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Schlaflosigkeit

© ddp

Gesundheit: Ungerechter Schlaf

Wie viel Schlaf ist genug? Forscher entdecken eine Genvariante, die manche Menschen zu Frühaufstehern macht.

Alle Menschen und alle Tiere, bei denen man das bisher untersucht hat, brauchen Schlaf. Dass wir weniger gut denken können, langsamer reagieren, schlechtere Stimmung haben und leichter Krankheiten entwickeln, wenn wir zu wenig davon abbekommen, haben in den letzten Jahren zahlreiche Studien gezeigt. Aber wie viel Schlaf ist genug? Erwachsene Deutsche schlafen im Schnitt sieben Stunden und 14 Minuten. Doch die Unterschiede sind groß: Lässt man Menschen ohne äußere Einschränkungen einschlafen und aufwachen, wann sie wollen, dann pendeln sich einige bei zwölf Stunden Schlaf ein, andere bei nur vier Stunden.

Jetzt ist ein internationales Forscherteam auf eine genetische Variante gestoßen, die – zumindest bei einigen dieser viel beneideten Kurzschläfer – der Grund dafür sein könnte. Die Studie der Gruppe um den Neurologen Ying He aus San Francisco, die heute in der Fachzeitschrift „Science“ (Band 325, Seite 866) veröffentlicht wird, könnte ein Meilenstein in der Schlafforschung sein.

Eigentlich waren die Forscher auf der Suche nach genetischen Konstellationen, die Menschen zwar nicht kürzer aber deutlich früher schlafen lassen. Eine solche genetische Besonderheit in einem Gen namens PER2 war schon Ende der 90er Jahre gefunden worden. Bei zwei Mitgliedern einer Familie von solchen „Lerchen“ suchten die kalifornischen Wissenschaftler nun nach weiteren Kandidaten-Genen und stießen dabei auf eine Veränderung in einem Eiweiß namens DEC2, das als „Übersetzer“ genetischer Informationen (Transkriptor) fungiert und von dem schon bekannt war, dass es mit der „Inneren Uhr“ zu tun hat. Frühaufsteher waren die Familienmitglieder alle, doch nur die Mutter und eine Tochter zeigten das geringfügig veränderte Protein mit dem wenig einprägsamen Namen hDEC2-P385R. Und ausgerechnet diese beiden Frauen wachten regelmäßig schon kurz nach vier Uhr in der Nacht auf und kamen im Schnitt mit etwas mehr als sechs Stunden Schlaf aus, während der Rest der Familie rund acht Stunden schlief und zu einer sozial verträglicheren Zeit erwachte.

Spannend ist nun, dass sich das gleiche Bild bei Mäusen zeigte, in deren Erbgut die Forscher die Veränderung des menschlichen Transkriptionsfaktors einschleusten: Sie waren pro Tag im Vergleich zu normalen Mäusen eineinhalb Stunden länger aktiv. Auch bei der Fruchtfliege Drosophila, bei der sich Wachzustand und Schlaf nicht ganz wie bei den Säugetieren voneinander abgrenzen lassen, schleusten sie die Mutation ein und konnten damit den „schlafähnlichen Zustand“ der Insekten verkürzen. Thomas Penzel, Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Schlafmedizin der Charité, findet es besonders beeindruckend, dass die genetische Variante bei Mensch und Tier vergleichbare Auswirkungen zeigte.

Um sicher zu sein, dass die beiden Kurzschläferinnen wirklich weniger Schlaf brauchen und nicht ihre kurzen Nächte mit Nickerchen tagsüber ausgleichen, dürfte man sich seiner Ansicht nach allerdings nicht allein auf die Angaben der Versuchspersonen verlassen, sondern müsste sie mit Aktimetern ausrüsten, kleinen Apparaten, die Alltags-Bewegungen messen. Immerhin zeigte die Ableitung von Hirnströmen der genveränderten Mäuse, dass die Zusammensetzung ihres verkürzten Schlafs sich nicht wesentlich von der ihrer schläfrigeren Artgenossen unterschied: Wer nur kurz schlummert, scheint deshalb nicht unbedingt tiefer zu schlafen. Neben dem Tiefschlaf, bei dem das Gehirn zur Ruhe kommt, der Körper sich regeneriert und Wachstumshormon ausgeschüttet wird, sind offensichtlich auch der REM (für: Rapid Eye Movement) und der leichte Schlaf unverzichtbar – auch für Kurzschläfer.

In einem Kommentar zur Studie bezeichnen der Molekularbiologe Hyun Hor und der Schlafforscher Mehdi Tafti aus Lausanne die Arbeit ihrer US-Kollegen als „Startpunkt für die Untersuchung von Timing und Organisation des Schlafs“. Besonders spannend ist, dass die Forscher das Kurzschlaf-Gen in jenem Bereich entdeckt zu haben glauben, der für die Innere Uhr und die zirkadianen (ungefähr einen Tag umfassenden) Rhythmen zuständig ist. Innere Uhr und Eigenarten des Schlafs waren bisher vornehmlich als unabhängig voneinander gesehen worden. „Die Studie zeigt nun, dass Tag-Nacht-Rhythmen, Schlafbedürfnis und Schlafdauer nicht getrennt betrachtet werden können, sondern auf molekularer Ebene zusammenhängen“, sagt Penzel. Der enge Zusammenhang beider Bereiche könnte zum Beispiel für den Jetlag nach einem Fernflug oder Schlafprobleme von Schichtarbeitern relevant sein.

Das ist heute wichtiger denn je. Denn die Menschen des 21. Jahrhunderts schlafen im Durchschnitt zwei Stunden weniger als vor hundert Jahren. Hinzu kommt, dass immer mehr Dienstleistungen rund um die Uhr angeboten werden. Darum müssen auch immer mehr Menschen arbeiten, wenn es draußen dunkel ist. Wie belastend das ist, hängt auch vom individuellen Chronotyp ab: „Eulen“, die problemlos die Nacht zum Tag machen können, tun sich mit der Nachtarbeit nachgewiesenermaßen leichter. Die meisten Menschen sind jedoch weder „Eule“ noch „Lerche“, sondern irgendetwas dazwischen. Christian Gravert, Leitender Arzt und Gesundheitsmanager bei der Deutschen Bahn, findet es wichtig, Schicht- und Nachtarbeiter hinsichtlich angemessener Erholungs- und Schlafbedingungen ganz individuell zu beraten.

Er verweist auf Erfahrungen seines Unternehmens, aber auch auf eine Studie der Schweizer Regierung, die zeigt, dass reine Nachtschichten besser verträglich sind als ständiger Schichtwechsel. Allerdings wählen Dauernachtarbeiter diese Arbeitsform meist aus persönlichen Gründen selbst aus – was Einfluss auf deren Gesundheit haben dürfte. Nachtschläfer sind deswegen aber nicht erfolgreicher als andere Menschen. Ebenso wenig wie Kurzschläfer, was der Charité-Forscher Penzel an folgendem Beispiel zeigt: „Napoleon hat zwar nur vier Stunden Schlaf gebraucht, Albert Einstein hingegen gönnte sich satte zwölf Stunden.“

Adelheid Müller-Lissner

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