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Durchblick und Weitblick. Es ist ein weiter Weg von einem Forschungsergebnis bis zu einer rettenden Therapie.

© imago/Science Photo Library

Gesundheitsforschung: Vom Labor zum Patienten

Weniger Bürokratie und ein funktionierender Flughafen. Experten erklären, wie die Gesundheitsforschung in Berlin vorankommen könnte.

Die Gesundheitsforschung in Berlin könnte besser sein und damit die Stadt weiter voranbringen. Dieser Gedanke ist dieser Tage häufiger in Diskussionen zu hören, die angestoßen wurden durch einen provokanten Meinungsbeitrag des Unternehmers Andreas Eckert im Tagesspiegel vom 15. April sowie einer Erwiderung durch Ernst Theodor Rietschel, Chef des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIG/Berlin Institute of Health, BIH). Bei dieser Kooperation der Charité mit dem Max-Delbrück-Centrum, die bis 2018 rund 300 Millionen Euro Bundes- und Landesgeld erhält, soll die „Translation“ vorangebracht werden: das Überführen von Ergebnissen der Grundlagenforschung in nutzbare Therapien für Patienten.

Staatssekretär Krach will "sichtbare Erfolge, so früh wie möglich"

„Ich teile nicht die Kritik von Herrn Eckert, wonach der Aufbau des BIG stockt“, sagt Steffen Krach, Staatssekretär für Wissenschaft in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Der BIG-Vorstandsvorsitzende Rietschel habe gute Arbeit geleistet, doch die Einrichtung benötige Zeit, um sich zu entwickeln. „Man darf nicht erwarten, dass nun in den nächsten Wochen schon die ersten Patente angemeldet werden.“ Ansonsten sieht Krach die Positionen von Rietschel und Eckert als gar nicht so gegensätzlich an. „Wir wollen Translation der Forschungsergebnisse, aber auch die Kooperation mit der Wirtschaft ankurbeln.“ Er freue sich auf „sichtbare Erfolge, so früh wie möglich“. Für Rietschel, der als Leiter des BIG in der Gründungsphase berufen worden ist, wird derzeit ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gesucht. Krach ist zuversichtlich, noch in diesem Jahr einen neuen Vorstandsvorsitzenden zu finden.

Aus der Sicht von Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin, hat der Kommentar Eckerts auf ein gravierendes Problem aufmerksam gemacht: Wie sollen die Ausbildung und die Arbeit in der Medizin organisiert werden? „Hier treffen zwei Systeme aufeinander, die Forscher und die Kliniker, die teilweise sehr unterschiedliche Ziele haben“, sagt Alt. Es sei in Deutschland nicht grundlegend geklärt, wie dieser Widerspruch aufgelöst werden kann. „Ich erhoffe mir vom BIG, dass dort entsprechende Modelle entwickelt werden.“ Eine Idee könnte sein, in Anlehnung an die Praxis in US-Kliniken, dass „clinical researcher“ einen Teil ihrer Zeit als Fachärzte auf Station sind, aber auch Zeit zum Forschen haben. „Das würde jedoch bedeuten, dass an den Uniklinika viel mehr Personal nötig wäre, das mehr Geld kostet – und das muss irgendwoher kommen.“

Wie aussagekräftig sind Pantentzahlen?

Die Zahl der Patentanmeldungen (gerechnet pro Wissenschaftler), von Eckert als zentrales Maß für die Qualität einer Forschungseinrichtung genannt, ist auch für Alt eine wichtige Kenngröße. Er sieht dabei jedoch die Technischen Universitäten und Fachhochschulen eher in der Pflicht als die FU, die ihren Schwerpunkt in der Grundlagenforschung hat.

Christian Thomsen, Präsident der TU Berlin, hält wenig davon, sich nur auf Patentzahlen zu fokussieren. „Viele Ideen lassen sich schlecht patentieren und führen doch zu erfolgreichen Ausgründungen, daher ist diese Zahl ebenso wichtig.“ Daher habe die TU für Gründungsinteressenten das Zentrum für Entrepreneurship geschaffen, das berät und hilft; es gibt auch einen entsprechenden Studiengang. Dieser könnte sogar erweitert werden, so groß sei die Nachfrage, sagt Thomsen. „Dafür fehlt uns aber das Geld, es müsste anderswo eingespart werden.“

