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Verkämpft. Bei einer Studie unter tausenden ehemaligen Kämpfern in afrikanischen Krisenregionen sagte die Hälfte der Befragten, sie fühlten sich von der Gewalt davongetragen, sobald die Auseinandersetzungen beginnen (hier islamistische Rebellen in Somalia).

© AFP

Gewalt und Emotionen: Lust an der Gewalt

Anderen Gewalt anzutun kann auch als lustvoll erlebt werden. Historiker und Soziologen debattieren, welchen Zusammenhang es zwischen Gewalt und Emotionen in gesellschaftlichen Krisensituationen gibt.

Mit dem Kampf sei es wie mit der Cola, sagte der Rebell aus dem UN-Lager im kongolesischen Goma: Man sei manchmal einfach durstig danach. „Der Durst ist erst gestillt, wenn der Mann seine Cola getrunken hat.“ Es ist eines der Statements, die Roland Weierstall von der Universität Konstanz und seine Kollegen bei einer Befragung von tausenden ehemaliger Kämpfer und Genozidtäter in afrikanischen Krisenregionen zu hören bekamen. Teilweise waren sie schon als Kinder zwangsrekrutiert worden.

Die Hälfte von ihnen berichtete, man fühle sich von der Gewalt davongetragen, sobald der Kampf begonnen habe. Hemmende Mechanismen machen den meisten bei der ersten Erfahrung mit dem Töten zu schaffen, doch dann ändert sich die Wahrnehmung. „Wir fanden deutliche Hinweise darauf, dass eskalierende Gewalt mit positiven Emotionen wie Freude, Vergnügen oder sogar Begeisterung verbunden sein kann“, erklärte der Psychologe bei der Konferenz „Emotions and Violence“, die jetzt im Berliner Max-Planck- Institut für Bildungsforschung stattfand.

Gewalt und Freude, die Kombination ist schockierend. Dass aggressives Verhalten aus Wut, Ärger oder Angst erwächst, ist leichter nachzuvollziehen. Bei „Appetitiver Aggression“, dem lustvollen Erleben von Gewaltexzessen, fällt das weit schwerer. Doch nur wenn man die gesamte Bandbreite der Gefühle in Betracht zieht, die in Zusammenhang mit gewalttätigen Handlungen entstehen können, vorher, währenddessen und danach, hat man eine Chance, gegenzusteuern. „Das Verständnis der kollektiven Emotionen ist eine Voraussetzung für wirksame Friedenserziehung“, sagte die Historikerin Dagmar Ellerbrock, Organisatorin der Tagung.

Ellerbrock ist Leiterin des Minerva-Forschungsschwerpunkts „Emotionen und Gewalt“, das beim MPI-Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“ angesiedelt ist. Für die Zunft der Historiker ist der wissenschaftliche Blick auf die Emotionen noch recht ungewohnt. Sind nicht weit eher die Psychologen als Spezialisten dafür anzusehen? „Wir sind für adäquate Therapien zuständig, aber nachhaltige Strategien für den Frieden können nur interdisziplinär gefunden werden“, meinte dazu Weierstall.

Bei der Tagung interessierten weniger die großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konfliktlinien, mit denen üblicherweise der Ausbruch von Kriegen, aber auch von Volksaufständen erklärt wird. Es ging um den Punkt, an dem körperliche Gewalt ins Spiel kommt und um die mikrosoziologische Analyse der Ereignisse um ihn herum. In seinem Buch „Dynamik der Gewalt“ hat der amerikanische Soziologe Randall Collins vor einigen Jahren vom „emotionalen Tunnel der Gewalt“ gesprochen, in den die Kontrahenten in einem bestimmten Moment eintreten. Typischerweise tun sie es, wenn eine Emotion sie erfasst, die Collins als „Vorwärtspanik“ bezeichnet: Wenn sich die Anspannung, die durch die Konfrontation entstanden ist, in Energie umwandelt, die für den Angriff genutzt wird.

Der Soziologe Thomas Scheff von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara hält es für zentral, Menschen in ihrer Abhängigkeit vom Urteil anderer zu sehen, um die negativen Gefühle zu verstehen, die sie bis hin zu diesem Punkt führen können. „Wir leben im Kopf der anderen, wir werden von ihnen beurteilt, wir antizipieren dieses Urteil, und wir beginnen uns zu schämen.“ Beschämung und uneingestandene Scham können zu Hass und der wiederum zur Gewalt führen, sagte Scheff – zu Aggressionen, die als erleichternd erlebt werden.

