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Gesetzeslage bei Inzest: Fragwürdige Verurteilungen

„Blutschande“ hieß das Delikt einmal, heute nennt es das Strafgesetzbuch „Beischlaf zwischen Verwandten“. Bis zu drei Jahre Haft drohen, wenn jemand mit einem „leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht“.

„Blutschande“ hieß das Delikt einmal, heute nennt es das Strafgesetzbuch „Beischlaf zwischen Verwandten“. Bis zu drei Jahre Haft drohen, wenn jemand mit einem „leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht“. Erfasst sind nur Verwandte gerader Line, also Eltern und Großeltern. Der Geschlechtsverkehr zwischen leiblichen Geschwistern ist ebenfalls verboten. Sex unter Cousins und Cousinen oder miteinander verschwägerten Partnern ist erlaubt.

Üblicherweise werden im Strafrecht bestimmte Rechtsgüter geschützt, das Leben, die Gesundheit, der öffentliche Friede, die persönliche Ehre. Beim Inzestverbot ist dieses Rechtsgut fraglich, jedenfalls dann, wenn die Betreffenden volljährig sind und sich aus freien Stücken aufeinander einlassen. Herrschende Moralvorstellungen sind nichts, das strafrechtlich zu sichern wäre. Auch würde das (sexuelle) Selbstbestimmungsrecht der „Täter“ den Moralvorwurf überwiegen. Die Gefahren von Schäden im Erbgut sollten ebenfalls kein Argument sein. Jedem Menschen steht es frei, mit einem Partner seiner Wahl Nachkommen zu zeugen – auch wenn der Nachwuchs mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vollkommen gesund zur Welt kommt. Die Ablehnung jeglicher eugenischer Selektion gehört zu den striktesten Lehren aus der Rechtsperversion der Nationalsozialisten.

Verurteilungen wegen des Delikts sind selten. In Einzelfällen sind sie fragwürdig, etwa bei der „Geschwisterliebe“ Erwachsener. Das Bundesverfassungsgericht billigte 2008 aber den umstrittenen Paragraf 173, weil er dem Schutz familiärer Strukturen diene. Auch das Argument mit den Erbgutschäden tauchte auf. Der mittlerweile ausgeschiedene Richter Winfried Hassemer schrieb ein Sondervotum, in dem er die Widersprüche darlegte und das in der juristischen Wissenschaft viel Zuspruch fand.

Dennoch bestätigte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2012 den deutschen Inzestparagrafen. Da es letztlich um moralische Maßstäbe ginge, die unter den Mitgliedstaaten des Europarats nicht einheitlich gehandhabt würden, hätten die nationalen Parlamente bei Verboten einen weiten Entscheidungsspielraum.

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