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An der Eingangstür einer Schule kleben Schilder, die auf die Maskenpflicht hinweisen und auf den "Zutritt nur für Personal und Schüler".

© Ottmar Winter/PNN

Update

Gewalt gegen Lehrkräfte: Bedroht, weil sie Maskenpflicht und Tests in der Schule durchsetzen müssen

Ein Viertel der Lehrkräfte berichtet von Widerstand gegen den Infektionsschutz. Übergriffig werden meist die Eltern - und organisierte Maßnahmengegner.

Eltern, die rabiat gegen die Maskenpflicht für ihre Kinder vorgehen oder den Corona-Test in der Schule mit drohendem Unterton verweigern: Von solchen Vorfällen berichtet rund ein Viertel der Lehrkräfte in Deutschland. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sieht deshalb den Schulfrieden in Deutschland in Gefahr.

"Das ist die Drohung beim Elternabend, das ist das eskalierende Gespräch, das sind viele Briefe, die Lehrkräfte gerade erhalten", sagte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann am Dienstag in einem Pressegespräch. Dem VBE bekannt seien auch Whats-App-Nachrichten, in denen mit Strafanzeige, persönlicher Haftbarmachtung oder Berufsverbot gedroht werde.

[Lesen Sie auch den Kommentar von Karin Christmann zum Infektionsschutz für Kinder und Jugendliche: Schützt jetzt endlich die Kinder]

Befragt wurden bundesweit 1501 Lehrkräfte und Schulleiter:innen in der Zeit vom 27. April bis 5. Mai dieses Jahres - durch Forsa im Auftrag des VBE. Dabei gaben 22 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an, dass ihnen persönlich Fälle direkter psychischer Gewalt im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen gegen Beschäftigte der eigenen Schule bekannt seien.

Häufig werden schulfremde Maßnahmengegner aktiv

Sieben Prozent der Befragten geben an, dass sie selbst an ihrer Schule schon einmal Ziel von Beschimpfungen, Diffamierungen, Mobbing oder Belästigungen waren.

Von Fällen körperlicher Gewalt im Zusammenhang mit Coronamaßnahmen - wie Schubsen, Schlagen oder Treten - berichten zwei Prozent. Sehr viel größer ist mit 25 Prozent wiederum der Anteil der Lehrkräfte, denen Fälle bekannt sind, in denen Kolleg:innen im Internet beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. Sechs Prozent waren selber von psychischer Gewalt über das Internet betroffen.

Einen großen Unterschied gibt es zwischen den Schularten: An den Grundschulen berichteten 29 Prozent von Fällen psychischer Gewalt in direkter Begegnung, an Haupt-, Real- und Gesamtschulen 24 Prozent und an Gymnasien 13 Prozent. Vor seiner Grundschule in Hanau hätten protestierende Eltern unter anderem mit Warnungen versehene Kuscheltiere deponiert, die Umgebung mit Aufklebern gepflastert, berichtete Schulleiter Stefan Wesselmann, VBE-Vorsitzender in Hessen.

Bedrängt fühlten sich Schulleitungen auch durch eine Flut von Anwaltsschreiben, in denen Konsequenzen für die Durchsetzung von Infektionsschutz-Maßnahmen angedroht werden.

[Seit 2018 fragt der VBE seine Mitglieder regelmäßig nach Gewalterfahrungen - hier unser Bericht vom September 2020: Sie werden diffamiert, bedrängt, belästigt und bedroht]

In 84 Prozent sei die Gewalt von Eltern ausgegangen, in 25 Prozent von Schülern (offenbar inklusive Überschneidungen), geht aus der Befragung hervor. Besonders bedenklich findet der VBE-Vorsitzende indes Übergriffe, die von schulfremden Erwachsenen ausgingen. Diese seien in Organisationen von Gegner:innen der Corona-Maßnahmen engagiert.

Auf einem Plakat wird nach schädlichen Auswirkungen des Maskentragens in der Schule gefragt.
Ein Flyer der Initiative "Eltern stehen auf".

© Promo

"Bekannte Beispiele sind kleinere Demonstrationen vor Schulen von Maskengegnerinnen und -gegnern", erklärte Beckmann. "Lehrkräfte werden hier ungeschützt zur Zielscheibe von Andersdenkenden." Aktiv ist etwa das Bündnis "Eltern stehen auf", das Flyer verbreitet, in denen vor Kopfschmerzen, Sehstörungen und Müdigkeit beim Maskentragen in der Schule gewarnt wird.

Verständnis für Frust über uneinheitliche Regeln

Für den Unmut von Eltern zeigt der Lehrkräfte-Verband aber auch Verständnis. Die Beziehung zwischen ihnen und den in der Schule Beschäftigten sei "mit zunehmender Regelungsdichte, aber gleichzeitiger Regelungsungleichheit" von Landkreis zu Landkreis "gepaart mit mangelhafter Kommunikation der Politik mit den Schulen (...) zunehmend vergiftet", so Beckmann.

Hinzu komme, dass dass "die Auffassung, was als wissenschaftlich gesichert gilt, durchaus unterschiedlich sei". Insgesamt sei eine Situation entstanden, "in der diejenigen, die die Regelungen befolgen und umsetzen müssen - und zwar unabhängig davon, ob sie sie selber für richtig und wichtig halten - dafür abgestraft werden", kritisiert Beckmann.

Die Schulaufsicht habe die Problematik zu lange ignoriert, woraufhin sich denn auch kaum eine Lehrkraft hilfesuchend an die Behörde wendet.

[Einen Bericht über eine VBE-Umfrage vom Herbst 2020 zu Belastungen von Schulleitungen in der Coronakrise finden Sie hier]

Auf Nachfrage sagte Beckmann, Verständnis für die "riesigen Herausforderungen für Eltern" zwischen Homeoffice und Homeschooling bedeute keine Akzeptanz für Übergriffe, wenn etwa Schulleitungen und Lehrkräfte beim Betreten der Schule aufgehalten und "traktiert" würden.

Wechselunterricht ab Inzidenz von 50 gefordert

Der VBE folgert auch keineswegs, dass mildere Maßnahmen gegen Corona die Stimmung an den Schulen verbessern könnten. Jetzt brauche es ein entschlossenes politisches Handeln - in Richtung weiterer bundeseinheitlicher Regelungen, die Kultusministerien dann offensiv vertreten müssten, wird vielmehr gefordert.

In der Bundesnotbremse mit Schulschließungen ab einem Inzidenzwert von 165 sieht der Verband nur einen ersten Schritt. Folgen müsse die Verpflichtung der Schulen zu Wechselunterricht ab einer Inzidenz von 50, wie sie das RKI schon vor vielen Monaten gefordert hat.

Bislang aber nehme die Kultusministerkonferenz "wissentlich in Kauf, dass die unterschiedlichen Regelungen zu großem Unverständnis, Unmut und mangelnder Akzeptanz führen", erklärt der VBE-Vorsitzende.

Unmut macht sich auch unter den Lehrkräften breit: 19 Prozent der Befragten nennen die fehlende Planbarkeit und die ständigen kurzfristigen Politikwechsel in Bezug auf Unterrichtsformen und Corona-Regeln als eines der größten Probleme im Schulalltag. Als zweitgrößter Problemkomplex folgt mit 17 Prozent der Nennungen, dass Lehrkräfte mehrere Unterrichtsformen - Präsenz-, Digital-, Wechselunterricht und Notbetreuung - anbieten müssen.

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