Als Paradebeispiel für diese These kann die kollektive Beschämung der Deutschen nach dem „Friedensdiktat“ von Versailles im Anschluss an den Ersten Weltkrieg dienen. Straßenkämpfe aus der Zeit der Weimarer Republik sind ein lohnendes Forschungsobjekt, wenn der Verbindung zwischen Gefühlen und Gewalt nachgegangen werden soll. Dagmar Ellerbrock hat einige anhand von Polizei- und Augenzeugenberichten genauer analysiert. Zum Beispiel ein Aufeinandertreffen von SS-Mitgliedern und Kommunisten in Karlsruhe im Jahr 1931. Augenzeugen haben später ausdrücklich von hasserfüllten Gesichtern und wutverzerrten Mündern der Kontrahenten berichtet. Die Situation eskalierte denn auch. „Emotionen waren ein wichtiger Teil der Dynamik“, sagte die Historikerin.

So heikel das auf den ersten Blick erscheinen mag: Ellerbrock findet es wichtig, auch auf den Gewinn zu schauen, den die Kämpfe beiden Seiten brachten, etwa für den Zusammenhalt der Gruppe. „Nazis und Kommunisten ist es gelungen, Scham, Ärger und angegriffenes Selbstbewusstsein in emotionale Energie zu verwandeln.“ In Ellerbrocks Augen ist die Erfahrung dieses Zuwachses an emotionaler Energie zentral, wenn man zu verstehen versucht, wie Gewalt zwischen Gruppen entsteht. „Wir handeln schließlich, um positive Emotionen zu bekommen.“ Thomas Kühne, Professor für Geschichte des Holocaust an der amerikanischen Clark University, bestätigte das anhand von Beispielen aus dem Zweiten Weltkrieg. „Krieg und sogar Genozid führen nicht nur zu Zerstörung, sondern haben auch die Stabilisierung von Gruppen zur Folge.“ Bis hin zur „kameradschaftlichen Liebe“ von Wehrmachtssoldaten, die tagsüber gemeinsam kämpfen und abends gemeinsam kochen.

„Wir müssen uns genauer anschauen, was innerhalb der Gruppe geschieht“, forderte auch der Bielefelder Historiker Klaus Weinhauer. Er hält es für lohnend, sich unter diesem mikrosoziologischen Gesichtspunkt einige Experimente nochmals anzusehen, deren Ergebnisse Mitte des 20. Jahrhunderts die Öffentlichkeit schockierten – schienen sie doch zu beweisen, wie bereitwillig ganz normale Bürger zu Gewalt greifen, wenn sie als Gehorsamspflicht erscheint. So die Versuchsanordnung, die in der Studie des Yale-Psychologen Stanley Milgram aus dem Jahr 1961 dazu führte, dass Freiwillige unbekannten „Schülern“ im Nebenraum vermeintliche Elektroschocks in zunehmender Dosierung verabreichten, wenn sie Fehler machten. Bis zu 65 Prozent der Probanden erfüllten diesen Auftrag trotz zunehmender Schmerzensäußerungen aus dem Nebenraum.

Ebenso erschreckend die Ergebnisse des „Gefängnis“-Experiments von Stanford, für das der Psychologe Philip Zimbardo junge männliche Freiwillige im Souterrain seiner Uni zu Gefangenen oder zu Wärtern machte. Es musste nach sechs Tagen wegen der Brutalität der „Wärter“ abgebrochen werden. Zimbardo hielt die Übergriffe für eine Folge der von den Probanden übernommenen Rolle. Milgram führte den Ausgang seines Experiments auf die Autoritätshörigkeit der Probanden zurück. Weinhauer hält es dagegen für wichtig, die begleitenden Emotionen minutiös zu analysieren, um Details gewalttätiger Abläufe besser zu verstehen. Etwa die uneingestandene Scham angesichts der Schmerzen, die man anderen schon zugefügt hat. Denn sie könnte eine weitere Eskalation erleichtern.

Beim Milgram-Experiment wären seiner Ansicht nach zudem weit weniger „Lehrer“ bereit gewesen, ihre „Schüler“ mit Elektroschocks zu disziplinieren, wenn es zwischen beiden eine Chance zu persönlicher Kommunikation und zur Einstimmung aufeinander gegeben hätte. Beides erzeugt gute Gefühle. Und nach denen dürsten Menschen zeitlebens, mehr als nach einer kalten Cola.

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