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Trübe Aussichten: Der Stechlin ist einer der klarsten Seen in der Umgebung von Berlin. Doch vom fast siebzig Meter tiefen Grund steigt Phosphat auf und regt das Algenwachstum an. Das trübt nicht nur die Sicht, sondern verändert auch die Artenvielfalt.

© kebox - Fotolia

Gewässerschutz: Es regt sich was im Stechlin

Aus dem Boden des Brandenburger Badesees bei Fürstenberg löst sich Phosphat ins Wasser. Vermehrtes Algenwachstum und Trübung droht.

„Alles still hier. Und doch (...), wenn es weit draußen in der Welt (...) zu rollen und zu grollen beginnt (...), dann regt sich’s auch hier.“ So beginnt Theodor Fontane seinen Roman „Stechlin“ – den See als Metapher nutzend für Auswirkungen, die weltweite Ereignisse selbst auf so abgeschiedene Gewässer nördlich von Berlin haben. Nun steigt heute zwar nicht der im Buch beschworene rote Hahn aus dem klaren Wasser des Stechlins auf, um das ferne Unheil „laut in die Lande hinein“ zu krähen. Stattdessen löst sich Phosphat aus dem Schlamm am Boden des fast 70 Meter tiefen Sees – ein Nährstoff, der das Wachstum von Algen ankurbelt und den See von Grund auf verändert könnte, sagen Forscher vom Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Und fragen sich, ähnlich wie Fontane: „Macht der Stechlin, klein und unbedeutend wie er ist, die große Weltbewegung mit“ – den Klimawandel?

Tiefe Wasser sind klar

Der Große Stechlin ist ein See nahe Fürstenberg, den die eiszeitlichen Gletscher auf ihrem Rückzug vor etwa 12 000 Jahren zurückließen. Mit 70 Metern außergewöhnlich tief, speichert er fast 100 Millionen Kubikmeter Wasser – das Volumen von etwa 38 Cheopspyramiden. Sichttiefen von bis zu elf Metern machen ihn nicht nur zum klarsten See im Norden Ostdeutschlands, sondern auch zu einem einzigartig nährstoffarmen (oligotrophen) See. „Der Stechlin ist so klar, weil er so tief ist“, sagt Hans-Peter Grossart, Limnologe am IGB und der Universität Potsdam. „Abgestorbene Algen aus dem Oberflächenwasser sinken in die Tiefe ab und sind nicht mehr verfügbar als Nährstoff für neues Algenwachstum, was das Wasser allmählich trüben würde.“

In klaren Seen wie dem Stechlin bekommen Algen auch noch in sechs Metern Tiefe genug Licht, um zu wachsen. Und wo Algen sind, wird Sauerstoff produziert. „Das hat zur Folge, dass im Stechlin in relativ großen Tiefen noch genug Sauerstoff vorhanden ist“, sagt Grossart. Das liegt auch daran, dass der Stechlin zweimal im Jahr komplett durchmischt wird – wenn im Frühling und Herbst sowohl die Oberfläche als auch das Tiefenwasser vier Grad kalt sind.

Dabei wird Sauerstoff in die Tiefe transportiert, sodass abgestorbene Algen auch in Bodennähe noch gut abgebaut werden und keine Fäulnisprozesse einsetzen: Der See kann sich selbst reinigen, auch weil er keine Zuflüsse hat und nur von Wald und nicht von landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben ist, von denen Dünger oder andere Nährstoffe in den See rinnen und das Algenwachstum anregen könnten. „Der Stechlin galt daher immer als nährstoffarmer, oligotropher See“, sagt Grossart. „Aber das ändert sich derzeit leider: Der Nährstoffgehalt steigt an.“ Aus dem Grund des Sees steigt Phosphat auf – ein essenzieller Nährstoff, vor allem für die Algen im See. „Ein Kilogramm Phosphat lässt etwa eine Tonne Algen wachsen“, sagt der IGB-Forscher.

Problem erkannt, Ursache unbekannt

„Wir kennen und verstehen das Phänomen, kennen aber leider die Ursache noch nicht“, sagt Peter Kasprzak, der den See schon seit 40 Jahren beobachtet. Wie Grossart arbeitet er im Seelabor in Neuglobsow, das mitten im See eine Forschungsstation betreibt. Gerüchte, nach denen die Phosphate aus Fäkalienresten einer vor langer Zeit geschlossenen Entenfarm am benachbarten Dagowsee stammen oder aus den Sickergruben der Seeanrainer über das Grundwasser in den Stechlin vordringen, können die Forscher nicht bestätigen. Ebensowenig kann das ehemalige Kernkraftwerk als Ursache herhalten. „Das zeigen unsere Messungen überhaupt nicht, und wir haben eine ganze Menge davon“, sagt Kasprzak. „Die einzige nennenswerte Quelle für die erhöhte Phosphatkonzentration und damit für höheres Algenwachstum und für größere Trübung ist der Schlamm des Sees selbst.“ Dort sei viel Phosphat gelagert, das sich seit etwa 1995 aus dem Sediment löst.

Aufgrund von Sauerstoffarmut im Tiefenwasser löst sich Phosphat aus dem Seeboden und regt das Algenwachstum und die Trübung des Stechlinsees an.
Aufgrund von Sauerstoffarmut im Tiefenwasser löst sich Phosphat aus dem Seeboden und regt das Algenwachstum und die Trübung des Stechlinsees an.

