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Mann mit Teekanne

© dpa, Patrick Pleul

Giftstoffe in Lebensmitteln: Von einem Mann, der sich fast mit Eistee umbrachte

Wer Angst vor Gift in Nahrungsmitteln hat, sollte schwarzen Tee bedenken. Er kann die Nieren schädigen. Unsinn, findet unsere Autorin. Sie plädiert für ausgewogenere Ernährung. Ein Kommentar.

Müde und geschwächt schleppte sich der 56-jährige Mann im vergangenen Mai in die Notaufnahme eines Krankenhauses in Little Rock, Arkansas. Er habe Schmerzen im ganzen Körper, sagte er. Die Ärzte nahmen ihm etwas Blut ab. Nur ein Wert war auffällig: Er hatte viermal mehr Kreatinin im Blut als ein Gesunder. Irgendetwas stimmte mit den Nieren des Mannes nicht, sie versagten. Er brauchte dringend eine Dialyse.

Dabei war er sonst recht gesund. Die Ärzte sahen sich die Nieren im Ultraschall an – sie waren normalgroß. Sie fragten nach Nierenleiden in der Familie. Ihm waren keine bekannt. Der Mann hatte weder eine Magen-Operation hinter sich, noch hatte er eine Erkrankung, die beeinflusst, wie der Körper Nährstoffe aufnimmt. Sie suchten nach Blut oder Eiweißprodukten im Urin – nichts. Dafür fanden sie darin ungewöhnlich viele winzige Kristalle aus Kalzium und Oxalat. Haben Sie Frostschutzmittel getrunken, fragten die Ärzte ihn erstaunt. Wieder antworte der Mann mit „Nein“. Die Ursache des Nierenversagens blieb rätselhaft.

Nach vielen Fragen und Untersuchungen blieb nur eine schlüssige Erklärung: Der Mann hatte es geschafft, seine Nieren mit Unmengen Eistee zu ruinieren. Er trank jeden Tag 16 große Gläser kalten Schwarztee, insgesamt fast vier Liter. Damit nahm er Tag für Tag rund 1500 Milligramm Oxalat zu sich, drei- bis zehnmal so viel wie andere Amerikaner.

Die Überdosis Tee ruinierte die Nieren

Eine Gewebeprobe zeigte den Ärzten, was diese Überdosis in den Nieren anrichtete. Die Nierenkanälchen waren mit Kalziumoxalat-Kristallen verstopft, das paarige Organ entzündet. Da diese Entzündung nie bekämpft wurde, bildeten sich Vernarbungen. Die Nieren wurden nach und nach so geschädigt, dass sie schließlich ihre Funktion nicht mehr erfüllten. Der Mann braucht nun regelmäßig eine Blutwäsche. Sie seien sich ziemlich sicher, dass der Tee die Ursache dafür sei, schreiben die Ärzte im Fachblatt „New England Journal of Medicine“.

Das ist ein extremer Einzelfall. Niemand würde den drei Millionen Deutschen, die täglich schwarzen Tee trinken, aufgrund einer solchen Anekdote raten, ihr Lieblingsgetränk aufzugeben. Eine oxalatfreie Ernährung wäre ohnehin kaum möglich und äußerst ungesund, denn die meisten Pflanzen produzieren den Stoff. Besonders viel ist beispielsweise in Sternfrüchten, Rhabarber, Erdnüssen, Roter Bete, Kakaobohnen, Spinat, Petersilie und etlichen Beeren enthalten. Das macht sie nicht automatisch unsicher.

Nahrungsmittel lassen sich nicht eindeutig in „Gut“ und „Böse“ unterteilen – auch wenn viele Meldungen und Diäten etwas anderes behaupten. Wie absurd die kategorische Einteilung werden kann, zeigt sich bei den Beispielen, bei denen ein Zusammenhang nur statistisch berechnet werden kann, statt Ursache und Wirkungsweise zu belegen.

Nahrungsmittel sind nicht "Gut" oder "Böse"

So ist es etwa beim Thema Ernährung und Krebs. Die eine Studie belegt, dass Rotwein vor Krebs schützt, die nächste kommt zum gegenteiligen Schluss: Der Wein fördere das Wachstum von Tumoren. Milch, Butter, Rindfleisch, Tomaten, grüner und schwarzer Tee – sie alle waren bereits Retter und Übeltäter. Die Aussagekraft solcher Studien wird gleich doppelt torpediert. Zum einen erinnern sich die meisten Menschen nicht gut daran, was und wie viel sie tatsächlich wann gegessen haben. Zum anderen geht eine bestimmte Ernährung oft mit einer besonderen Lebensweise einher. Das ergibt ein Knäuel, das Forscher nur schwer entwirren können.

Doch selbst wenn Ursache und Wirkung feststehen, ist die Einteilung nicht haltbar. Gluten ist nicht per se schlecht, weil es Menschen mit Zöliakie nicht vertragen. Laktose muss man nicht verteufeln, nur weil manche Menschen den Milchzucker nicht aufspalten können. Obst gehört zu einer gesunden Ernährung, auch wenn extreme Mengen Rhabarber den Nieren schaden können. Aus Tee wird kein giftiges Gesöff, nur weil ein Mann derart viel davon trank, dass er sich fast damit umbrachte.

Vielmehr gilt in den meisten Fällen, was der Arzt Paracelsus schon vor fast 500 Jahren betonte: „Allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift ist.“ Wer sich – aus welchen Gründen auch immer – besonders einseitig ernährt, riskiert damit unerwartete Nebenwirkungen. Nicht mehr und nicht weniger zeigt die Geschichte des Teetrinkers aus Arkansas.

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