es war stets ein Zeichen des Verfalls, wenn die Männlichkeit den Männern abhanden kam und ihre Zuflucht zu Frauen nahm!“ Das sagte Otto von Gierkes, seinerzeit Professor für Rechtsgeschichte in Berlin, im Jahr 1897. Wohl ein Großteil der Männer teilte seine Meinung, und so lässt sich erahnen, welchen Mut es gekostet haben muss, als Frau für den Zugang zur Universität zu streiten.

1500 laufende Meter Akten des Uniarchivs – Briefe, Sitzungsprotokolle, biografische Urkunden, Lebensläufe – legen Zeugnis ab von diesem Streit. In mehrjähriger Arbeit hat das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der Humboldt-Universität die Akten von 1895 bis 1968 gesichtet, ausgewertet, kommentiert. Der nun erschienene Band „Störgröße F. Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin – 1892 bis 1945“ versammelt ausgewählte Dokumente und leistet damit mehreres: Die über 500 Seiten sind Aufarbeitung deutscher Wissenschaftsgeschichte, Kompendium, Nachschlagewerk für Forschung und Lehre. Gabriele Jähnert, Geschäftsführerin des ZtG, hofft, Geschichtsdarstellung könne mithilfe der Edition nachträglich „gegendert“ werden. Man wolle ein Bewusstsein schaffen für die Mechanismen, die Frauen aus der Universität und den Ordnungen des Wissens ausschlossen, wolle einer Frauengeneration eine Stimme geben, sie ins Recht setzen.

1894 werden in Berlin die ersten Gasthörerinnen zugelassen – zunächst 96, im Jahre 1904 schon 672 Frauen. Vom Erwerb qualifizierter Studiennachweise und Prüfungen ausgeschlossen, gibt es nur wenige Ausnahmepromovendinnen – wie Elsa Neumann, die 1899 ihre Dissertation im Fach Physik einreicht. Einige wenige wie Lise Meitner oder Rahel Hirsch haben Assistentinnenstellen inne, Meitner ist die erste, die als Assistentin im Personalverzeichnis der Berliner Universität auftaucht. Meitner ist nach der Biologin Rhoda Erdmann auch die zweite von vier Frauen, die es vor 1933 auf eine Professur schaffen. Die Frauen bekamen nur außerplanmäßige Professuren, die nicht verbeamtet und schlechter bezahlt waren.

Die Weimarer Republik verzeichnet steigende Studierendenzahlen, was auch für die Frauen bessere Berufschancen bedeutet. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten jedoch hat Auswirkungen auf männliche wie weibliche Wissenschaftler. Sofern sie nach NS-Definition „nichtarisch“ oder politisch unliebsam aktiv sind, werden ihnen Posten und Studienplätze entzogen. Das ideologische Leitbild der Nazis sieht für die Frau ein domestiziertes Leben vor. Sie soll als „Hüterin der Rasse“ ihrer „natürlicher Bestimmung“ folgen, statt wissenschaftlich tätig zu sein. Erneut wird Frauen der Zugang zur Uni erschwert, indem sie nur 10 Prozent der Studienplätze besetzen dürfen. Erst als sich im Verlauf des Zweiten Weltkrieges ein männlicher Arbeitskräftemangel anbahnt, bieten sich für Frauen Möglichkeiten, akademische Posten zu besetzen: Als ab 1943 die Reserven zum „totalen Krieg“ aktiviert und alle kriegstauglichen Männer eingezogen werden, rutscht der weibliche Nachwuchs in die entsprechenden Stellen nach.

Was sich retrospektiv als Erfolgsgeschichte liest, verdankt sich vielen Briefen aus weiblicher Feder an die Professoren, Rektoren, Minister. Beispiele für den Altherrenchauvinismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, dem diese Frauen zu trotzen beschlossen hatten, finden sich in den Akten zuhauf. So wurde 1919 der Habilitationsantrag von Mathilde Vaerting im Fach Philosophie abgelehnt mit der Begründung, die Arbeit leide unter „starker Verworrenheit des Denkens“. Der Gutachter schrieb: „Der sexuelle Fanatismus der Bewerberin hat fast etwas Belustigendes. Einfaches Denken und breitsperrige selbstgefällige Darstellung feiern Orgien. Natürlich bin ich unbedingt für Ablehnung.“ Dass Vaerting den Ausschluss der Frauen aus der Geschlechterordnung untersucht und auf den Zusammenhang von männlicher Hegemonie in der Gesellschaft und wissenschaftlicher Forschung von Männern hingewiesen hatte, mag dazu beigetragen haben, dass Vaerting als Frau – qua definitionem – für wissenschaftliches Arbeiten als ungeeignet galt. Erst nachdem die Philosophin Edith Stein mehrfach dafür eingetreten war, dass „die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht kein Hindernis“ sein dürfe, wurden Habilitationsverfahren offiziell für beide Geschlechter geöffnet.

Die Sorgfalt der Dokumentauswahl und -wiedergabe machen die Aktenedition zu einem wertvollen Beitrag für Geschlechterforschung und deutsche Mentalitätsgeschichte gleichermaßen. Hoffentlich findet sie ihren Weg auch in die Berufungskommissionen: Noch immer ist nicht einmal jede fünfte Professur in Deutschland weiblich besetzt.

Störgröße „F“. Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin – 1892 bis 1945. Berlin: trafo 2010. 552 S., 34,80 €.

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