© Abbildung: Tasp/Schilli

Als Auslöser für diese Selbstdüngung aus dem Schlamm („interne Eutrophierung“) haben die Forscher den Klimawandel im Verdacht. Das Oberflächenwasser des Sees hat sich in den vergangenen 50 Jahren um etwa 1,4 Grad Celsius erwärmt – und das wirke sich auch am Seeboden aus. Der See wird im Frühjahr und Herbst schneller erwärmt und dadurch nicht mehr so lange wie früher mit Sauerstoff durchmischt. „Und weil es länger warm ist, haben die Algen etwa drei Wochen mehr Zeit, sich zu vermehren, mehr tote Algen sinken ab und für ihre Zersetzung wird in der Tiefe mehr Sauerstoff verbraucht“, sagt Grossart. „Tatsächlich finden wir an der tiefsten Stelle im See seit etwa 2010 keinen Sauerstoff mehr.“ Eben diese Sauerstoffarmut löst das Phosphat aus dem Seeboden, weil sich abgelagertes Eisenphosphat im Seeschlamm unter Sauerstoffmangel im Tiefenwasser löst.

Der Stechlin bleibt ein Badesee - aber die Artenvielfalt leidet

Die steigende Phosphatkonzentration wiederum regt das Algenwachstum und damit die Sauerstoffzehrung an und alles beginnt von vorn – ein Teufelskreis, der den See schon verändert hat: „Der Stechlin ist bereits kein nährstoffarmes Gewässer mehr, sondern spätestens seit 2010 auf dem Wege zu einem nährstoffreicheren, mesotrophen See“, sagt Grossart. Das sei nicht nur problematisch, weil das Gewässer auch langfristig ein schöner klarer Badesee bleiben soll. „Durch die Veränderungen gehen viele Arten verloren, die auf nährstoffarme Seen spezialisiert sind.“ Seit 1995 habe sich die Artenvielfalt der Algen im See erheblich verändert. Vor allem seien bestimmte Blaualgen jetzt häufiger, die unter Umständen giftige Stoffe absondern können.

Trend zur Trübung

Ob die Selbstdüngung den Stechlin bereits trübt, darüber streiten sich die IGB-Forscher noch. Während Grossart in den Daten der vergangenen zehn Jahre einen Trend zu mehr Trübung erkennt, legt sich Kollege Kasprzak noch nicht fest: „Wenn man die Entwicklung von 2000 bis heute herausgreift, dann könnte man denken, dass der Stechlin trüber geworden ist“, sagt der Gewässerforscher. „Aber zieht man die Daten seit 1970 heran, dann ist er mal klar, mal weniger klar – aber ein klarer Trend zeichnet sich nicht ab.“

Unklar ist auch, ob man jetzt schon eingreifen sollte, um die Veränderung des Stechlins zu stoppen. „Wir sollten keine Panik machen, sondern den Stechlin weiter genau beobachten“, sagt Kasprzak – ganz in der Tradition von Fontanes Roman-Protagonistin Melusine, die nicht „ins Elementare“ eingreifen mag: „Die Natur hat jetzt den See überdeckt; da werde ich mich also hüten, irgendwas ändern zu wollen.“

Erst wenn der Stechlin die Kriterien eines nährstoffarmen Sees nicht mehr hinreichend erfülle, bestehe Handlungsbedarf, sagt Kasprzak: „Dann müssen wir den Austritt des Phosphors aus dem Sediment unterbinden.“ Die Methode der Wahl wäre eine Tiefenwasserbelüftung und eine Anhebung des pH-Wertes. Dadurch bilden sich Kalziumkarbonat-Kristalle, die auf den Grund sinken und dem See so Phosphat als Nährstoff entziehen. Eine Kostenberechnung gebe es dafür noch nicht, sagt Kasprzak, aber unter einer Million Euro wäre das kaum machbar. „Nur mit hohem technischen Aufwand kommen wir zurück zum nährstoffarmen Urzustand“, meint Grossart.

Sturm Otto zeigt die Zukunft

Wie die Zukunft des Stechlin ohne Eingriff aussehen könnte, zeigte ein Sturm im Jahr 2011, der wie ein Schnellvorlauf wirkte: „Otto“ wühlte den See derart auf, dass zusätzliche Nährstoffe aus der Tiefe ins Oberflächenwasser gelangten. „Das führte zu einem sehr starken Algenwachstum“, sagt Grossart. „Die Algen verbrauchen bei der Fotosynthese Säure in Form von Kohlensäure und verändern dabei den pH-Wert des Wassers, es wird basischer.“ Es bildeten sich Kalzitkristalle, die das Wasser türkisfarben trübten. „So etwas hatte es in diesem Ausmaß noch nie im Stechlin gegeben“, sagt Kasprzak. Mehrere Wochen blieb es bei der Trübung, bis sich wieder ein „dynamisches Gleichgewicht“ einstellte – so wie eine Kugel in einer Schale immer wieder in die Mitte zurückrollt. „Der Sturm Otto hat die Kugel bis zum Rand gestoßen“, sagt Kasprzak. Damals sei sie noch zur Mitte zurückgerollt. „Aber ist der Stoß zu stark, ob nun durch Stürme, Klimawandel oder andere Einflüsse, dann könnte die Kugel über den Rand geraten und der See für lange Zeit sein Erscheinungsbild ändern – oder vielleicht sogar für immer.“ Ein Stechlin, wie ihn Fontane kannte, wäre das dann nicht mehr.

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