"Firlefanz" nannte der Prof die Idee seines jungen Kollegen

Generell sollten Studierende mehr über Patentrecht und Ausgründungen erfahren, um das als eine Option für ihre berufliche Karriere zu erkennen, meint der TU-Präsident. Die in der Debatte aufgeworfene These, „arrivierte Laufbahnwissenschaftler versperren jungen Talenten den Weg“, stützt Thomsen nicht. „Die erfahrenen Forscher sind häufig Ideengeber und schaffen das Umfeld, damit daraus wirklich etwas wird.“

Ijad Madisch, Gründer des Forschernetzwerks Researchgate, sieht das anders. „Kriegen Sie den Firlefanz aus dem Kopf!“ So lautete die Antwort seines Professors in Hannover, als der angehende Arzt um eine halbe Stelle bat. Den Rest seiner Zeit wollte Madisch nutzen, um ein professionelles Netzwerk für Wissenschaftler aufzubauen. „Daraufhin habe ich gekündigt und bin in die USA gegangen, wo mich mein amerikanischer Prof unterstützt hat und ich halbtags im Labor arbeiten konnte“, sagt Madisch, der mit mittlerweile 140 Mitarbeitern in Berlin das Netzwerk ausbaut.

"Junge Forscher sollen selbst lernen, mit Geld umzugehen"

Auch wer in der Forschung bleibt, habe es als junger Wissenschaftler in Deutschland nicht leicht. Die Karriere sei nach dem Doktortitel nicht sicher, weil zu wenig Geld vorhanden sei, um erfahrenere Mitarbeiter zu halten, anstatt sie durch jüngere, günstigere Leute zu ersetzen, sagt Madisch. Er sieht es als problematisch an, dass Forschungsgeld fast immer an die Laborleiter vergeben wird. „Die verwalten es dann auch, was es den Jungen schwer macht, eigene Projekte selbstständig voranzutreiben und zu wachsen.“

In der Welt der Start-ups sei das anders. Dort müssten die jungen Gründer das Kapital suchen und es auch verwalten. „Dabei lernt man mit Geld umzugehen“, sagt Madisch. „Ich würde mir wünschen, dass sich die Wissenschaft das bei uns abschaut.“

"Oft fehlt potenziellen Gründern der Mut"

Der Weg von einer wissenschaftlichen Erkenntnis bis zu einem marktfähigen Produkt werde in Deutschland zu selten gewagt, sagt Wieland Wolf, Chef der ProBioGen AG. „In anderen Ländern ist das üblich, hier fehlt bei vielen die Entschlossenheit, eigene Entwicklungen zu kommerzialisieren – und es wird auch nicht belohnt.“ Er nennt, wie auch andere Berliner Biotech-Unternehmer, eine unflexible Verwaltung als Hemmnis. Hinzu komme Geldmangel, denn in seiner Branche würden neue Ansätze „sehr schnell sehr teuer“. Die Biotechnologie-Industrie-Organisation „Bio-Deutschland“, fordert daher Steuererleichterungen für Wagniskapitalgeber, um mehr Forschungsergebnisse auf den Markt und damit an den Patienten zu bringen. „Allerdings gibt es gerade hier in Berlin Initiativen, etwas zu bewegen und die Gesundheitsforschung voranzubringen, etwa durch das BIG“, sagt Wolf. „Wir stehen aber noch am Anfang eines langen Weges.“

Auch Sven Klussmann, wissenschaftlicher Leiter der Noxxon Pharma AG, sieht große Chancen für Berlin, in den Lebenswissenschaften erfolgreicher zu werden. „Wir haben das Potenzial, wieder eine der bedeutendsten Forschungslandschaften der Welt zu werden.“ Er zieht einen Vergleich zu Boston im US-Staat Massachusetts und dem Vorort Cambridge. In dieser Region haben sich im Umfeld renommierter Forschungsinstitute wie dem MIT zahlreiche Firmen angesiedelt. Mittlerweile ist ein „Biotop“ entstanden, in dem sich Forschung und Industrie gegenseitig unterstützen.

Kann es Berlin mit Boston aufnehmen?

„Berlin hat zumindest im Ansatz eine ähnlich gute Infrastruktur mit der Charité, den Max-Planck-Instituten und Bayer Pharma“, sagt Klussmann. Um auf dem Gebiet wirklich voranzukommen, müsste aber noch ein weiteres forschendes Pharmaunternehmen in die Stadt geholt werden. Dafür sollte die Berliner Politik mehr tun, sagt Klussmann. Zum Beispiel endlich den Flughafen fertigstellen und attraktive Flächen anbieten. „Dann könnte die Stadt eine ähnliche Entwicklung nehmen wie Boston. Ich glaube, Berlin hat das Zeug dazu.“

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